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AfD und Identitäre Bewegung

An einem Strang

AfD und Identitäre Bewegung: An einem Strang
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Auf dem Papier sind die AfD und die rechtsextreme Identitäre Bewegung miteinander unvereinbar. Aber ein Blick in den Südwesten zeigt, wie eng die Organisationen vernetzt sind.

Im Oktober 2024 führte die "Junge Alternative Baden-Württemberg" (JA), die damalige Jugendorganisation der AfD im Südwesten, nahe Offenburg ihren Landeskongress durch. Die Rechtsextremen wählten ein kämpferisches Motto: "Jugend im Widerstand". Wohlgesonnene Filmer und Fotografen waren vor Ort, um die Aufbruchstimmung des Kongresses einzufangen. Einer der Kameramänner wurde in den neuen Vorstand gewählt: Jannis George.

Bloß ein paar Wochen zuvor, im September 2024, saß George mit zwei weiteren Männern in Stuttgart auf der Anklagebank. Vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt wurde ihnen vorgeworfen, an einer Aktion der rechtsextremen Identitären Bewegung beteiligt gewesen zu sein. Vermummte hatten im Sommer 2023 das Dach des Kassenhauses eines Stuttgarter Freibades bestiegen, um ein Banner mit der Aufschrift "Remigration für sichere Freibäder" zu hissen und die Parole "Unsere Straßen, unser Land, Jugend leistet Widerstand" zu rufen. Die Anklage lautete: Volksverhetzung, Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Vermummungsverbot. Das Urteil: sechs Monate auf Bewährung. Es ist noch nicht rechtskräftig.

Identitärer im Stuttgarter Landtag

Im Südwesten tragen die Identitären den Namen "Reconquista21" (R21). Ihr Wunsch: eine "Reconquista im 21. Jahrhundert". Der Begriff hat eine Historie: "Reconquista" bedeutet auf Spanisch und Portugiesisch "Rückeroberung" und bezeichnet die Zurückdrängung der muslimischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel durch christliche Königreiche zwischen 722 und 1492. Die jahrhundertelangen Kämpfe waren ein grausames Blutvergießen und kosteten unzählige Menschenleben. Es scheint, als sehnten die Identitären einen Bürgerkrieg herbei.

Beim Landeskongress der JA Baden-Württemberg war nicht nur George, sondern auch Michael Seibold als Kameramann im Einsatz. Seibold ist bereits seit Jahren in den Reihen der Identitären präsent. Schon 2019 nahm er an einem "Aktivistenwochenende" teil. Offenbar sucht er die Nähe zur AfD: Ein Foto zeigt Seibold mit Anton Baron, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag. Es ist Mitte 2023 in Stuttgart bei einem Treffen im Landtag entstanden. Bereits damals war Seibold der erste Vorsitzende des "Bürgernetzwerks Süd". Dabei handelt es sich um einen Tarnverein von R21. Derartige Tarnvereine haben in der Regel die Funktion eines Türöffners, sie werden genutzt, um seriös zu wirken und Räumlichkeiten für Treffen und Veranstaltungen anmieten zu können.

"Unvereinbarkeitsliste" als Feigenblatt

Zweiter Vorsitzender des "Bürgernetzwerks Süd" ist Marius Keipp. Er ist, das gaben die Identitären im Dezember 2024 bekannt, der "Leiter" von R21. Wie Seibold ist er seit Jahren in den Reihen der Identitären unterwegs. Die Tageszeitung "Südkurier" berichtete 2024, die AfD habe ihr gegenüber bestätigt, Keipp sei Mitglied der Partei. Damals wurde er auf der Webseite der JA Baden-Württemberg als Ansprechperson des Kreisverbandes Ravensburg/Bodensee-Region gelistet. Nachdem der "Südkurier" über Keipp berichtet hatte, verschwand die Information auf der Webseite plötzlich.

Offiziell steht die Identitäre Bewegung auf der "Unvereinbarkeitsliste" der AfD. Das bedeutet, wer Mitglied der Identitären ist oder war, darf kein Parteimitglied sein. Aber die Liste ist ein Feigenblatt. Das machen die personellen Verbindungen im Südwesten deutlich. Eine Aktion, die R21 im Juni 2024 durchführte, illustriert die Sympathien. Damals hatten Mitglieder der Gruppe vor dem Eingang des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe ein großflächiges, schwarz-rot-gelbes Banner mit der Aufschrift "Stolzmonat" ausgelegt und schwarze, rote und gelbe Rauchgranaten gezündet. Mit dem Begriff "Stolzmonat" versucht die extreme Rechte, ein Gegennarrativ zum "Pride Month" zu etablieren.

Identitäre als "unsere Aktivisten"

Zügig verbreitete R21 ein Foto der Aktion in den sozialen Netzwerken. Es zeigt das Banner und den Nebel der Pyrotechnik aus der Vogelperspektive. Die Aktion hatte ein juristisches Nachspiel: Wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eröffnete die Polizei ein Ermittlungsverfahren, im Zuge der Ermittlungen wurde im November 2024 eine Wohnung durchsucht. Die Identitären machten den Vorgang öffentlich, um Empörung und Solidarität hervorzurufen – und um Gelder zu sammeln.

Sander Perón, damals Sprecher der JA Baden-Württemberg, beklagte die Maßnahme gegen "unsere Aktivisten" und spendete 50 Euro. Perón forderte im Netz: "Die Partei muss ihr Vorfeld schützen!" Damit meinte er die Identitären. R21 dankte Péron und erwiderte auf seinen Social-Media-Post: "Wenn alle patriotischen Akteure an einem Strang ziehen, sind wir nicht mehr kleinzukriegen." Die Kommunikation verdeutlicht, wie groß die Sympathien gewesen sind. Inzwischen existiert die JA nicht mehr. Am 1. Februar 2025 beschloss die AfD-Jugendorganisation auf dem Bundeskongress in Apolda (Thüringen) ihre Auflösung.

Ende November dieses Jahres soll die Gründung einer neuen Jugendorganisation im hessischen Gießen folgen. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle die Identitären – auch und gerade im Südwesten Deutschlands – spielen werden.


Zum Weiterlesen: Timo Büchner hat für die Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg den Artikel "'Das Ländle bleibt deutsch' – Die Identitären im Südwesten" geschrieben. Der Artikel legt engmaschige Verflechtungen der Identitären mit der AfD und der Neonazi-Szene offen.

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