Längst zählt es zu den von niemandem ernsthaft in Frage gestellten Übungen, dass sich die Parteien der Verdienste von Persönlichkeiten, die aus ihren eigenen Reihen stammen, um das gemeine Wohl rühmen. So gehört es auch zum Ritual staatlicher Trauerfeiern für auserwählte Würdenträger, dass der Bundespräsident feststellt, sie hätten "sich um das Vaterland verdient gemacht". Regelmäßig herrscht hingegen tiefes Schweigen, wenn es darum geht, Fehlleistungen einzugestehen, die ihnen unterlaufen sind.
Volker Kefer, der nach Auffassung des Aufsichtsrats der Bahn AG seinen Aufgaben nicht ausreichend nachgekommen ist, muss die Konsequenzen ziehen. Ähnliches wiederholt sich nahezu täglich in der Welt der Wirtschaft. Jeder kennt die Beispiele von Thomas Middelhoff bis Martin Winterkorn, sie bedürfen keiner Erläuterung. Ob zu Recht oder zu Unrecht: In diesen Fällen entscheiden anonyme Aktienmärkte und nicht eine wie auch immer geartete demokratische Legitimation, über die Zugehörigkeit zur kapitalistischen "Hall of Fame".
Man könnte meinen, die Welt der Politik unterscheide sich davon nur insofern, als sich hier der Daumen spätestens bei der nächsten Wahl senken könne. Rein formal trifft das sicherlich auch zu. Der Vergleich hinkt trotzdem: Die jeweiligen Entscheidungen beruhen auf Umständen und deren Wertung, die nicht im Entferntesten miteinander vergleichbar sind.
Die Schuld trägt immer der andere
Chefs von noch so großmächtigen Unternehmen pflegen zumindest nach einer gewissen Schamfrist herauszufliegen, wenn sich ihre Voraussagen nicht erfüllen, weil die Eigentümer ein gutes Gedächtnis haben. Für die Wählerinnen und Wähler eines demokratisch organisierten Gemeinwesens hingegen scheint es offensichtlich bisher kein wirksames Mittel zu geben, die Zusagen, die von den Parteien und ihren Repräsentanten gemacht wurden, bis zur nächsten Wahl ausreichend lebendig in Erinnerung zu halten. Zum Schluss gelingt es vielmehr regelmäßig, sich gegenseitig oder irgendjemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn sich frühere Behauptungen als haltlos erweisen und darauf aufgebaute Vorhaben im Fiasko enden. Den Schaden tragen dann nicht die Beteiligten, ihn hat die Glaubwürdigkeit der demokratischen Verfassung.
Wir sind bei Stuttgart 21.
Nach dem erzwungenen Rückzug von Volker Kefer flossen die Medien aller Art vor Weisheiten der üblichen Besserwisser über, was der Angeschuldigte alles falsch gemacht hat. War das abgearbeitet, erging man sich schlagzeilenträchtig in Spekulationen über irgendwelche Personalquerelen, die sich – angeblich oder wirklich – in den Hinterzimmern der Macht bei der Bahn abgespielt haben sollen.
9 Kommentare verfügbar
joergkrauss
am 02.07.2016Der alte Zauberer hatte den Menschen eine schöne Eisenbahn geschenkt. Sie führte hundert Jahre lang mitten durch die Welt, an Sternen und Meeren vorbei über Berg und Tal, durch Gärten und Wüsten. Wie die Welt nun schon ist. Am Ende der Fahrt fuhr…