Wer hat diese subversiven Worte an die Wand gemalt und ist danach geflüchtet? Der junge Arzt Mihai (Alex Margineanu), der an der Schule eine Impfaktion durchführt, hat es gesehen. Und der hinter ihm stehende Hausmeister hat gesehen, dass er es gesehen hat. So weiß auch der vierschrötige Polizist gleich Bescheid, er hat Mihai in der Hand, er kann dessen Karriere zerstören und wohl noch mehr. Oder er kann diesen introvertierten Wuschelkopf, wenn er aussagt, weiterhin als Spitzel benutzen. Wir sind im Rumänien des Jahres 1968, auch im Ceausescu-Land ist aufrührerische Stimmung zu spüren, aber eine offene Verweigerung der Kooperation kann und will Mihai nicht riskieren. Nein, er wird seinen jüngeren Bruder Emil (Razvan Enciu), einen trotzköpfigen Rebellen, nicht denunzieren. Dafür aber dessen Freund, der bei der Aktion dabei war.
So können die Rumäniendeutschen Mihai, Emil und deren verwitweter kranker Vater (Ovidiu Schumacher) tatsächlich mit einem gültigen Visum in ihren kleinen, gelben Skoda steigen und Richtung DDR fahren. Der Vater soll dort, was ihm zunächst verschwiegen wird, von einem Spezialisten operiert werden. Aber das, was Mihai versucht, nämlich sich mit den Verhältnissen irgendwie zu arrangieren und sich quasi unter diesen durchzumogeln, erweist sich als unmöglich. Denn in fast schon grotesker Weise greift die große Historie in das Schicksal dieser kleinen Familie ein. Kurz vor Dresden, nach einer Nacht im Auto und auf freiem Feld, rattern Panzer vorbei, sie sind auf dem Weg in die Tschechoslowakei, um Dubceks Utopie vom freien Kommunismus im Keim zu ersticken. So findet sich das Trio plötzlich in einer Turnhalle festgesetzt. Und dass Ceausescu, der sich aus dem Ostblock heraussprengen will, nun die Sowjetunion und die DDR als Aggressoren verurteilt, bringt die Internierten noch mehr in die Bredouille.
"Die Reise mit Vater" ist das Spielfilmdebüt der 1979 geborenen Rumäniendeutschen Anca Miruna Lazarescu, die mit ihrer Familie 1990 nach Wien gezogen ist. Die von ihr erzählte Geschichte, für die sie auch das Drehbuch schrieb, basiert auf Erlebnissen ihres Vaters und ihrer Großeltern, die schon 1968 die Chance hatten, sich im Westen eine neue Existenz aufzubauen. Wie ihre drei Filmprotagonisten war die Familie damals in die DDR gereist, strandete dort wegen des Einmarschs der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei, konnte nur auf Umwegen zurück und erhielt deshalb, ebenso wie weitere fünfzig Familien, ein Transitvisum für den Westen. Ein einmaliges Schlupfloch in der Historie. Doch diese zwei Tage seien für ihre Familie zur Zerreißprobe geworden, so die Regisseurin. "Alle drei spürten, dass sie gerade die Chance in den Händen hielten, ihr Leben komplett und unwiderruflich zu ändern. Und alle waren damit heillos überfordert."
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