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Abschiebung light

Abschiebung light
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Zumindest vorübergehend haben die Grünen in der Landesregierung den CDU-Hardliner Thomas Strobl gebändigt. Ab sofort müssen die Behörden alle Geflüchteten im Land auf ihre möglichen individuellen Chancen, dauerhaft zu bleiben, hinweisen.

Die Unruhe ist groß an der Basis der Grünen. Wochenlang bestimmten vor allem die Innenpolitiker des Koalitionspartners die Debatte um Abschiebungen – vor allem nach Afghanistan. Nicht nur im Netz wurde diskutiert, ob im Südwesten Grün-Schwarz oder Schwarz-Grün regiere. Und wie es zur Schieflage gerade im Umgang mit Menschen habe kommen können, die in Lohn und Brot sind, die bei einer Abschiebung ihre Familie in Deutschland zurücklassen müssten, die in Kabul keine Chance auf eine angemessene medizinische Behandlung hätten.

Das Fass zum Überlaufen brachte der Fall eines Dreieinhalbjährigen, der in Deutschland geboren ist, dessen Asylantrag abgelehnt wurde und dessen Familie Ende Februar den Bescheid bekam, binnen einer Woche ausreisen zu müssen. Der Junge lebt mit seiner nigerianischen Mutter und zwei Geschwistern in Schwäbisch Gmünd. Die Frau, die eine Aufenthaltserlaubnis im EU-Mitgliedsland Italien besitzt, kann dank stundenweiser Arbeit bei einem Bäcker einen Verdienst von rund 500 Euro im Monat nachweisen. Der Gmünder OB Richard Arnold und der Landrat im Ostalbkreis Klaus Pavel (beide CDU) überholten die Grünen links und schlugen Alarm.

"Vor Ort weiß man mehr, als in Akten steht", so Pavel. Herausgegriffen würden "die rechtschaffenen Leute, die mitten in der Gesellschaft sind". Sein Landesvorsitzender, bekanntlich auch Merkel-Vize auf Bundesebene, kann dem Vorwurf des Parteifreunds nichts entgegensetzen: Das Innenministerium hat keinerlei Zahlen darüber, wie viele Straftäter oder allein reisende Männer, die nach den Vereinbarungen mit den Grünen vorrangig abgeschobenen werden sollen, in Baden-Württemberg leben. Und Strobl muss auch einräumen, dass der ganze Aufwand, mit dem Geflüchtete aus Afghanistan ausdrücklich abgeschreckt werden sollen, bisher wenig bis gar nichts bringt. Nach seinen Angaben sind im Jahr 2015 drei abgelehnte Asylbewerber nach Kabul abgeschoben worden, 2016 waren es neun und 2017 bislang sieben. Zu sogenannten freiwilligen Ausreise wurden 2015 ganze 21 Menschen gedrängt und 333 im Jahr 2016.

Grüne setzen sich durch – endlich einmal

Der jüngsten Abschiebepannen wegen waren die grün-schwarzen Verhandlungen im Koalitionsausschuss mit Spannung erwartet worden. Das Ergebnis ist ein klarer grüner Erfolg. Eine "sorgfältigere Einzelfallprüfung" wurde sogar im schriftlichen Beschluss festgehalten. Außerdem können künftig deutlich mehr Geflüchtete ein Bleiberecht bekommen dank einer entsprechenden Beratung – im Idealfall lange bevor überhaupt Abschiebehaft und Abschiebung drohen. Aus den Zahlen, die die Bundesregierung kürzlich im Bundestag vorlegte, geht hervor, dass in Deutschland rund 70 000 Menschen mit einem möglichen Aufenthaltsanspruch leben. Angewendet wurden die entsprechenden Paragraphen im Ausländerrecht bisher aber nur in rund 4000 Fällen. Die Flüchtlingsräte und Pro Asyl starteten eben erst eine Informationskampagne, um auf die "klaffende Schere zwischen potenziell Anspruchsberechtigten und tatsächlich erteilten Aufenthaltstiteln" hinzuweisen.

Strobl meint, die Regelungen wohl zu kennen. "Ich glaube, ich war selber daran beteiligt", sagt er bei der Regierungspressekonferenz, erstmals ganz auf sich allein gestellt, weil Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine über Wochen verschleppte Grippe auszukurieren versucht. Zahlen kann der Innenminister allerdings keine nennen, nicht zu den Migranten aus Afghanistan, die straffällig geworden sind, nicht zu potenziellen Gefährdern, nicht einmal zu jenen, die aktuell prinzipiell abschiebepflichtig sind und zugleich unter die Bleiberechtsregeln fallen könnten. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz ist in diesem Punkt weiter: 2252 Afghanen haben kein Asyl bekommen, 914 leben aber bereits so lange im Land, dass sie bleiben könnten.

Wie hartleibig der CDU-Minister selbst im Umgang mit allerhöchster Kritik ist, zeigt sich am Fall eines 60-jährigen Mannes, der psychisch krank ist. Sein Staatssekretär Martin Jäger, der bisher zuständig war für jede Einzelfallprüfung, hält ihn für einen Simulanten. Schon einmal war er nach Kabul abgeschoben, von den dortigen Behörden aber nicht aufgenommen wurde. Zurück in Baden-Württemberg, wurde er abermals zur Abschiebung vorgesehen. Jetzt schaltete sich das Bundesverfassungsgericht ein. Der Beschluss auf eine Aussetzung der Abschiebung für mindestens sechs Monate trägt die Unterschrift von dessen Präsident Andreas Voßkuhle. Das Bundesverfassungsgericht bemängelte, es habe keine "eingehende Auseinandersetzung" mit den Darlegungen "zu der in jüngster Zeit stark veränderten Lage in Afghanistan" stattgefunden. Anders als die Bundesregierung stellt Karlsruhe so – ganz nebenbei – fest, dass sich die Situation vor Ort eben doch zuspitzte und möglicherweise weiter zuspitzt.

Strobl allein und unbehaglich

Vor der Presse windet sich der stellvertretende Ministerpräsident entsprechend und bringt die Fälle durcheinander. Die Abschiebung eines Familienvaters wurde vom Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gestoppt. Das zuständige Karlsruher Regierungspräsidium – und damit auch Jäger, der weiterhin jede letzte Entscheidung für sich in Anspruch nimmt – habe Artikel 6 des Grundgesetzes und damit den Schutz von Ehe und Familie beachten müssen. Dessen Prüfung sei "unmittelbar verfassungsrechtlich vorgegeben". Dass Richter anderer Meinung sind, komme vor, sagt der Jurist Strobl. Man müsse sich aber zugleich hinter die Beamtinnen und Beamten stellen. Und im Falle einer strittigen Rückführung unter Zwang schiebt er die Verantwortung ohnehin gerne auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – mit dem mehrfachen Hinweis, es handele sich dabei schließlich um eine Bundesbehörde.

Wie die Grünen das heikle Thema Geflüchtete im Bundestagswahlkampf dauerhaft in den Griff bekommen, darf sich nach Meinung vieler Unterstützergruppen jedoch nicht nur am Umgang mit Afghanen festmachen. Zumal im Windschatten der Debatte um die Sicherheitslage in Afghanistan und die fehlerhafte Prüfung der Einzelfälle massiv in die Republik Kosovo und auf den Westbalkan abgeschoben wird. Zum Beispiel in der Nacht zum vergangenen Donnerstag, als eine elfköpfige Familie aus der Gemeinschaftsunterkunft "Linde" in Stockach geholt und zum Flughafen Baden-Airpark gebracht wurde, darunter die erkrankte Mutter. Insgesamt saßen in der Maschine Richtung kosovarische Hauptstadt Priština 67 Menschen, ein Drittel davon Kinder unter 14 und sogar sechs Kleinkinder unter zwei Jahren. Jürgen Weber vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg kritisiert, dass es der Landesregierung "nicht um Humanität und Menschenrechte, sondern schlicht um hohe Abschiebestatistiken geht".

Ein Eindruck, den jedenfalls Strobl gar nicht entkräften will. Für ihn ist gerade das "Afghanistanthema deshalb nicht ganz so trivial, weil die Afghanen die zweitgrößte Herkunftsgruppe" sind. Und wie am Westbalkan könne es gar nicht anders sein, als dass sich das Vorgehen immer auch nach der Höhe der Einreisezahlen richte. Was wiederum nur gilt, wenn es politisch opportun erscheint: Am Freitag muss sich der Bundesrat auf Druck der Union wieder einmal mit dem Maghreb und der Frage nach den sicheren Herkunftsstaaten befassen. Der Innenminister drängt den grünen Koalitionspartner zur Zustimmung. Dabei sind nach seiner eigenen Statistik im Februar weniger als drei Prozent der Geflüchteten aus Algerien, Marokko oder Tunesien nach Baden-Württemberg gekommen. Oder in absoluten Zahlen gerade mal 35 Menschen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Friedrich Grimm
    am 10.03.2017
    Antworten
    Es wäre einmal interessant zu wissen, was sich Herr Strobl, der immerhin stellvertretender Ministerpräsident in B-W. ist, sich für seine fünf Jahre dauernde Amtszeit vorgenommen hat. Bislang sehe ich lediglich blinden Aktionismus und möglichstes Übertrumpfen der AfD. Ein bisschen wenig was da der…
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