1964: Das "Kind von Buchenwald", wie Stefan Jerzy Zweig seit dem Erfolg des Romans und des DEFA-Spielfilms "Nackt unter Wölfen" genannt wird, trifft seinen Retter in Stuttgart. Zweig ist von Paris gekommen, wo er zu dieser Zeit studiert hatte. Willi Bleicher, Metall-Gewerkschafter und bundesweit bekannt als Streikführer, hatte Zweig eingeladen, nachdem er seine Adresse erfahren hatte. Seitdem verspürt "Juschu", wie Bleicher ihn nannte, eine tiefe Verbundenheit mit dem Stuttgarter, den er bis dahin nur aus Erzählungen seines Vaters Zacharias kannte. Als er viele Jahre später Bleichers Grab besucht, liest er das jüdische Totengebet, das Kaddisch, "das traditionell Söhne für ihre Väter sprechen", wie er sagt. Denn Bleicher war für ihn so etwas wie sein zweiter Vater.
Stefan Jerzy Zweig wird am 28. Januar 1941 in Krakau als Sohn des Rechtsanwalts Zacharias Zweig geboren. Seine ersten Lebensmonate verbringt er unter anderem im jüdischen Ghetto von Warschau. Während einer Räumungs- und Tötungsaktion lässt sein Vater das zweijährige Kind von einer Ärztin betäuben und versteckt es in einem Rucksack. So wird der Junge gemeinsam mit Vater, Mutter und seiner älteren Schwester in ein Zwangsarbeitslager überstellt. Dort muss er ebenfalls vor der SS versteckt werden – bei polnischen Familien in der Umgebung oder unter Abfall auf einer Mistkarre.
Später werden Zweigs Mutter und Schwester in Auschwitz in den Tod geschickt. Den Vater und den Jungen bringt die SS ins KZ Buchenwald, wo Willi Bleicher der erste Funktionshäftling ist, dem die beiden begegnen – vor der Effektenkammer, in die Häftlinge ihre Habseligkeiten abgeben müssen. Bleicher ist dafür verantwortlich. Die SS hatte ihn hier zum Kapo gemacht. In der Logik der SS ist ein Kind wie Stefan Jerzy Zweig ein "unnützer Esser", der im Lager nichts zu suchen hat. Doch Bleicher und einige seiner "Kumpels" wollen das Kind retten.
"Nackt unter Wölfen" machte ihn bekannt
Die Geschichte des Jungen hatte den Schriftsteller Bruno Apitz, selbst Buchenwald-Häftling, zu dem Roman "Nackt unter Wölfen" angeregt. Bruno Apitz hat den Stoff frei gestaltet. So ist das Kind in Buchenwald in einem Koffer versteckt angekommen. Genauso im Film – Regie Frank Beyer. Armin Müller-Stahl spielt die Rolle des "Kapos" der Effektenkammer (alias Willi Bleicher), Erwin Geschonneck den "Lagerältesten". Tatsächlich lief der Kleine aber 1944 an der Hand von Zacharias Zweig ins Lager.
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