Gern sing' ich abends zu dem Reigen,
Vor Thronen spiel' ich niemals auf;
Ich lernte Berge wohl ersteigen,
Paläste komm' ich nicht hinauf ...
Und das stimmte. Georg Herwegh schrieb's 1840 auf. Lebte er noch, dann würde er dieser Tage seinen 200. Geburtstag feiern – vielleicht mit Fritz Kuhn im Ratssaal, vielleicht mit renitenten BürgerInnen auf dem Monte Scherbelino. Die gestörte Stadt hatte nie viel für ihre Helden übrig. Als die intelligente Schicht der Stadt über einen Literaturpreis nachdachte, lag der Verfasser des Bundeslieds der deutschen Arbeiterbewegung als Namensgeber zwar nahe. Aber nachdem die DDR Herwegh eine Briefmarke (fünf Pfennige, Ostgeld) gewidmet hatte, wollte sich niemand in der Stadt der Dieselmotoren mit den roten Brüdern gemein machen. Die Mehrheit fehlte.
Ganz anders als beim Demokratie-Partner Türkei. Ekel Erdoğan erreicht mit leichter Hand 96 Prozent, der Rest sitzt im Gefängnis und würde bei uns an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Anders als bei uns trennte der Türke zwar nicht den Müll, aber Religion und Politik: Als am 29. Oktober 1923 die türkische Republik ausgerufen wird, erhalten prompt die Frauen das passive und aktive Wahlrecht, die Analphabetenrate halbiert sich und das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelt sich – auch anders als bei uns.
Sag' mal – wäre das Oktober-Wochenende für die deutsche Zivilgesellschaft nicht ein idealer Anlass, den Jungtürken ganz herzlich zum Tag der Republik zu gratulieren? Ernsthaft?
Was die Demokratie wirklich taugt, wenn's hart auf hart kommt, haben gerade die SchweizerInnen bewiesen. Trotz massiver Wahlbehinderungen und Manipulationen vor der Abstimmung durch die Atomlobby und ihre Knechte will das Volk den Bau neuer Atomkraftwerke verbieten und den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern. 58,2 Prozent haben dazu Ja und Amen gesagt.
Damals, bei Omi Glimbzsch in Zittau, träumte man wie Herwegh von Europa und offenen Grenzen. Doch dieses Europa da macht dichter. Es hatte sich nur unter großen Schmerzen zu einer Verfassung durchgehampelt. Da durfte niemand nirgends mitreden – und schon gar nicht abstimmen. Und eine lesbare Form der Entwürfe stand auch nicht zur Verfügung, als Bundestag und Bundesrat darüber abstimmten. Sperrklausel.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die AnStifter.
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Axel Sauter
am 04.06.2017