Ich ging nach Hause, verstört wie bei einem Stromausfall, und erzählte die Geschichte Sitting Bull, der seit Jahren mit verschränkten Armen auf meinem Schreibtisch steht. "Häuptling", sagte ich, "wir sind am Arsch. Wenn du mich morgen aus meinen Stiefeln schießt, denken die Kinder, du erledigst eine Frau." "Yeah", sagte Sitting Bulls, "the times they are a changin'."
Ich wechselte meine Stiefel gegen ein Paar Nikes, zog mir eine Strampelhose an, trabte die Treppen zu den Stuttgart-21-Löchern im Schlossgarten hinab, vorbei an einer Werbefigur mit Johnnie Walker vor einer Bar des Hotels Le Méridien. Johnnie trägt eine Fessel wie ein geparktes Fahrrad. Walker & Jogger bin ich. Ich lief durch den Park Richtung Osten, hinaus zum Schloss Rosenstein, von wo aus du hinter Baustellen ein wenig vom Neckar sehen kannst. Ich bog ab nach Norden, dicht an den Freigehegen des Wilhelma-Zoos entlang. Ich grüßte die Tiere betont herzlich, da ich unter Menschen zuletzt sehr schlechte Erfahrungen gemachte hatte, und konnte sogar einige identifizieren. Da war der Strauß, dieser komische Vogel, der nicht fliegen kann. "Brother", sagte ich, "Straußenleder ist eine feine Sache, aber du musst keine Angst mehr vor mir haben. Früher, yeah früher, hätte ich Stiefel aus dir gemacht, du Lauch. Aber meine Zeit ist vorbei." "Ach so", sagte der Strauß, "du Pfeife bist jetzt Veganer."
Grunzochsen, meine Brüder
Scheiß drauf, dachte ich, und grüßte die benachbarten Exemplare einer Gattung, die ich als Esel erkannte. Da Esel eher selten zu Stiefeln verwurstet werden, weil sie oft als Salami to go herhalten müssen, genießen sie kein so hohes Ansehen. Der Dichter Lord Byron hat einmal gesagt: "Ein Esel wird auch in Paris kein Pferd." Kann ich bestätigen, ich war mal in Paris. Für unsere Stadt, in der sich Robert Musil so sehr langweilte, dass ihm der Mann ohne Eigenschaften einfiel, gilt hingegen: "Auch ein Pferd wird in Stuttgart zum Esel." Fragen Sie Sitting Bull.
Ich joggte weiter an den Weiden entlang und sah einige Viecher, die ich nicht zuordnen konnte. Eine Tierhüterin war gerade am Füttern, und so brüllte ich, schnaufend wie Emil Zátopek, über den Zaun: "Hallo, liebe Frau, was sind das denn für Tiere?" Sie antwortete mir, und es klang wie "Jack". Nicht wie Tschäck, sondern wie Jack' wie Hose. Damit konnte ich nichts anfangen, weshalb ich nach meiner Rückkehr zügig die Ermittlungen aufnahm. Über Jackie Kennedy, den Jugendarbeitskreis des Deutschen Brieftaubenverbands (JAK) und die japanische Gangsterorganisation Yakuza drang ich im Internet schließlich zu Yak vor, eine Rinderart, in der die Männer am Penis eine behaarte Vorhaut tragen. Wow. Da waren sie, meine Brüder. Kreaturen von unschätzbarer Bedeutung. Ihr Wikipedia-Eintrag umfasst kaum weniger Wörter als Robert Musils Jahrhundertroman "Der Mann ohne Eigenschaften". Was mich erst recht für sie begeistert, ist ihr Spitzname: Wegen der Laute, die sie ausstoßen, nennt man sie "Grunzochsen". Das klingt doch gleich ganz anders als Muhkuh.
Inzwischen bin ich mir sicher, selbst solche Laute von mir zu geben, sobald ich in meiner langweiligen Stadt am Gericht vorbeikomme. Stöckelschuhe für Frauen trage ich weiterhin, um meine Mitmenschen von meinem Gesichtsausdruck abzulenken. So können nur Eingeweihte ahnen, dass ich auf meinem Weg durch die Stadt dem Grunzochsen-Gehege mehr Respekt zolle als den Gerichtsgebäuden. Es lebe die Gerechtigkeit, sagt Sitting Bull.
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C. Hdy
am 05.05.2021Willkommen im Viertel...