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Suche nach neuer Spur

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Der zweite NSU-Ausschuss unternimmt erneut einen Anlauf zur Klärung von Hinweisen, Michèle Kiesewetter könnte vor über elf Jahren in Heilbronn Waffenhändlern in die Quere gekommen und deshalb ermordet worden sein.

Wolfgang Schorlau zitiert gerne Friedrich Dürrenmatt: "Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat." Ob schlimmstmöglich oder nicht, immerhin sind die Abgeordneten einen Schritt weiter. Ricarda Lang, jene Rechtsanwältin mit Kontakten zum Islamisten-Milieu, die zwei Mal nicht reden wollte vor dem Ausschuss, änderte ihre Strategie.

Nach Verhängung eines Zwangsgelds und der Androhung von Beugehaft erklärte sich die Strafrechtlerin, die Anfang des Jahrtausends in der Sat-1-Serie "Richter Alexander Hold" als Verteidigerin auftrat, doch bereit, den Namen des Kontaktmanns zu nennen. Der hatte ihr Einzelheiten zum Tattag zukommen lassen und behauptet, dass sich ein mutmaßlicher Doppelagent des türkischen und des amerikanischen Geheimdienstes am Tag des Kiesewetter-Mordes in der Nähe der Heilbronner Theresienwiese aufgehalten habe. Der Ausschuss lässt jetzt – wenn vorhanden – Einzelheiten abfragen, "ob die von der Zeugin genannte Person aufgrund dienstlicher Vorgänge im Bereich 'Islamismus' bekannt ist", wie es in einer Mitteilung nach der nichtöffentlicher Sitzung hieß. Und sollte der Informant V-Mann gewesen sein, möchten die Abgeordneten erst recht über Details informiert werden.

Androhung von Beugehaft hat gewirkt

Nur hinter verschlossenen Türen wollte auch Lang selbst Rede und Antwort stehen. Immerhin hatte sich das Auftreten der Zeugin im Landtag ein weiteres Mal deutlich gewandelt. Während der ersten Vernehmung im März 2017 hatte sie wortreich so wenig gesagt, dass sich der Eindruck aufdrängte, die Anwältin wolle vor allem Werbung für sich machen. Beim zweiten Mal und in Anwesenheit eines Rechtsbeistands war sie – angesichts der Zwangsgelds – auf Krawall gebürstet und nach wenigen Minuten wieder entlassen worden, weil sie die Auskunft verweigerte. Bei ihrem dritten Auftritt am vergangenen Montag räumte sie ein, die Drohung mit Beugehaft habe Wirkung bei ihr gezeigt. Daraufhin erfüllte ihr der Ausschuss den Wunsch, nichtöffentlich vernommen zu werden. Dafür sehe das Gesetz drei Möglichkeiten vor, erläuterte der Vorsitzende Wolfgang Drexler, darunter die, dass die Einvernahme hinter verschlossenen Türen "für die Erlangung einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich erscheint". Letzteres sei Grundlage für die Entscheidung gewesen.

Eigentlich wollte der NSU-Ausschuss – der zweite im Südwesten und der 18. im Bundesgebiet – noch vor der Sommerpause die Zeugenvernehmungen abschließen. In acht weiteren Sitzungen soll dann im Herbst am Abschlussbericht und der Liste von Empfehlungen zur Prävention gegen rechts, zur Einhausung der rechten Musikszene oder zur Zerschlagung von Strukturen gearbeitet werden. Ein Teil dieser neuen Termine könnte allerdings abermals für Zeugenbefragungen offenstehen. Die "Stuttgarter Nachrichten" haben jedenfalls Langs Hinweise auf ihre sogenannte Kontaktperson bereits zugeordnet. Es handle sich "bei dem Hinweisgeber um Issa S. aus dem Umfeld eines Braunschweiger Hasspredigers". Sein Name tauche in vielen Ermittlungsakten zu Terrorverfahren im islamistischen Bereich auf. Allerdings, so heißt es weiter, solle sich S. im Ausland aufhalten.

Immerhin nährt die Aussage der Anwältin jene Theorie, wonach am Tattag und -ort, der Theresienwiese in Heilbronn, ein Waffengeschäft abgewickelt wurde. Seit vielen Monaten gibt es Spekulationen, Kiesewetter und ihr Kollege Martin Arnold könnten entweder zur Observation angesetzt oder aber in ihrer Mittagspause in den Deal hineingeraten sein. Lang hatte sich selber beim Ausschuss als Hinweisgeberin gemeldet und in der entsprechenden Mail sogar einen Namen des Mannes – Mevlüt Kar – genannt, dem mit den türkischen Geheimdienst MIT und für den US-Geheimdienst CIA gearbeitet haben soll. Schon bei ihrem ersten Stuttgarter Auftritt räumte sie aber ein, dass es sich dabei lediglich um eine von ihr gezogene Schlussfolgerung gehandelt habe.

In den vor allem im ersten baden-württembergischen NSU-Ausschuss breit diskutierten Ermittlungsakten sind die Abläufe aus polizeilicher Sicht vergleichsweise detailliert dokumentiert. Danach waren Kiesewetter und Arnold ab halb zehn Uhr vormittags gemeinsam unterwegs und fuhren zwei Stunden später in ihrem Streifenwagen erstmals die Theresienwiese an. Nach einer "Schulungsveranstaltung auf dem Revier" in der John-F.-Kennedy Straße steuerten sie erneut die Theresienwiese für "eine kurze Pause" an und kauften auf der Fahrt bei einer Bäckerei ein. Ein Zeuge gab an, er habe "zwischen 13:30 und 14:00 Uhr vor der Filiale der CC-Bank in der Bahnhofstraße in Heilbronn gewartet und einen BMW-Streifenwagen Richtung Bahnhof fahren sehen". Der Zeitpunkt wird mit 13.37 Uhr angegeben. CC steht für "Santander"-Bank. Kar, der mutmaßliche Agent, könnte beschattet worden sein, wie er dort Geld einzahlte, um danach auf das Gelände, auf dem gerade das Frühlingsfest aufgebaut wurde, zurückzukommen und Augenzeuge des Anschlags geworden sein.

Kalte Spur doch wieder heiß

Weiteres Licht ins Dunkel würde Langs Kontaktmann, unterstellt Issa S., auch in die Berichterstattung des "Stern" bringen. Die behandelte im Dezember 2012 die Anwesenheit von in- und ausländischen Geheimdienstler am Tattag in unmittelbarer Tatnähe. Grundlage war ein Dokument des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA), ein sogenannter "Contact report", der eine Observation des aus Ludwigshafen stammenden Kar und einer zweiten Person wiedergeben sollte. Der Deutschtürke, so wurde berichtet, habe 2,3 Millionen Euro auf einer Bank in Heilbronns Innenstadt eingezahlt und gegen 13.50 Uhr die Theresienwiese erreicht. Übersetzt wurde folgende Passage: "Schießerei, in die BW OPS Offizier mit Rechtsextremen und reguläre Polizeistreife vor Ort verwickelt waren."

Nach zahlreichen Zeugenbefragungen, darunter von BeamtInnen, die noch nie gehört wurden, war der Ausschuss bisher davon ausgegeben, dass die Geschichte aber nicht belegbar ist. Lang dagegen erklärt jetzt, dass sie – mit Blick auf ihre Kontaktperson – "nie einem Zweifel hatte, dass es stimmt, was sie sagte". Sollte sich das bewahrheiten, hätte Dürrenmatt eine weitere Weisheit parat für die Abgeordneten, die noch einmal tief in die Materie einsteigen und alle Zeitvorgaben über den Haufen werfen müssten: "Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen."

Die nächste Sitzung, die 24. des zweiten NSU-Ausschusses, findet am 9. Juli statt. Eventuell wird zusätzlich eine am 16. Juli eingeschoben. Dazu sind – bisher nichtöffentliche – Sitzungen geplant am 10. September, 24. September, 1. Oktober, 8. Oktober, 15. Oktober, 5. November, 26. November und am 3. Dezember.

 


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