Wie geht es einem, der um zwölf Zentimeter geschrumpft ist, weil die Wirbelsäule implodiert ist? Osteoporose. Einem, der sich mit einer kaputten Speiseröhre, mit Asthma und einem grünen Star herumschlagen muss? Blitze im Kopf. Einem, der glaubt, seinen wichtigsten politischen Kampf verloren zu haben? Stuttgart 21. Blöde Frage. "Alt werden ist scheiße", sagt Gangolf Stocker, der 74-Jährige. Auf dem Tisch liegen Medikamente, man könnte meinen, für jedes Lebensjahr eines.
Aber er hat wieder angefangen zu malen. Das ist ein Lebenszeichen, nachdem er vor drei Jahren raus ist aus dem Gemeinderat, raus aus der SÖS-Fraktion. Ausgebrannt und schwer krank. Allein in seiner Gaisburger Zweizimmer-Butze, mit Blick auf den Friedhof, hat er sich vor die Staffelei gestellt, zu Pinsel und Malkreide gegriffen, so lange es ging. Mit Bruckner und Mahler im Ohr entstanden so Bilder, die ihn selber überraschten. Dass er so etwas hinkriegt, so etwas Schönes, Mythisches, in diesen Pastellfarben, nichts für Intellektuelle, und alles in dieser chaotischen Welt. Er hat es nicht mehr für möglich gehalten. Das verzaubere ihn, erzählt Stocker, und der Besucher wundert sich über einen Menschen, der bis dahin stets unter der Rubrik politischer Aktivist gelaufen ist. Totalverweigerer, SPD, DKP, PDS, SÖS, S 21.
In seinen Bildern gibt es diese Welt nicht. Er habe es nie geschafft, Politik in sein künstlerisches Werk zu packen, sagt er. Vielleicht ist das Pastellige das Gegengewicht. Die Politik ist die eine Seite. Die andere hat mit der Ortenau zu tun, mit Offenburg, wo er in eine Arbeiterfamilie hinein geboren wurde. Arm aber halbwegs glücklich, glaubt er.
Die Liebe zur Landschaft
Auf der Brücke über der Schwarzwaldbahn ist er gehockt, hat den Zügen hinterher geschaut, die hier auseinandergehen.
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