Die Digitalisierung soll aktuell vor allem das Wirtschaftswachstum anheizen, sie ist ein "Wachstumsmotor", wie es der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Tilmann Santarius kürzlich in der "Zeit" genannt hat. "Allein vom Internet der Dinge erwartet man in den nächsten zehn Jahren in Deutschland 30 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne für die Industrie und ein Prozent Wachstum pro Jahr", schreibt er weiter. Bedingung für dieses Anheizen des konsumorientierten Wachstums ist der gläserne Konsument, erschaffen durch Big Data.
Data-Mining Firmen sind darauf spezialisiert, Nutzerdaten zu erfassen und auszuwerten. Im <link https: www.bitkom.org noindex publikationen leitfaden big-data-und-geschaeftsmodell-innovationen external-link-new-window>Leitfaden "Big Data und Geschäftsmodell-Innovationen in der Praxis" (2015) des Unternehmerverbandes Bitkom wird die betriebliche Praxis des Anlegens von 360-Grad-Kundenprofilen an über 40 Firmenbeispielen dokumentiert. Firmen wie Kreditech, Phantominds und die PSD-Bank verwenden komplexe, selbstlernende Algorithmen, die innerhalb weniger Sekunden die Kreditwürdigkeit von Personen bewerten. Das Screening beinhaltet semantische Analysen innerhalb sozialer Netzwerke und Foren sowie die Analyse von Dateien wie Fotos und Videos. Marktführer im Datenhandel sind Bertelsmann, Otto, die Deutsche Post und Schober-Marketing in Ditzingen, die mit digitalen Profilen eines Großteils der Deutschen handeln. Das Bertelsmann-Unternehmen AZ Direkt bietet von 30 Millionen Bundesbürgern Adressdaten an, die anhand 600 zusätzlicher Merkmale ausgewählt werden können. So berichtet es Wolfie Christl, Netzaktivist und Leiter des österreichischen Cracked Labs, einem "Institut für kritische digitale Kultur", in der <link http: crackedlabs.org dl studie_digitale_ueberwachung.pdf external-link-new-window>Studie "Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag" im Auftrag der österreichischen Bundesarbeitskammer.
Die Big-Data-Psychogramme verraten Stärken, Schwächen, Gefühle und Wünsche, deren Kenntnis mit Hilfe von Algorithmen eine personenbezogene Beeinflussung ermöglichen. Diese Daten aus Facebook, Google und Twitter sind das Gold des 21. Jahrhunderts. "Schon 2011 wurde der Wert aller Daten der EU-Bürger auf 315 Milliarden Euro geschätzt. Das Wachstum ist enorm, 2020 könnten die Daten schon 1000 Milliarden wert sein – rund 2000 Euro pro Kopf", <link https: www.swr.de swr2 programm sendungen wissen die-datenindustrie id="660374/did=15959180/nid=660374/1i3ylo3/index.html" external-link-new-window>schreibt 2015 der SWR auf seiner Website.
Der Datenhandel ist ein diskretes Milliardengeschäft. Christl kommt zu dem Schluss: "Durch die beschriebenen Entwicklungen und Praktiken wird klar, dass eine Art von Überwachungsgesellschaft Realität geworden ist, in der die Bevölkerung ständig auf Basis persönlicher Daten klassifiziert und sortiert wird." Wir müssen nüchtern konstatieren: Grundgesetzlich verbriefte Werte wie das Brief-, das Bank-, das Postgeheimnis, die Unverletzlichkeit der Wohnung stehen nur noch auf dem Papier.
Alltägliche Überwachung
Um das Ganze anschaulich zu machen, ein Beispiel, wie die Daten im Alltag gesammelt werden: Sie betreten ein Einkaufszentrum und nutzen dessen App. Ihr Smartphone stellt beim Betreten eines Geschäfts automatischen Kontakt zu kleinen, in den Regalen versteckten Bluetooth-Sendern her, sogenannten Beacons. Einer der führenden Beacon-Herstellers, IntelliAd, preist die Technologie 2014 in einer Pressemitteilung so: "Aus einer Hand lassen sich neben den bereits messbaren Kanälen Online, TV und Telefon nun weitere Offline-Touchpoints in Echtzeit integrieren und dynamisch in die Online-Marketing-Aktivitäten einbinden."
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Gerhard Reischmann
am 13.06.2018Gerhard Reischmann, Bad Wurzach