Die Bemühungen von ÖVP, SPÖ und Neos um eine Dreierkoalition scheiterten, kurz darauf auch ein letzter Anlauf von ÖVP und SPÖ. Jetzt greift aber die FPÖ selbst nach dem Kanzleramt. Die Aussichten auf eine Einigung zwischen Blau und Schwarz gelten als gut. Die Konstellation wäre neu in Mittel- und Westeuropa. Wie neu, wird im Programm ersichtlich, mit dem die vom Alleinherrscher Kickl geführte Partei in den Nationalratswahlkampf gezogen ist unter dem Titel "Festung Österreich – Festung der Freiheit". Eine an- und aufregende Lektüre mit den Leitideen: weniger Staat, weniger Sozialstaat, weniger Fremde, weniger wokes Zeug, weniger Europa, weniger Klimaschutz, weniger Belehrungen durch mediale Besserwisserei speziell durch den öffentlich-rechtlichen ORF.
Die sogenannten "Freiheitlichen" vertreten einen rabiaten Neoliberalismus. Begriffe wie Etat oder Haushalt kommen im Programm nicht vor, dafür aber die absurde Idee, in der Verfassung "analog zum jüngsten Urteil des italienischen Verfassungsgerichts" festzuschreiben, dass es nur zwei Geschlechter gibt, "weil auf der Zweigeschlechtlichkeit das gesamte Rechts- und Gesellschaftssystem aufgebaut ist". Sämtliche internationalen Verträge sollen zur Disposition stehen, verlangt wird die Einrichtung eines "Fremden-Schnellgerichtshofs" sowie der Ausstieg aus dem Europäischen Asylsystem, aus der CO2-Bepreisung und dem "ideologischen Klimaschutz". Und so weiter und so fort.
Noch viel länger ist die Latte erstaunlicher Fehlleistungen von Kickl selbst, von denen nahezu jede einzelne in der Bundesrepublik eine politische Karriere beendet hätte. In Österreich hat sie den Aufstieg des Orban-Bewunderers und Putin-Komplizen eher befördert als behindert. Kickl, sein Studium der Fächer Geschichte und Philosophie hat er abgebrochen, scheut die Nähe zur rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" nicht, hält sie sogar für ein "unterstützenswertes Projekt". ÖVP, SPÖ Grüne und Neos hingegen sind für ihn eine einzige "Lügenbrut". Im Wahlkampf empfahl er diesen "Einheitsparteien" gemeinsames Antreten auf einer "Liste Volksverrat". Schon vor mehr als zehn Jahren leistete sich der passionierte Bergsteiger und Vater eines Sohnes einen antisemitischen Frontalangriff auf den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant: "Wie kann einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben?" Muzicant revanchierte sich: Wenn er Kickl höre, "erinnert mich dieses Gehetze und die Sprache an Joseph Goebbels".
Die Öffentlichkeit ist abgestumpft
Tatsächlich greift der frühere FPÖ-Generalsekretär gern zu Formulierungen nahe an jenen von Adolf Hitler, etwa wenn er von "Peinigern und Unterdrückern" spricht, die "nichts in den Regierungsämtern verloren haben". Kickl verspricht "Erlösung", wirbt für sich als "Volkskanzler", das grüne Staatsoberhaupt Van der Bellen nennt er verächtlich "Mumie in der Hofburg", die sogenannten kleinen Leuten ködert er mit dem Wahlslogan "Euer Wille geschehe".
Wie so vieles, was ihm zum Nachteil ausgelegt werden könnte, spielt in einer schon ziemlich abgestumpften österreichischen Öffentlichkeit derzeit keine Rolle, dass der Nationalrat erst kürzlich seine Immunität aufhob: wegen des begründeten Verdachts einer gravierenden Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Für die FPÖ ist so etwas aber nur ein Anlass mehr, im Stile des Donald Trump von einer "Verfolgungsjustiz" zu schwadronieren. Von "Brandmauer" war ohnehin noch nie die Rede. Kickls Partei regiert in fünf der neun Bundesländer schon heute als Juniorpartner einigermaßen geräuschlos mit.
8 Kommentare verfügbar
BLetta
am 18.01.2025https://de.m.wikipedia.org/wiki/Mordfall_Walter_L%C3%BCbcke
Es gilt die Unschuldsvermutung:…