Leni Breymaier ist unterwegs in ihrem Wahlkreis. Radeln dafür, dass sich am Ende doch noch ihre kühne These von der "Merkel-Müdigkeit" bestätigt. Es gibt doch noch so viele Unentschlossene! Die frühere Verdi-Bezirksleiterin, heute Chefin der Landes-SPD und auch deren Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, kennt keine Scheu vor roten Hüten und roten Rikschas und nicht einmal vor roten Plastikeimern, um Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn sie sich niederlässt auf Plätzen zwischen Konstanz, Lahr und Wasseralfingen, will sie mit möglichst vielen Leuten ins Gespräch kommen. Drei Sanduhren sind immer dabei. Die "3-1-2-Aktion" – drei Minuten Bürgern zuhören, eine Minute antworten und anschließend zwei Minuten diskutieren – hat ihr bundesweite Aufmerksamkeit gebracht. Und jüngst im Netz sogar das Prädikat, zu einem elitären Quartett von nur vier (!) GenossInnen bundesweit zu zählen, das sich wirklich um Kontakt zu Mann und Frau auf der Straße bemühe. Eine andere ist übrigens die SPD-Linke Hilde Mattheis aus Ulm.
Gerade im Südwesten scheinen vor allem die Genossinnen die Flinte nicht vor der Schließung der Wahllokale am 24. September um 18 Uhr ins Korn werfen zu wollen. Jasmina Hostert, die in Sarajevo geborene Böblingerin, der Breymaier gerne eine noch größere Rolle im Landesverband zugeschrieben hätte, sucht zwei Mal in der Woche sogar auf der Fahrt in der S-Bahn nach Stuttgart für ihre SPD den direkten Kontakt zu Überzeugten und Zuüberzeugenden. Die mehrsprachige Politikwissenschaftlerin und Mutter einer fünfjährigen Tochter muss auf ein richtig gutes Ergebnis für ihre Partei hoffen – sonst wird sie angesichts von Platz 25 auf der Landesliste den Bundestag nur als Besucherin von innen sehen. Sie will "authentisch sein, glaubwürdig und keine Dinge versprechen, die nicht zu halten sind". In der Dieselkrise kann sie einschlägige Fragen zum eigenen Lebensstil und der Pkw-Nutzung schnell beantworten: Sie besitzt gar kein Auto.
Eines ist allen gemeinsam, Genossen wie Genossinnen: Für die Umfragemalaise haben sie keine Erklärung, gerade in Baden-Württemberg. Die Spitzenkandidatin passt zum Themenschwerpunkt Gerechtigkeit, um den sich alles andere ranken soll, und sie ist medial präsent, sogar zur Primetime bundesweit. Der Landesverband kann auf 12 000 Facebook-Likes zählen, mehr als die baden-württembergische CDU und die Grünen oder die FDP ohnehin. 1800 vor allem junge Mitglieder konnten seit Jahresbeginn gewonnen werden. Aber der Funke will nicht überspringen. Nach den Analysen der politischen Stimmung gut vier Wochen vor dem Urnengang droht zwischen Main und Bodensee sogar die Gefahr, die desaströsen 19,3 Prozent von 2009 zu unterbieten.
Sie lasse sich auf keinen Fall entmutigen, sagte Hostert letzthin in einem Zeitungsinterview. Luisa Boos, die netzaffine Generalsekretärin, twittert und postet, legt sich mit der AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry an, weil die auf einem Plakat mit ihrem erst wenige Monate alten Sohn wahlkämpft. "Unerträglich", urteilt Boos. Dahinter stecke "ein Bild von der Mutter, die zur 'Volkserhaltung' beiträgt". Die 32-Jährige ist in der analogen und in der digitalen Welt zu Hause, sie freut sich im Sigmaringer Gasthof Traube trotz Hochsommer über drei Dutzend BesucherInnen. Und erklärt munter die Smartphone-App, die beim Wahlkampf von Tür zu Tür helfen soll – speziell in ausgewählten Ortsteilen oder Straßenzügen, die nicht zu ohnehin arg geschrumpften SPD-Kerngebieten gezählt werden.
Nach einer Umfrage unter WahlhelferInnen bezeichneten sich noch im Juli bei solchen Hausbesuchen rund 60 Prozent der Angetroffenen als unentschlossen. Grundsätzlich geht die Demoskopie bundesweit von rund einem Fünftel unentschlossener WählerInnen aus. Seit Monaten ist dieser Wert stabil. Selbst aus dem Kreis der bewährten TV-Politik-Analysten werden Stimmen laut, die die Bundestagswahl als längst nicht entschieden einstufen. "Problemlagen", sagt zum Beispiel der Duisburger Professors Karl-Rudolf Korte dieser Tage, "können sich sehr schnell ändern." Allerdings müsse eine Offensive der SPD mit einem klaren Gestaltungsziel verbunden sein.
3 Kommentare verfügbar
Gustav Burger
am 28.08.2017Mit Elektroauto, Energiewende und unrealistischen Umweltforderungen kann man keine Zustimmung erreichen.