Eine gute Woche haben die 61 000 Mitglieder der Grünen noch Zeit, per Urwahl die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen. Wäre es nach Kretschmann gegangen, hätte es den Mitgliederentscheid "Basis ist Boss" in dieser Form womöglich gar nicht gegeben. Im vergangenen April, nach dem zweiten historischen Wahlerfolg seiner Partei im Südwesten, sprach sich der Oberrealo für die Abkehr von der Doppelspitze aus. Die Ämterteilung sei "überholt", die Wählerschaft wünsche sich "eine eindeutige Personalisierung". Er sieht sich selbst als besten Beweis für die Richtigkeit der These.
Es sind solche Zwischenrufe aus Stuttgart, an die sich die Bundespartei zuerst gewöhnen musste, um dann eine Gegenstrategie zu entwickeln. Gelassenheit statt Abwehrreflex, lautet die Devise. Die Doppelspitzen-Debatte ist im Sand verlaufen: Wie eh und je werden die Grünen im kommenden Herbst mit einem Duo in den Wahlkampf ziehen. Dem derart pragmatischen Umgang mit dem neben Joschka Fischer erfolgreichsten Grünen sind allerdings Grenzen gesetzt.
In der Steuerpolitik ist Kretschmann nicht mehrheitsfähig
In einschlägigen Papieren wird der Dissens, etwa in der Steuerpolitik, offenkundig. Kretschmann spreche sich gegen die Vermögensteuer aus, heißt es auf der Homepage der Bundesgrünen, denn er "befürchtet, dass sie den Mittelstand schwächen würde, der 'eine der stabilsten Säulen gegen den Raubtierkapitalismus' sei". Und nur ein paar Absätze später: "Wir wollen eine höhere Reichenbesteuerung einführen. (...) Selbstverständlich legen wir dabei besonderen Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Innovationskraft von Unternehmen." Aber diese Art der Einheit in der Vielfalt würde aus dem Wahlprogramm eine Multiple-Choice-Liste machen. Also müssen steuer- oder wirtschaftspolitische Konflikte spätestens bis zum entscheidenden Bundesparteitag Mitte Juni in Berlin ausgefochten sein. Dass der Mann aus Laiz bei Sigmaringen bis dahin mehrheitsfähig wird mit seiner Position, ist so gut wie ausgeschlossen.
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andromeda
am 10.01.2017