Herr Binninger, was muss sich der Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag aus Ihrer Sicht zur Aufgabe machen?
Zunächst ist wichtig, dass er überhaupt kommt. Ein Untersuchungsausschuss ist angesichts der vielen offenen Fragen das einzig Richtige. Dann hoffe ich, dass niemand parteipolitisch nachkartet. Und vor allem, dass sich der Blick nicht verengt. Denn es geht nicht nur um den Zeitraum bis 2007, sondern auch um die Zeit nach dem 4. November 2011, als der NSU aufgeflogen ist. Und darum, wie davor gewonnene Erkenntnisse nach diesem so wichtigen Datum betrachtet wurden. Was ist mit dem Ku-Klux-Klan, den Vernetzungen zwischen Thüringen und der Region Stuttgart/Heilbronn? Was ist mit der Neonaziszene da und dort schon in den Neunzigerjahren? Mit dem Auffliegen des NSU wussten alle Beteiligten doch viel besser, wonach sie zu suchen hatten. Was haben die Sicherheitsbehörden dann unternommen? Hat die Polizei vom Verfassungsschutz alle wichtigen Informationen erhalten?
Kann diese Arbeit überhaupt geleistet werden in dem einen Jahr, das zur Verfügung steht?
Ein Untersuchungsausschuss kann enorm viel, wenn er sich nicht in parteipolitischem Gezänk verheddert, wenn er sehr umfassend Akten anfordert, wenn er früh und ebenfalls umfassend festlegt, wen er hören will. Dabei dürfen nicht nur prominente Zeugen im Mittelpunkt stehen, Politiker oder Behördenleiter. Es geht um das operative Geschäft. Um die V-Mann-Führer, um die Referatsleiter, um die, die für die Ermittlungen verantwortlich waren.
... und dann wird es heißen, der oder jener darf nicht aussagen, bestimmte Akten können nicht herausgegeben werden, da oder dort besteht Geheimhaltungspflicht.
Das wäre ein großer Fehler, wenn Behörden jetzt versuchen würden, zu mauern. Aber ich kann nur auf den Bundestagsuntersuchungsausschuss verweisen. Wir haben dort am Ende alle Akten bekommen, die wir angefordert haben. Und wir haben alle V-Mann-Führer in öffentlicher Sitzung gehört. Das muss der Maßstab sein, dahinter kann jetzt auch in Baden-Württemberg niemand zurück. Es handelt sich um abgeschlossene Vorgänge, es stehen keine Sicherheitsinteressen auf dem Spiel, die Funktionsfähigkeit einer Behörde ist nicht tangiert. Und wenn die Exekutive nicht mitmachen will, muss der Landtag die Kooperation wirksam einfordern. Dass das geht, hat unser Untersuchungsausschuss im Bundestag gezeigt.
Erwarten Sie, dass Neuigkeiten ans Tageslicht kommen?
Ganz sicher.
Inwiefern?
Wir hatten im Bundestag nur drei Tage Zeit für die Vorgänge in Baden-Württemberg. Die Parlamentarier in Baden-Württemberg hatten bislang nur Berichte des Innenministeriums als Erkenntnisquellen, darunter den Bericht der Ermittlungsgruppe Umfeld, der an manchen Stellen merkwürdig verkürzt wirkt. Wer zum Beispiel die Ermittlungsakten der Soko Parkplatz liest, merkt, dass die Zusammenarbeit zwischen der Polizei Heilbronn, Staatsanwaltschaft und LKA alles andere als reibungslos funktionierte. Wir konnten aber nicht in die Tiefe gehen, nicht beim Ku-Klux-Klan und nicht bei Heilbronn. Hatten zwei, fünf oder zehn baden-württembergische Polizisten Interesse am Ku-Klux-Klan? Was wusste das Ministerium? Und für mich eine ganz wichtige Frage, welche Erkenntnisse sind tatsächlich in den Bericht der EG Umfeld eingeflossen. Wirklich alle? Oder nur ein Teil. Auch das muss geklärt werden.
Da würde Innenminister Reinhold Gall sagen: alle, und dann sind auch noch zwei Millionen Meldezettel ausgewertet worden ...
... und sieben Terrabyte Daten. Das kenne ich schon. In der ganzen Geschichte wird immer wieder Aufwand mit Qualität verwechselt, und alle sollen in Ehrfurcht erstarren und nicht mehr nachfragen, wenn sie solche Zahlen hören. Was hilft mir das aber weiter, wenn ich wissen will, warum Informationen falsch bewertet oder nicht weitergegeben wurden? Warum es zu Kompetenzstreitigkeiten kam bei den Ermittlungen, warum gewisse Fragen routiniert abgespult wurden, anstatt ihre Dimensionen zu erkennen.
5 Kommentare verfügbar
Ulrich Frank
am 11.11.2014