Dort wurde die Not der Mieter*innen mit unbezahlbarem Wohnraum erst jahrelang ignoriert, dann als Wahlkampfthema entdeckt – nur um seither im politischen Alltag den üblichen Weg vieler Wahlkampfversprechen zu gehen. Zwar kommt selbst Oberbürgermeister Kuhn inzwischen nicht mehr umhin, die Mieten- und Wohnungssituation das "größte soziale Problem in der Stadt" zu nennen. Wirksame und nachhaltige Konzepte gegen Bodenspekulation und Mietpreistreiberei bleibt er jedoch genauso schuldig wie seine Verwaltungsspitze und die große Mehrheit im Stadtrat.
Denn für CDU, Grüne und SPD gilt unverändert: dass es der Markt – sprich: die Immobilienwirtschaft – richten soll. Was ähnlich zielführend ist, wie Graf Dracula zum Organisator der Blutbank zu berufen. Immobilienunternehmen bauen und handeln mit der Ware Wohnraum, wie Porsche mit Autos, um aus investiertem Kapital mehr Kapital zu machen. Nicht um für alle leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Die Rathaus-Mehrheiten eint auch immer noch, dass es nicht öffentliche Aufgabe sei, insbesondere nicht die der Stadt, das Menschenrecht auf Wohnen zu leistbaren Mieten zu garantieren. Und zu verhindern, dass ein systematischer, über unbezahlbar hohe Mieten erzwungener Austausch mit der Stadtbevölkerung stattfindet. Stuttgarter mit kleinen Geldbeuteln raus, zahlungskräftige Schichten rein. Das wird inzwischen Gentrifizierung genannt und es ist keine ungewollte Fehlentwicklung. Sondern regelrechte Hidden Agenda von Stadtverwaltungsspitze, Ratsmehrheit und Immobilienunternehmen.
Protest bremst Mietsteigerungen
Dass die noch preiswerten Mietwohnungsbestände Stuttgarts "systematisch vom Markt saniert werden", sagte in dankenswerter Klarheit der Vorsitzende des Bundesverbands der Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Axel Gedaschko, schon 2012 der Cannstatter Zeitung. Bezogen auf Stuttgart spricht er dabei über die Hälfte des Mietwohnungsbestands, die Baujahre 1950 bis 1984, wo bisher unterdurchschnittliche Mieten bezahlt und unterdurchschnittliche Mietsteigerungen erzielt werden konnten. Dort können mit Abriss und Neubau oder mit neubaugleicher "Modernisierung" Neubaumieten durchgesetzt werden – eine Party für Investoren. <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft vonovia-5126.html _blank external-link>Vonovia führt derzeit auch mit ihren Stuttgarter Beständen vor, wo die Reise hin gehen soll. Erst wird Instandhaltung Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang vernachlässigt, um dann mit "Modernisierungen" die Mieten massiv in die Höhe zu treiben. Denn deren Kosten dürfen nicht nur bis zur Amortisierung der Investitionskosten auf Mieter umgelegt werden, sondern erhöhen dauerhaft die Miete. Bis zu 60 Prozent Mieterhöhungen wurde Vonovia- Mieter*innen im Nordbahnhofviertel angekündigt.
Auch in der Politik der SWSG, zu 100 Prozent im Besitz der Stadt, spiegelt sich bisher der Unwillen der Stadtratsmehrheit, eine Wende hin zu einer sozialen Wohnungspolitik einzuleiten. Auch in den SWSG-Beständen wie etwa im Hallschlag wird mit Abbruch und Neubau das Mietenniveau nach oben getrieben und beschönigend "soziale Durchmischung" propagiert, was letztlich nichts anderes ist als Mieter*innen-Austausch. Und 2016 brauchte es erst massive öffentliche Kritik an den turnusmässig geplanten Mieterhöhungen und lautstarken Protest der Mieterinitiativen, dass die bereits angekündigte Erhöhung der SWSG-Mieten um zehn Prozent auf sechs reduziert wurde. Die nächste Mieterhöhungsrunde stünde 2019 an. Die Mieterinitiativen fordern, darauf zu verzichten und haben Proteste angekündigt, und im SWSG-Aufsichtsrat wurde von den Vertretern von SÖS-Linke-PluS bereits der dazu passende Antrag gestellt. Der publizistische Erfolg der Besetzer aus der Wilhelm-Raabe-Straße 4 lässt hoffen, dass SWSG und Stadtspitze einen neuen Großkonflikt vermeiden wollen und diese Mieterhöhung verhindert werden kann.
Grundsätzlicher wohnungspolitischer Kurswechsel notwendig
Die SWSG hält zwar den größten Teil der Stuttgarter Wohnungen mit Mietpreisbindung. Aber auch mit dem längst überfälligen konsequenten Kurswechsel zu einer dezidiert sozialen Wohnungs- und Mietenpolitik könnte sie allein das Ruder in der Stadt nicht komplett herumreißen.
Dazu braucht es einen grundsätzlichen wohnungs- und mietpolitischen Kurswechsel der Stadt. Neben der Neuausrichtung der SWSG setzt der nicht weniger als eine Kulturrevolution im Denken von Stadtverwaltung und Stadträten voraus. Statt sich, wie bisher, als immer dienstbarer Geist für Investoreninteressen zu verstehen, müsste der alte Spruch von Hoover verinnerlicht werden: dass das Kapital zwar ein scheues Reh sein mag, das flieht, wenn man es erschreckt. Dass es aber noch das letzte Blatt frisst, wenn man es nicht tut.
3 Kommentare verfügbar
Waldemar Grytz
am 08.06.2018