Das hätten wir uns nicht träumen lassen, als Kontext vor 11 Jahren mit einem Fest im Theaterinterim Türlenstraße startete mit den Trompetenklängen von Stuttgarts Sternekoch Vincent Klink, rund 400 Neugierigen und mit einem wenige Minuten davor gegründeten Verein als Träger. Und ohne Blaupause, wie das überhaupt funktionieren sollte mit dem spendenfinanzierten Journalismus. Für die struppigen Pfade jenseits von Verlegerpresse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk gab es schlicht keine Karte und keine Wegweiser. Von der taz als Genossenschaft einmal abgesehen. Aber das war eine andere Nummer.
So sind wir halt vom Theater aus losmarschiert. Avanti dilettanti! Mit wenig Ahnung vom Geld, aber mit der Überzeugung, dass Baden-Württemberg eine kritische Stimme braucht, die das unterirdische Milliardenprojekt Stuttgart 21 unter die Lupe nimmt, die Medien beobachtet und sich als Watchdog im Land versteht. Das war unser Kompass, gewachsen aus der Erkenntnis, dass Journalismus der Sauerstoff der Demokratie ist. Hallo Pressehaus, an Sauerstoff darf nicht gespart werden!
Aufbruch ohne Karte und Wegweiser – na und?
Pionier:innen dürfen keine Angst vorm Stolpern haben. Altmodisch in die Zukunft, lautete unsere Devise. Heute ist der spendenfinanzierte Journalismus von Kontext voll im Trend. Zuletzt waren wir beim Innsbrucker Journalismusfestival, bei den Hohenheimer Kommunikationsstudierenden, bei der Böll-Stiftung, auch bei Politiker:innen, die gemerkt haben, dass in der Medien-Branche gehörig etwas falsch läuft. Manche kommen auch von sich aus in die Redaktion – wie Kretschmanns ehemaliger Sprecher Rudi Hoogvliet – und schütteln den Kopf, wenn sie hören, dass die Landräte in der Region Stuttgart, die sich über leere Pressebänke beklagen, ihren Protestbrief nur noch bei Kontext veröffentlicht bekommen.
Zugegeben, beim ersten Hinhören klingt "gemeinnütziger Journalismus" nicht sexy. Viel lustiger ist es, über die 86-Kilo-Spende zu reden, die da plötzlich in einem Einkaufswagen vor unserer Tür in der Hauptstätterstraße 57 stand, 10.000 Euro in Münzen, die uns in der wilden Anfangszeit davor bewahrten, schon nach einem halben Jahr den Rollladen runterlassen zu müssen.
Das Thema Gemeinnützigkeit mag sperrig sein, aber es ist wichtig. Und es bewegt sich etwas. Die Verlage sparen als gäbe es kein Morgen mehr (was sein kann), Pressekonzentration und Monopolisierung schreiten voran, die mediale Vielfalt bleibt auf der Strecke. Die Ampel in Berlin hat die Förderung des gemeinnützigen Journalismus in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Das ist aufregend, das ist neu, und Kontext ist mittendrin.
Ohne Unterstützer:innen wäre längst die Luft weg
Ja, wir haben elf Jahre Non-Profit-Journalismus auf dem Buckel und sagen an dieser Stelle unseren Unterstützer:innen aus tiefstem Herzen: vielen Dank! Ohne sie gäbe es Kontext nicht, ohne sie hätten wir die lange Strecke nicht durchgehalten.
Aber jetzt sind wir nicht mehr allein unterwegs. Inzwischen gibt es immer mehr journalistische Projekte, die die Lücken füllen, die tief graben, die Geschichten schreiben, die nicht mehr geschrieben werden, wenn es nur um Profit geht und nicht um die gesellschaftliche Verantwortung der Medien. Das ist großartig.
Erschreckend aber ist, wenn sich Studierende der Kommunikationswissenschaft nur noch theoretisch mit Journalismus beschäftigen, aber alle, wirklich alle, in die PR-Branche abwandern, weil sie nur dort eine Zukunft sehen. Das muss sich ändern.
Im Stuttgarter Pressehaus, das die Hohenheimer Student:innen vor Augen haben, zeigt sich wie im Brennglas, wohin die Reise eben nicht gehen darf. Niemand holt enttäuschte Abonnenten zurück mit einer 3-Monate-Gratis-Zeitung und einem 50-Euro-Gutschein bei Edeka obendrauf. Was es braucht, das sind gut recherchierte, gut geschriebene, hintergründige Artikel, die aufklären und einordnen, die Fakten liefern und bei der Meinungsbildung helfen. Dazu braucht es keine Sonntagsreden auf Verlegertagen, keine Lebensmittelgutscheine, sondern Freiräume für Recherchen, Nachfragen. Es braucht engagierte Redakteur:innen.
Heute ist die Pionierin Kontext nicht mehr allein
Gegen den Schrumpfkurs gerade im Lokalen gründen sich immer mehr Projekte. Das jüngste ist "Karla", das dem "Südkurier" in Konstanz Dampf machen, eine weitere Stimme neben dem Platzhirsch sein will. Gut so. Die Guten müssen zusammenhalten, deshalb hat Kontext gemeinsam mit Correctiv, Netzwerk Recherche und der Augstein-Stiftung – um nur ein paar der inzwischen fast 30 Mitglieder zu nennen – das Forum gemeinnütziger Journalismus mitgegründet.
Und auch wir rüsten uns für die nächsten elf Jahre. Denn mit der vierten Sparwelle im Pressehaus werden auch in der Region Stuttgart die Lücken immer größer. Deshalb brauchen wir mehr Kolleg:innen mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. Wir haben schon an eine Auffanggesellschaft für die Hinausgedrängten gedacht, ein wenig scherzhaft, zugegeben, aber uns fielen etliche ein, die zu uns passen würden. David hilft Goliath – es wäre nicht das erste Mal.
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