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Tatort Facebook

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Nicht nur in rechtsextremen Kreisen mutiert Facebook zum Kotzkübel der Republik. Meist knapp unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit wird geflegelt und geohrfeigt, gelogen und verhöhnt. Die demokratischen Parteien lassen die Hassprediger gewähren. Denn allzu oft haben sie keine Ahnung, was für eine Post hier abgeht.

Ob Mark Zuckerberg sich das so vorgestellt hat? Zumindest begann die Geschichte der weltweit vernetzten, inzwischen Milliarden Mitglieder zählenden Community mit einem – etwas spätpubertären – Übergriff. Vor 13 Jahren, fast eine Ewigkeit gemessen an der Entwicklung der virtuellen Welt, stellte der noch grünschnäbelige Harvard-Student Bilder von zwei zufällig ausgewählten Kommilitoninnen ins Netz und rief dazu auf, möglichst zahlreich über deren Attraktivität abzustimmen. Die Resonanz war groß, die Aufregung ebenfalls. Zuckerberg musste die Aktion abbrechen. Doch die Fährte war gelegt.

Auf den Seiten von Politikern und -innen sind Debatten über Aussehen, Frisur, Busen, Muckis oder darüber, wer zur Penisverlängerung wohl Hasenpfoten verwendet, nahezu nobel im Vergleich zu dem Niveau, das bei anderen Themen erreicht und immer neu unterboten wird. Verbalinjurien beherrschen das Feld, enthemmtes Schmähen ist die normale Tonlage. Die Seuche der sprachlichen Verrohung grassiert auf CDU- und SPD-Seiten, auf denen die Kanzlerin unwidersprochen als Ferkel verballhornt oder als "das Merkel" beschimpft wird; auf denen Sigmar Gabriel, der "fettsak", von der Bildfläche gewünscht wird. Wüst wird eingedroschen auf den "Bundesgauckler" (NPD-Sprech für den Bundespräsidenten) ebenso wie auf Verfassungsrichter, Minister und Abgeordnete "als "Volksverräter". 

Dagegen unternommen wird nahezu nichts. Lina Rossel, Sprecherin des baden-württembergischen FDP-Landesverbands, während des Landtagswahlkampfs zuständig für Facebook, Twitter & Co., nennt den einfachen Grund: Nicht weniger als drei Leute müssten beschäftigt werden, auf verschiedenste Weise dagegenzuhalten. Einen solchen Aufwand können oder wollen Fraktionen oder Landesverbände nicht leisten.

Besonders widerlich wird Claudia Roth im Netz beschossen 

Viele helfen, aus den früher mal sozial genannten Medien asoziale werden zu lassen. An deren Spitze steht die Alternative für Deutschland. Kürzlich stellte der Göppinger AfD-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner in Aussicht, Katrin Göring-Eckardt, der Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzenden, einen Aufnahmeantrag zu schicken, weil die – laut Überschrift in der "Mitteldeutschen Zeitung" – einen härteren Kurs für "straffällige Ausländer" gefordert hatte. Die Mitteilung löste eine Kommentar-Kaskade aus. Drei Tage später zog er das nie ernst gemeinte Angebot zurück, weil die Grüne, nach einem Besuch auf Lesbos, eine Reform der Visapflicht für Flüchtlinge verlangte. Wieder wurde die Fiechtner-Äußerung kommentiert, unter anderem von einem Günther Dehn: "Hast du Crystal in der Birne, ist kein Platz mehr fürs Gehirne. Was müssen die Erzeuger dieser Göring im Dritten Reich bloß angestellt haben, daß diese Göre ihre Schuldneurose so krankhaft auslebt !!!"

Spezielles Hassobjekt ist Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die auf vielen rechten Seiten zum verbalen Abschuss freigegeben ist. Noch einmal Fiechtner: Der verbreitet ein Video, in dem sich Roth mit der Herkunft deutscher Fußball-Nationalspieler befasst. "Diese Frau sollte in einer Irrenanstalt auf Lebenszeit eingeliefert werden", kommentiert ein Tom Consoli nach nur zehn Minuten. Hohlbirne, Zwangsjacke, Schwachsinn oder Hundescheiße sind nur einige der Vokabeln, zu denen andere Fiechtner-Freunde greifen. Die Aufregung gipfelt in der Frage eines Reiner Heinesch: "diese drecksgrüne ratte von roth wann verschwindet die mal von der bildfläche." Der Kommentator ist munter unterwegs auf einschlägigen Seiten für die Amtsenthebung von Kretschmann, weil der ein "diffuser depp" sei. Und er fällt schnell ins Auge, weil er sein Gift unter Verwendung des VfB-Wappens verspritzt. Es ist nicht bekannt, dass der "Verein für Bewegungsspiele" dagegen vorgeht.

Die rechten Hassprediger hierzulande kopieren Vorbilder in anderen europäischen Ländern. Die sind noch erschreckend viel weiter in ihrem Bemühen, die Gesellschaft zu spalten. "Britain first", die rechtsradikale Splittergruppe von trauriger Berühmtheit, weil der mutmaßliche Mörder der Labour-Abgeordneten Jo Cox mehrfach "Britain first" geschrien haben soll bei seiner Tat, hat ein paar Dutzend Mitglieder, aber nicht weniger als 1,4 Millionen(!) Facebook-Freunde. Front-National-Chefin Marine Le Pen kann auf mehr als eine Million "mentions J'aime" zählen, FPÖ-Chef H. C. Strache auf 380 000. Er löst auf seiner Seite Debatten mit einigen Hundert, zum Aufreger-Thema Bundespräsidenten-Wahl sogar mit mehr als tausend Kommentaren aus. "Wenn die meldung stimmt, und der senile, grüne Gnom wirklich Lungenkrebs hat....r.i.p...oder so", steht dort über Alexander Van der Bellen. Da wirkt eine Formulierung wie "Der alte Grüne muss weg" schon beinahe sachlich. 

Digitale Netzcourage ist gefragt 

Wie das im Falle des neuen österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern funktionieren könnte, lässt der Rechtspopulist <link http: m.kurier.at politik inland eine-schnelle-kugel-fuer-kern _blank external-link>auf seiner Seite debattieren. Strache hatte sich über eine "ungeheuerliche Entgleisung von SPÖ-Kern" erzürnt, weil der die Frage, ob das Land aufgrund der Wahlanfechtung durch die FPÖ als "Bananenrepublik" dastehe, bejahte. Der virtuelle Sturm gipfelte in dem Post eines Users: "früher haben wir einen kern mit einem stein aufgeschlagen das kann man heute auch noch aber eine schnelle kugel ist besser für den neuen judas von österreich !!!". Das Team der Rechtsaußen-Partei, das für die Strache-Seite zuständig ist, ließ den Kommentar stehen. Immerhin wurde die Dimension der Keilerei mit Buchstaben offenbar. Bis zu 10 000(!), in Wahlkampfzeiten 20 000 würden tagtäglich durchforstet.

Die SPÖ hat unlängst im Parlament eine Enquête "No Hate Speech – #GegenHassimNetz" veranstaltet: zum Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Datenschutz und zur Notwendigkeit einer "neuen digitalen Zivilcourage", wie SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder sie forderte. Hassbotschaften offenbarten eine Spaltung der Gesellschaft, die von Polarisierungen und Populismus vorangetrieben werde. Auch in Brüssel diskutieren Experten neue Wege zur Zügelung des Zanks im Netz. In einschlägigen Rechtsforen in der Bundesrepublik wird darüber diskutiert, die virtuelle Menschenverachtung zu einem Offizialdelikt zu machen, also zu einem Vergehen, das verfolgt werden muss. Oder die Bedeutung der Meinungsfreiheit "neu zu justieren", wie einer postet: "Wir können doch nicht zuschauen, wie unsere Demokratie kaputt gemacht wird."

Beleidigende und rechtsextreme Posts kommen fast immer von Männern 

In Berlin haben junge Abgeordnete begonnen, sich auszutauschen und solche Vorgänge öffentlich zu machen, die unter dem Niveau der Strafbarkeit bleiben. Norbert Müller von der Linkspartei nimmt wahr, dass in den vergangenen Jahren eine Verrohung über die üblichen Nazikreise hinaus eingesetzt hat. "Allein mit dem, was mich via Facebook erreicht, könnte ich dauerhaft einen Staatsanwalt beschäftigen", so der 30-Jährige aus dem märkischen Oderland, "das spare mir, ich lösche beleidigende und rechtsextreme Posts und blockiere die Urheber, fast immer Männer übrigens." Müller nimmt aber – an sich selber – auch eine gefährliche Entwicklung war: "Inzwischen setzt da bei mir beinahe ein Gewöhnungsprozess ein." Und die Meldungen bei Facebook hat er wegen fehlender Konsequenzen ohnehin eingestellt.

Kern machte die Kugel für ihn zum Gegenstand einer parlamentarischen Debatte. Er will die virtuelle mit der realen Welt insofern verschränken, als europaweit einer viel breiteren Öffentlichkeit als bisher aufgezeigt werden müsse, was eigentlich läuft im Netz: "Mir macht der Social-Media-Raum große Sorgen, weil da mittlerweile Parallelwelten bestehen, in die Leute hineinkippen, die man nicht mehr herauskippen kann." Ein Stichwort sei Lügenpresse. Auf das Niveau jener, "die hässliche Kampagne" führten, dürfe sich die Gegenseite allerdings nicht begeben. "Wir haben auch auf Facebook unsere Grenzen", sagt der österreichischen Bundeskanzler. Die sind allerdings noch lange nicht ausgeschöpft.


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27 Kommentare verfügbar

  • M.S.
    am 15.07.2016
    Antworten
    Ich musste ja gestern bei dieser Meldung ziemlich grinsen, als ich an unsere Auseinandersetzung hier dachte. Ein waschechter Treppenwitz.

    → http://www.sueddeutsche.de/news/panorama/kriminalitaet-razzien-wegen-internet-hetze-und-hasskriminalitaet-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160713-99-665496

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