Herr Ekardt, verschobene Klimaziele der Regierung, steigende statt fallende Treibhausgas-Emissionen: Was muss jetzt auf politischer Ebene passieren, damit wirklich etwas geschieht?
Nullemissionen in zwei Dekaden zu erreichen heißt: null fossile Brennstoffe, nicht nur im Stromsektor. Es geht auch um Wärme, Mobilität, Kunststoffe und den Agrarbereich. Und auch die Tierhaltung, also der Konsum tierischer Nahrungsmittel, muss drastisch sinken. Im Grunde weltweit, nicht nur in Deutschland, sonst verlagert man das Problem eventuell schlicht an andere Orte.
Wie bekommt man die breite Masse zum Handeln? Brauchen wir schneidige Sympathieträger wie etwa Leonardo DiCaprio in der Doku "Before the Flood"?
Zu Fakten und Werten gesellen sich Eigennutzenkalküle und die unterschiedlichsten Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung oder einfach nur die Schwierigkeit, mir Klimatote vorzustellen, wenn ich gerade in den Flieger zu meiner Traumdestination steige. Zudem stecken wir alle in den Normalitätsvorstellungen einer fossil getriebenen Welt fest, zu der eben auch Flugreisen gehören. Meine Facebook-Freunde waren schließlich auch alle schon in Südostasien, und die Kollegen im Büro doch auch!
Sie halten jährlich ungefähr 60 Vorträge. Das sind rund 1,15 Vorträge pro Woche. Wird Ihnen dabei nicht langweilig, wenn Sie immer dasselbe erzählen?
Ich erzähle ja nicht immer das Gleiche.
Sie schreiben auch von der "Jahrhundertaufgabe Energiewende". Glauben Sie, die Menschen haben große Angst vor einer postfossilen Gesellschaft?
In jedem Fall bringt es nichts, zu warten, bis die Politik das Problem angeht – etwa, indem sie die fossilen Brennstoffe massiv verteuert. Zwar würden starke Preiserhöhungen unsere Eigennutzenkalküle und unsere Gewohnheiten tatsächlich beeinflussen. Aber auch eine neue Politik kommt ja nicht von selbst. Wir müssten sie schon wählen, oder auf der Straße, in den Parteien und in den Medien lautstark einfordern. Eine neue Politik müsste also genau von den gleichen Menschen erkämpft werden, die bisher keine Lust haben, beispielsweise weniger zu fliegen. Die Frage, ob der Umweltschutz an den Verbrauchern, an bösen Konzernen oder am fehlenden Willen der Politiker scheitert, ist deshalb ein unlösbares Henne-Ei-Problem. Und auch den ganzen Kapitalismus, der uns die Fernreise so schmackhaft macht, gäbe es ohne unsere Wahl- und Kaufentscheidungen und ohne unser bereitwilliges Mitmachen als Arbeitnehmer nicht. Wenn wir das Klima schützen wollen, müssen wir alle damit beginnen. Als Konsumenten und als politisch Aktive.
Sie sind nicht nur Gründer und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin, sondern auch Jurist. Sie haben mit anderen zusammen eine Verfassungsklage für eine konsequentere Klimapolitik eingereicht. Warum?
Ich bin Jurist, Philosoph und Soziologe. Und ja, ein Bündnis aus Solarenergie-Förderverein Deutschland e. V., Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. und vielen Einzelklägern hat tatsächlich Klage wegen der völlig unzureichenden deutschen Klimapolitik vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Ich habe die Klage mit einer mir gut bekannten Rechtsanwältin geschrieben. Das ist der normale Weg, wenn die Politik die Grenzen ihrer demokratischen Gestaltungsspielräume überschreitet. Deutschland erreicht nicht einmal seine eigenen Ziele und auch nicht die EU-Klimaziele für 2020, obwohl diese viel weniger ambitioniert sind. Verfassungsrechtlich ist die Bundesregierung außerdem verpflichtet, ihrer Politik die aktuellen Fakten zugrunde zu legen und nicht weiter an der überholten – bereits sehr gefährlichen – Zwei-Grad-Grenze in der Klimapolitik festzuhalten.
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Real Ist
am 14.12.2018Als BUND-Mitglied und Grünenversteher befürwortet Felix Ekardt die Industrialisierung unseres letzten Naturraums, die Verbandelung des BUND mit der…