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Journalismus in der Krise

Brandgefährliche Tendenzen

Journalismus in der Krise: Brandgefährliche Tendenzen
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Weltweit ist die Pressefreiheit unter Druck. Durch autoritäre Regime wie in den USA, aber auch durch finanzielle Engpässe in den Redaktionen. Vor allem investigative Enthüllungen leiden unter Prozesskostenrisiken. Eine Bestandsaufnahme.

Neben autoritären Bedrohungen von außen und innen steht die wehrhafte Demokratie vor einer weiteren großen Herausforderung: Der politische Journalismus verliert schleichend an Substanz. Und damit ist hier nicht gemeint, dass die Branche früher mit mehr Herzblut gearbeitet hätte. Vielmehr gruppiert sich ein Komplex von Schwierigkeiten um ein Nachrichtengeschäft unter wirtschaftlichen Zwängen – mit steigendem Druck, zwischen Aufwand und Ertrag abzuwägen. 

Für eine funktionierende Demokratie hat guter Journalismus zwar einen höheren Stellenwert als Tütensuppen und Heizdecken. Doch die Romantik endet an der Verkaufstheke, wo eine Zeitung auch nur ein Produkt unter vielen ist und für das unternehmerische Kalkül entscheidend bleibt, dass die Herstellungskosten nicht dauerhaft über dem Verkaufspreis liegen. Aufwendige Recherchen kann sich ein Verlag vielleicht auch mal dann gönnen, wenn es sich um ein Verlustgeschäft handelt. Aber dann muss dieses Loch in der Kasse an anderer Stelle gefüllt werden, und so manch eine investigative Enthüllung ist auf Quersubventionierung angewiesen. 

Das alles ist weniger heikel, solange das Kerngeschäft üppige Erträge bringt. Wenn zum Beispiel schon der ganz alltägliche Nachrichtenverkauf für schwarze Zahlen sorgt. Im Deutschland der Nachkriegszeit war die Gründung einer Zeitung gleichbedeutend mit einer Lizenz zum Gelddrucken. Doch die goldenen Zeiten sind längst vorbei, seit Jahrzehnten kämpfen die privatwirtschaftlich organisierten Presseunternehmen mit Auflagenschwund, der Papierpreisentwicklung und dem Verlust von Anzeigenkunden. Und auch die Deutungshoheit über das politische Geschehen verlagert sich von professionell kuratierten Medienerzeugnissen hin zur Anarchie sozialer Netzwerke. 

Für Politiker:innen ist es eine attraktive Option, Botschaften ohne redaktionellen Filter unters Volk zu bringen und sich eine eigene Reichweite aufzubauen. Die direkte Kommunikation mit den Wahlberechtigten umschifft die externe Prüfung von Aussagen und Versprechen auf Plausibilität. Und beim Konkurrieren um Aufmerksamkeit entsteht ein Anreiz zu polarisieren, was wiederum mit Reichweite belohnt wird, weil Algorithmen sozialer Plattformen vor allem Polarisierendes belohnen. "Die Regeln der medialen Politikdarstellung – unterhaltsam, dramatisierend, personalisiert und mit Drang zum Bild, allesamt der Darstellungskunst des Theaters entlehnt – greifen auf das politische Geschehen selbst über", schrieb der Politikwissenschaftler Thomas Meyer bereits 2004. Seitdem hat sich dieser Trend zugespitzt: Viele Wortmeldungen im öffentlichen Diskurs haben eher den Charakter eines Schaukampfes als einer ernsthaft um inhaltliche Auseinandersetzung bemühten Debatte. Ein kerniges Zitat hat höhere Verbreitungschancen als trocken vorgetragene Expertise.

Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien stellt über die Jahre eine abnehmende Aufmerksamkeitsspanne fest, Botschaften müssen kurz sein. Und das hat eine folgenreiche Kehrseite: Je differenzierter eine Position, desto schwieriger ist sie im Kurzformat vermittelbar – sofern der Versuch einer Vermittlung überhaupt noch unternommen wird. Doch die Pressebänke in politischen Gremien sind immer lichter besetzt: Aus Fachausschüssen zu berichten, wo Entscheidungen mühsam austariert werden, lohnt sich oft nicht, jedenfalls im ökonomischen Sinn. 

Politik erbittet bessere Kontrolle

"Kommunalpolitik braucht einen starken Lokaljournalismus", schrieben 2022 fünf Landräte aus Baden-Württemberg in einem Brandbrief, da sie es als schädlich für die Demokratie einstufen, wenn die Presse bei kommunalen Sitzungen immer häufiger abwesend bleibt. Was wird aus der Kontrolle des parlamentarischen Geschehens durch die Öffentlichkeit? "Unser Anliegen an die Lokalpresse ist, Verwaltungen kritisch zu hinterfragen", heißt es in dem Schreiben, das mehr Kontrolle der eigenen Arbeit einfordert. Diese brauche "ausreichend Lokalredakteure, denn sie verfügen über das Handwerkszeug als Chronisten, Kritiker und Reporter. Ein größerer Stellenabbau bedeutet zwangsläufig Qualitätseinbußen der Berichterstattung."

Die bittere Pointe: Über den Brief der Landräte hat kaum ein Medium berichtet. Indessen schreitet die Pressekonzentration weiter voran und Sparrunde um Sparrunde wird redaktionelles Personal ausgedünnt. Für einen großen Medienkonzern, der mehrere Zeitungen mit überregionalem Teil betreibt, ist es kosteneffizienter, diesen mit Inhalten aus einer zentralen Redaktion zu füllen statt sich den Luxus mehrerer, lokal verankerter Büros zu gönnen. So werden dieselben Texte teils in unterschiedlichen Layouts gedruckt und eine Vielfalt der Berichterstattung vorgegaukelt, die nicht mehr existiert. 

Während ein großer Teil der Daseinsberechtigung des politischen Journalismus gerade darin besteht, die Selbstdarstellung von Personen des öffentlichen Lebens kritisch zu überprüfen, liefert der Blick auf die Finanzen einen weiteren Anreiz zur Konfliktvermeidung: nämlich das extreme Kostenrisiko, das ein Rechtsstreit bedeuten kann. Und so knicken Redaktionen mitunter vorschnell ein und ziehen Artikel zurück. Wenn aber Politiker:innen selbst bestimmen können, wie über sie berichtet wird, braucht es keine Zeitung mehr – dafür gibt es ja Instagram. 

Noch schlimmer ist es um investigative Enthüllungen bestellt, denn nicht nur geht diesen in aller Regel ein erheblicher Rechercheaufwand voraus, bei dem vorab oft unklar ist, ob die Ergebnisse in einem wirtschaftlichen Verhältnis zu den aufgewendeten Mitteln stehen. Je brisanter sich ein Fall gestaltet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, verklagt zu werden. Und selbst wenn eine Redaktion vor Gericht auf ganzer Linie gewinnt, kann sich so ein Prozess über viele Jahre ziehen, Kapazitäten binden, Zeit und Nerven rauben. 

Drohender Verlust von Unabhängigkeit

Viel düsterer aber sieht es aus, wenn ein Prozess verloren wird. Und da könnte man ja meinen, dass das Risiko überschaubar ist, wenn eine Redaktion ordentlich arbeitet. Aber ganz so einfach ist das nicht. Selten sind juristische Einordnungen völlig eindeutig, meist müssen verschiedene Rechtsgüter abgewogen werden: etwa das Recht auf Privatsphäre gegen das öffentliche Interesse an einer Information. Und da kann es schon passieren, dass verschiedene Rechtsgelehrte bei ein und demselben Fall zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. Nicht umsonst kursiert unter Jurist:innen die Wendung, vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand. Allein das Risiko ist abschreckend, denn wenn's blöd läuft, sind viele tausend Euro futsch. 

Während das groteske Aluhut-Gelaber von den bösen "Mainstreammedien" keine Beachtung verdient, ist es ein ziemlich nüchterner Befund, dass die aktuellen ökonomischen Rahmenbedingungen die journalistische Unabhängigkeit einschränken. Überdeutlich zeigt sich das in den USA, wo die einst so renommierte "Washington Post" zwar einer Pleite entgangen ist. Seit der neue Eigentümer und Multimilliardär Jeff Bezos die Stiefel von Donald Trump leckt, darf dort allerdings keine Wahlempfehlung mehr erscheinen, die sich für dessen Konkurrenz ausspricht. Generell scheint in den Staaten gerade eine seltsame Form des privatwirtschaftlich organisierten Staatsfernsehens zu entstehen: indem die Medienaufsicht Sendern mit Lizenzentzug droht, wo die Berichterstattung über den Präsidenten nicht genehm ist. 

In solchen Zeiten, in denen Redaktionen dringend mehr Geld brauchen, möchte man um ein Haar das Zeitungsabo zur Bürgerpflicht erklären – wäre das nicht so eine große Zumutung, gemessen am traurigen Niveau, das viele Blätter inzwischen erreicht haben. Es gibt aber durchaus noch Angebote, bei denen es sich lohnt – auch im Lokalen. 

Im Fall von Kontext hat sich noch eine andere Strategie als erfolgversprechend herausgestellt: transparent über juristische Auseinandersetzungen zu informieren und dort, wo eine Auseinandersetzung aus dem regulären Geschäft nicht bezahlbar wäre, um Spenden zu bitten. Im Fall einer jahrelangen Auseinandersetzung mit einem Neonazi hat das zuletzt sogar so gut geklappt, dass nicht nur die Kasse für etwaige Prozesskosten gewappnet ist. Mit dem eingegangenen Geld konnten wir sogar einen Recherchepool aufbauen, der rechtsextremen Umtrieben in Baden-Württemberg nachgeht. Zum Auftakt der Veröffentlichungsreihe in dieser Ausgabe hat der freie Autor Timo Büchner überprüft, wie das Verhältnis von Beamtentum bei der Polizei und einer AfD-Mitgliedschaft aussieht. Im Wochentakt werden weitere Publikationen folgen. 

Bei Kontext freut es uns sehr, dass wir als werbefreie und spendenfinanzierte Zeitung nicht nur überleben, sondern uns sogar leisten können, unseren Journalismus vor Gericht zu verteidigen. Allerdings machen wir uns als kleine Redaktion auch keine Illusionen, dass wir die entstehenden Lücken in der Presselandschaft schließen könnten – dafür müsste in der Breite schon deutlich mehr geschehen. 


Autor und Kontext-Redakteur Minh Schredle ist am 6. November zu Gast in der Schorndorfer Manufaktur, um über "Gefährliche Zeiten für die Pressefreiheit" zu referieren – auch am eigenen Beispiel. Nach einem Vortrag folgt ein Gespräch mit dem Journalisten Alexander Roth, der beim Zeitungsverlag Waiblingen seit Jahren rechte Umtriebe im Lokalen beleuchtet. Los geht es um 20 Uhr.

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