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Albert-Dulk-Preis für Hermann G. Abmayr

Der schwäbische Wallraff

Albert-Dulk-Preis für Hermann G. Abmayr: Der schwäbische Wallraff
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Gründlich und gradlinig. So arbeitet der Stuttgarter Journalist Hermann Abmayr (70), auch für Kontext. Ausgezeichnet wurde er jetzt mit einem Preis, der nach dem radikalen Untertürkheimer Demokraten Albert Dulk benannt ist. Eine Laudatio.

Albert Friedrich Benno Dulk? Zugegeben, es hat gedauert, bis der Groschen gefallen ist. Das ist doch der mit den drei Frauen? Linker Paradiesvogel. Lange her. Mehr war da nicht im Hinterkopf. Erste Erkundigungen besagen: geboren 1819 in Königsberg, gestorben 1884 in Stuttgart, Sohn eines Apothekers und Professors der Chemie, Schriftsteller, Revolutionär, Sozialist, Atheist und Freidenker. Das hörte sich schon gut an.

Bei der Schriftstellerin Isolde Kurz wird es gefühliger. Sie sieht in Dulk einen Revolutionär mit Herz. Mit ihm wohne die "weitherzigste Romantik Tür an Tür mit dem beschränktesten Spießertum", schrieb sie über einen der "merkwürdigsten Menschen", der ihr je begegnet sei. Das klang aufregend.

Danach zu Ulrich Stolte. Der Stuttgarter Autor, vielleicht der beste Kenner des spektakulären Mannes, hat ein Buch über ihn begonnen. "Der unglaubliche Dulk" heißt es, und Stolte vergleicht seinen Protagonisten mit "Indiana Jones". Er sei noch besser als Harrison Ford. Zwei Meter groß, durchtrainiert, ein härterer Kerl als der Film-Indy.

Bei Stolte lernt man, dass Dulk 1858 die erste Kommune in Deutschland gegründet hat, mit drei Frauen und sechs Kindern, dass er als erster den Bodensee an der breitesten Stelle durchschwommen und das Freeclimbing erfunden hat. War erster Rucksacktourist in Ägypten.

Und das alles verbunden mit Untertürkheim. Mit einem kleinen Ort, in dem es schwer war, eine Straße zur Kirche nach Dulk zu benennen. Dies sei eine "gewisse Zumutung" für die Gottesdienstbesucher, erklärte die Gartenstadtgemeinde noch vor 25 Jahren. Heute gibt es eine Sackgasse, die Dulks Namen trägt.

Der erste Kommunarde – lange vor Langhans

Aber keine Sorge, das soll es jetzt auch gewesen sein mit dem privaten Dulk. Niemand braucht sich zu fürchten, eine Laudatio anhören zu müssen, die auf dem Boulevard erfunden wurde, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Es sei nur kurz daran erinnert, dass das Private auch politisch ist. Alter 68er-Spruch, den man hier zum Besten geben kann. "Grenzen überschreiten" – diesen Auftrag verbinden in Untertürkheim der Kulturhausverein, der Bürgerverein und die Naturfreunde mit ihrem Preis.

Dulk, der Visionär. Er war – unschwer zu erkennen – kein braver Bürger, der befolgte, was dessen erste Pflicht war: Ruhe und Gehorsam. Er war ein radikaler Demokrat, ein anderer 48er-Revolutionär, machte nie seinen Frieden mit dem preußischen Obrigkeitsstaat, Mitbegründer der Sozialdemokratie in Stuttgart, kompromissloser Kämpfer gegen das Bismarcksche Sozialistengesetz und saß deswegen monatelang im Knast. Es heißt, er sei zum Märtyrer der württembergischen Sozialdemokraten geworden.

Zumindest sprechen die Umstände seines Todes dafür: Am 29. Oktober 1884 starb der stattliche Mann mit 65 im Stuttgarter Centralbahnhof an der Bolzstraße. An einem Schlaganfall beim Besteigen des Zuges nach Untertürkheim.

Sein Leichenzug sollte zur größten Demonstration der Sozialdemokrat:innen unter dem Sozialistengesetz werden. An der Manifestation hätten "Tausende und Abertausende von Arbeitern, mindestens 5 - 6000" teilgenommen, schrieb das "Stuttgarter Tagblatt". Andere Quellen berichten von mehr als 25.000 Menschen. Schon damals driftete die Anzahl der Demonstrierenden je nach Interessenlage signifikant auseinander.

Intendant Schirmer holt Dulk aus dem Grab

Danach geriet der unzähmbare Anarchist in Vergessenheit. Dulk musste erst 200 Jahre alt werden, bis sich die bürgerliche Gesellschaft seiner erinnerte. Die Theaterleute von der Württembergischen Landesbühne waren‘s, bunte Vögel auch sie, vorneweg Intendant Friedrich Schirmer, die Dulk zum zweiten Mal aus dem Grab holten.

Die Menschen sollten sich glücklich schätzen, "so jemanden hier zu haben", sagte Schirmer, einen wie Cyrano de Bergerac: gradlinig, mutig und keiner Rauferei aus dem Weg gehend. Mit seinem Drama "Lea", das den Justizmord an dem jüdischen Geheimrat Joseph Süß Oppenheimer anprangert, stellt sich Dulk gegen die allgemeine Judenfeindlichkeit in der christlichen Gesellschaft. Schirmer hatte das Stück bereits 1988 inszeniert und damals betont, er sei sicher, dass es in Deutschland "nie wieder einen salonfähigen Antisemitismus" geben würde. Beim zweiten Mal, zum 200. Geburtstag, also vor sechs Jahren, sagt er, die Gewissheit von damals sei "nicht mehr vorhanden".

Liebe Festgäste, gestatten Sie mir einen kleinen, mir wichtigen Einschub: Wer Israels Ministerpräsident Netanjahu und seine Regierung kritisiert, ist kein Antisemit.

Damit in die Jetzt-Zeit und den Jetzt-Ort. Die Preisverleiher haben den Journalisten, Buchautor, Dokumentarfilmer und Freund Hermann Abmayr als Preisträger ausgewählt. Eine gute Wahl zur richtigen Zeit.

Wer wachen Auges in die Welt schaut, sieht, dass die Pressefreiheit weltweit oft nur noch eine Schimäre ist. Jüngstes Beispiel: die BBC und Donald Trump. Der US-Präsident droht damit, die öffentlich-rechtliche Anstalt auf eine Milliarde Dollar zu verklagen wegen eines Zusammenschnitts einer Rede von ihm, die er 2021 vor dem Sturm auf das US-Kapitol gehalten hat. Handwerklich ist das scharf zu kritisieren, aber darum geht es dem Autokraten nicht. Es geht ihm darum, eine Institution des unabhängigen Journalismus' zu zerstören.

Und vor unserer Haustür? Wächst ein Monopol heran, das so noch nie dagewesen ist: die Neue Pressegesellschaft Ulm (NPG), die Herausgeberin der "Südwest Presse". 20 Zeitungstitel hat sie bereits in ihrem Portfolio, jetzt kommen noch die "Stuttgarter Zeitung", die "Stuttgarter Nachrichten", die "Eßlinger Zeitung", die "Böblinger Kreiszeitung" und der "Schwarzwälder Bote" dazu. Damit decken die Ulmer zwei Drittel von Baden-Württemberg ab. Die Politik schweigt, die Zivilgesellschaft zuckt mit den Achseln, bei mir verfestigt sich der Eindruck, dass das niemanden mehr juckt.

Und was lehren uns die Regeln der kapitalistischen Wirtschaft? Das Monopol ist der Feind der Freiheit. Es neigt zur Dominanz, Beherrschung, zum Machtmissbrauch. In Abwandlung einer legendären Sentenz eines Verlegers, der meinte, Pressefreiheit sei die Freiheit von ein paar reichen Leuten, ihre Meinung durchzusetzen, eröffnet das NPG-Monopol ein weites Feld. Die Freiheit zu gehen liegt dann nicht mehr im Ermessen der Beschäftigten. Aber versprochen wird "erstklassiger Journalismus".

Abmayr sei ein Kommunist, sagt der Chefredakteur

Und damit bin ich bei Hermann Abmayr. Geboren 1955, aufgewachsen in der kleinen Stadt Günzburg, Vater Tierarzt und Leiter des Schlachthofs, Mitglied im Bayerischen Senat, Sohn renitent, Schülersprecher, Druckerlehre, Sympathie für die Hausbesetzerszene, Menschenkette, Wackersdorf, das übliche Programm für irgendwie links. Auch in Bayern.

Es begab sich im Jahr 1980. Das aufgeweckte Kerlchen Hermann bekam ein Volontariat bei den "Stuttgarter Nachrichten", war vielseitig einsetzbar, wissbegierig und talentiert, bis ihn ein Brief des Chefredakteurs Jürgen Offenbach erreichte. Jener teilte ihm mit, er habe aus "verlässlicher Quelle" erfahren, dass er, Abmayr, seit mehreren Jahren "als Kommunist tätig" sei, "in aktiver Form", und deshalb zu kündigen sei. Wegen Verstoßes gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO).

Abmayr prüfte sich und fand nichts Belastbares. Franz-Josef Degenhardt kam ihm in den Sinn, die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers: "Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Kommunist?". Und er erinnerte sich daran, dass Christof Wackernagel, der Ex-Terrorist von der RAF, in der "Nudelfabrik" übernachtet hatte. Dort, in der ersten Stuttgarter Baugemeinschaft, sittlich weit entfernt von Dulks Kommune, hat Abmayr gewohnt. Zusammen mit weiterem linken Volk wie dem Steuerberater Johannes Rauschenberger, der seit bald 15 Jahren Finanzvorstand bei Kontext ist.

Später sollte sich herausstellen, dass die verlässliche Quelle der Präsident des baden-württembergischen Verfassungsschutzes war, der selbstverständlich nicht in den Zeugenstand zu rufen und somit für einen Arbeitsgerichtsprozess nicht zu verwenden war. Am Ende stand ein Vergleich und eine ordentliche Abfindung als Startgeld für den freien Journalisten Abmayr. Der war er bei der IG Metall unter Franz Steinkühler, wohl auch eine prägende Zeit, in der man noch von der Arbeiterklasse sprechen durfte, Arbeitnehmer nicht mit Arbeitgebern verwechselt hat, wer gibt und nimmt hier eigentlich?

Ein Arbeitsfeld von Schlecker bis Mengele

Schauen wir auf das Lebenswerk und nehmen ein paar Stücke heraus: Die Schlecker-Frauen, erschienen in Kontext, ausgezeichnet mit dem Willi-Bleicher-Preis, die Leiharbeiter bei Daimler, die Vertragsarbeiter in der DDR, die arbeitende Klasse in China – da brauchte es die Frage nicht: Wo stehst du? Dasselbe gilt für seine zahlreichen Arbeiten zu Stuttgart 21, die Titel sagen es schon: "Showdown am Bahnhof – Stuttgart 21 und der Schwarze Donnerstag", "Stuttgart steht auf", "Die Methode Bahn – Preise rauf, Angebote runter". Nicht zu vergessen seine Recherchen zum Radikalenerlass, die in einer ARD-Dokumentation ("Jagd auf Verfassungsfeinde") gipfelten, ausgestrahlt bundesweit.

Und dann, natürlich, Nazi-Deutschland. Das von ihm herausgegebene Buch "Stuttgarter NS-Täter", unter ihnen Ferdinand Porsche, zwingt die Firma zur neuen Aufarbeitung ihrer braunen Geschichte, den Gewerkschaftsführer und Widerstandskämpfer Willi Bleicher holt Abmayr aus dem Vergessen.

Aufsehenerregend der Scoop mit Josef Mengele. Leitender Arzt im Vernichtungslager Auschwitz, Massenmörder im Medizinergewand, meistgesuchter Kriegsverbrecher, geboren und aufgewachsen in Günzburg, wo die Familie die alles beherrschende Landmaschinenfabrik führte.

Der Günzburger Abmayr wusste also, mit wem er es zu tun hatte. In der Schule hat er noch erlebt, wie sich Kinder bei den Mengeles entschuldigen mussten, wenn sie wissen wollten, wer Josef Mengele war. Und die Familie war es auch, die den "Todesengel von Auschwitz" nach seiner Flucht nach Südamerika finanzierte und schützte. Noch Jahre nach seinem Tod. Daraus entstand der Film "Gesucht wird … Josef Mengele". Ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis.

Alles Beiträge, die Bestand haben, weil sie mit Sinn und Verstand gemacht sind. Nicht wie heute üblich: schnell, skandalös, voll auf den Bauch gezielt, damit Quoten und Klickzahlen in die Höhe schießen. Abmayr tickt anders. Es ist das Gründliche, das Graben und Sagen, was ist, egal ob ein Film, ein Buch, ein Zeitungstext oder ein Radiobeitrag danach verlangt. Es erfordert Mut und Charakter, sich im Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden, und – frei nach Tucholsky – laut Nein zu sagen. Es braucht Stehvermögen.

Hermann liebt Haltung. Er hat ein Herz für die "kleinen Leute", was man als Soziologe eigentlich nicht sagen darf wegen Diskriminierungsgefahr. Armutsgefährdet klingt besser.

Aber ich bleibe dabei – und könnte Hermann Abmayr auch einen "schwäbischen Wallraff" nennen, der weiß, wo oben ist und wo unten und wer seine Stimme braucht. Der große Günter hätte sicher nichts dagegen. Das ist Journalismus und irgendwo auch Dulk. Das möge er sich bewahren.


Der Text ist die gekürzte Festrede zum Albert-Dulk Preis, der vom Untertürkheimer Kulturhaus- und Bürgerverein und den Naturfreunden verliehen wird. Vor Hermann Abmayr hat ihn der Kabarettist, Koordinator des Stuttgarter Bürgerprojekts Die AnStifter und Kontext-Kolumnist Peter Grohmann erhalten.

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