KONTEXT:Wochenzeitung
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Viel Platz, wenig Satz

Viel Platz, wenig Satz
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Allein der Titel verrät das Problem: "Wochenende – Das Magazin von Sonntag Aktuell". Da wollte jemand vorgaukeln, es gebe die Sonntagszeitung noch. Was es gibt, ist viel Platz und wenig Satz und die ungenierte Übernahme von Texten der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Unser Autor hat einen Monat lang gelesen.

Die Versuchsanordnung ist simpel: ein Printfreund, eine Zeitung. Wie lange Minuten liest er quer, wie viele Seiten reißt er heraus, um sie nochmals zu lesen, und was kennt er längst aus den anderen Blättern? Nach einer Stunde ist die wenig lustvolle Arbeit getan. Rausgerissen ist nichts, weil alles, was prickelt, in der Samstags-SZ gedruckt ist. Gesamteindruck: unwirsch, da die Hoffnung, noch bekannte Autorinnen und Autoren beider Blätter mit ihrer individuellen Schreibe zu finden, schwindet. Das stimmt traurig.

Am meisten fällt noch auf, was außerhalb des "Wochenendes" stattfindet. Auf der "Brücke zur Welt" etwa, die einst eine qualitativ gute Beilage der "Stuttgarter Zeitung" war. Dort erscheint auch noch eine originäre Reportage, wie jetzt über die Nachkriegskinder. Oder etwas aus dem regionalen Wirtschaftsteil, wie zum ADAC zum Beispiel. Wie gesagt, das, was bemerkenswert ist, stand oder steht aber meist schon in der "Süddeutschen Zeitung". Oder schon früher in anderen bundesweiten Gazetten: Herr Brambach und seine oft verkannten schauspielerischen Qualitäten etwa.

Nähern wir uns ganz objektiv den Papier-Produkten, so können wir festhalten, dass die "Süddeutsche" mit Beilagen an starken Wochenenden 505 Gramm wiegt, die "Stuttgarter Nachrichten" 500, die "Stuttgarter Zeitung" 480. Der Preis liegt bei den Münchnern bei 3,60 Euro, billiger ist's bei der StZ (2,10) und den StN (1,90). Prospektbereinigt kommen wir auf 360 Gramm Lesestoff und Anzeigen bei der SZ, und in guten Wochen maximal auf je 300 Gramm bei den StZN.

Gehen wir zurück zum Inhaltlichen: Die "Wissen-Seite" der SZ vom 16. April hat einen Aufmacher, der "Krampfzone" heißt. In Stuttgart wird "Mann, Mann" getitelt, stark gekürzt und dieselbe Illustration verwendet. In den StN wird er mit Grönemeyer auf der Seite eins beworben, in der StZ verweist der längste Tunnel der Welt (nicht Stuttgart 21) auf die Wochenendbeilage. Dass "Mann, Mann" komplett aus München kommt, steht nirgends.

Die hausgemachte Betrachtung der "Familienbande" wird in der Wochenendausgabe vom 7. Mai mit einem ganzseitigen Bild angekündigt, erst auf der zweiten Seite folgt der Text. Viel Platz, wenig Satz. Die StZ geht damit auf die Seite eins, die StN ziehen die neuen Kellner, das "Dinner für Spinner", nach vorne. So viel Unterschied möcht schon sein. Doch publizistischer Mehrwert geht anders. Ärgerlich für die Leser, für die produzierenden Journalisten, für den Medienstandort Stuttgart und für die Vielfalt im Zeitungswesen.

Ein paar Artikel bleiben noch hängen: Krebsraten steigen durch Feinstaub, Ausgabe vom 7. Mai. Potz Blitz, wenn das die Beamten in den Kanzleien und Ministerien studieren, dann kann der krebskranke Staublungenbürger am Neckartor endlich dem OB Kuhn seinen Befund in das Regierungsprogramm husten. Freiwillig natürlich!

Von den Highlights der Reisebeilage ganz zu schweigen. Eine Fotoreportage über ein neues Bilderbuch zu Tschernobyl. Wie? Reisebeilage? Klingt wie Picknick der Brüder Strugatzki am Wegesrand einer verseuchten Zone, die Außerirdische zurückließen als Reiseziel. Mit tickendem Geigerzähler im Gepäck deformierte Tiere mit dem Fernglas beobachten.

Lieber Prinzessin als Lohnarbeiter

Und dann noch ein Werbetext über die neuen Schiffsreisen nach dem sich dem "Westen öffnenden Kuba". Über 50 Wohlstandspassagiere, die sich in einem Hinterhoflokal in Havanna von einem "galanten" Kellner bewirten lassen und voller Begeisterung berichten, dass sie mit so viel gutem Essen nicht gerechnet hatten – "in diesem sozialistischen Einheitsland". Da warten wir als Nächstes auf die einfallenden Sextouristen.

Doch bietet die "Sonntag Aktuell", pardon, das Magazin von "Sonntag Aktuell", auch Neues aus der Region. Für ein paar Euro kann der Kindergeburtstag im Ludwigsburger Schloss gefeiert werden, wo die Kleinen von professionellen Betreuern herausgeputzt und belehrt werden, wie sich "Prinz und Prinzessin benehmen müssen". Spielerisch können sie lernen, wie sich das Leben vor 300 Jahren abgespielt hat. Puh, fanden die Kinder, das sei ganz schön anstrengend. Wie viel besser wäre es, wenn ihnen gleich beigebracht worden wäre, wie anstrengend es für die achtundneunzig Prozent der Bevölkerung ist, diese zwei Prozent Herrscher zu bewirten und zum schlechten Lohn zu beglücken? Der Literaturhinweis zur "Geschichte des Alltags" von Jürgen Kuczynski hätte da geholfen.

Ebenso ein Blick in die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), die mit einem richtigen Magazin ("Die Woche") auf den Markt gekommen ist. Zwar sind die 3,50 Euro für 74 Seiten zu teuer, aber die Richtung stimmt. Mit nicht zu langer Analyse politischer Themen, mit informativem Hintergrund, mit Menschen, die etwas zu sagen haben, schaffen 20 RedakeurInnen einen Weg, auch ein Publikum unterhalb der Geriatriezone zu gewinnen.

Bleibt die Frage, warum die Stuttgarter Medienholding nicht einen kreativen Mix aus SZ, StZ, StN und dem tollen SZ-Magazin macht? Oder wenigstens eine Reportage der Seite 3 der SZ zum Wochenendbeilagen-Aufmacher? Von allen Artikeln die besten für den Südwesten – das wäre etwas Neues und konsequent. Wirtschaftlich ist doch eh alles eins. Das wäre ein neuer Stuttgarter Weg und nicht der Versuch, mit täglichen und wöchentlichen Dubletten eine Medienvielfalt vorzutäuschen, die keine ist.


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1 Kommentar verfügbar

  • Petra Lepp-Arnold
    am 11.05.2016
    Antworten
    Volle Zustimmung! Die neue Sonntagsbeilage ist wirklich grottenschlecht gemacht. Es fehlen die guten Kolumnisten, wie Güner Balci. Die sind einfach spurlos verschwunden, ohne Ankündigung. Auch die Leserbriefe hat man eingespart. Es gibt zwar eine Seite in der Samstagsausgabe, mit großformatiger…
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