Es geht um Kinder, die von Anfang an erzogen werden, "brav" zu sein und angepasst. Um Klimaaktivist:innen, denen Autofahrende über Hände und Füße fahren. Um Mnyaka Sururu Mboro, einen heute alten Mann aus Tansania, der nicht locker lässt, koloniale Straßennamen anzuprangern, egal, welche Steine ihm in den Weg gelegt werden.
Die beiden Autoren Matthias Meisner und Paul Starzmann, beide Journalisten, legen den Finger in die Wunden unserer Zeit. Betriebsräte werden gemobbt, Demonstrierende immer öfter staatlich bedrängt, mit den heutigen technischen Mitteln ist Überwachung kein Problem mehr. Die Autoren rufen dagegen zur Renitenz auf, dazu, Banden zu bilden.
Sie haben viele tolle kleine Geschichten von Menschen zusammengetragen, die sich gerade in diesen Zeiten auflehnen, die nicht den Mund halten, nicht klein beigeben. Es geht um Menschen mit Mut und Chuzpe. Frauen, der "weiblichen Renitenz", ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Ebenso dem Streikrecht, das wieder unter Beschuss steht, und ganz generell dem Protest, vor allem dem antifaschistischen: "Gerade in den Zeiten des Rechtsrucks ist Aufbegehren wichtiger denn je. Doch immer wieder wird Protest bekämpft – von der Politik, der Polizei, dem Staat. Selbst Berufsverbote gibt es wieder. Das ist fatal. Denn Neutralität endet, wenn die Demokratie zu verteidigen ist", schreiben die Autoren. Und weiter: "Auf den Staat, das hat die Antifaschistin und Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano konstatiert, kann man sich beim Kampf gegen rechts eher nicht verlassen. Auf die vielen aufrechten Bürger:innen, die es in Deutschland gibt, allerdings schon."
Es geht im Buch auch um Medien und – das als Transparenzhinweis – sogar prominent um die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Kontext und einem Neonazi. Wir veröffentlichen hier einen stark gekürzten Auszug aus dem Kapitel "Arbeit".
Buchauszug: Mut zum Unmut
Von Matthias Meisner und Paul Starzmann
Das Geschäft mit den guten Tipps für Arbeitgeber:innen boomt. Fast 50 Milliarden Euro Umsatz hat die Consultingbranche in Deutschland laut Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen allein im Jahr 2023 gemacht. Tendenz steigend, der Wirtschaftszweig wächst seit Jahren. […]
Ein weit verzweigtes Netzwerk aus Dienstleistern steht Arbeitgeber:innen mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum geht, den Druck auf Beschäftigte zu erhöhen, mehr Arbeit für den gleichen Lohn durchzusetzen und ja, auch Mitarbeitende gnadenlos zu mobben und auszubeuten.
Eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) zeigt die Tricks und Strategien der Arbeitgeber:innen. Die Untersuchung stammt aus dem Jahr 2014. Schon damals konnten die Autoren eine besorgniserregende Entwicklung beobachten. So zeigen sie in dem Papier Methoden des "Union-Busting" auf – also Mittel und Wege, mit denen Unternehmen das gesetzlich verankerte Mitbestimmungsrecht der Beschäftigten gezielt zu untergraben versuchen. "Systematisch versuchen sie, die Etablierung und Arbeit gewerkschaftlicher Betriebsräte in ihren Betrieben zu be- und zu verhindern – oftmals unter Beteiligung spezialisierter Anwälte, Medienagenturen und Detekteien", schreiben die Autoren Werner Rügemer und Emlar Wigand. "Zu deren Repertoire gehören die Verhinderung oder Manipulierung von Betriebsratswahlen, die Einschüchterung und Überwachung von Betriebsräten oder Betriebsratswahlkandidaten, Vorteilsgewährung für unternehmerfreundliche Betriebsräte oder die Verhinderung von kritischen Presseberichten."
Kurs für Arbeitgeber: "Störenfriede im Betrieb"
Manche Methoden sind eindeutig illegal: Schikanen, Spionage, Mobbing. Selbst vor Gewalt schrecken einzelne Firmen nicht zurück. Andere suchen nach Schlupflöchern im Arbeitsrecht – und erhalten dabei bereitwillig Hilfe von spezialisierten Anwaltskanzleien.
Eine der bekanntesten ist Schreiner & Partner mit Hauptsitz im sauerländischen Attendorn und Zweigstellen in Hamburg, Dresden und Karlsruhe. Auf ihrer Webseite bietet die Kanzlei "Seminare für die Praxis" an. Rund 900 Euro kostet der halbtägige Kurs "Störenfriede im Betrieb. So trennen Sie sich von schwierigen Mitarbeitern". Für den gleichen Preis kann man sich auch zum Thema "Krankheit und Fehlverhalten als Kündigungsgrund" fortbilden. Motto: "So kündigen Sie 'die Richtigen'". Auch den "Umgang mit 'Low Performern'" kann man bei Schreiner & Partner für 900 Euro lernen.
Ein anderes Spezialgebiet der Kanzlei ist Hilfe bei der Verhinderung von Betriebsräten. Der Vorschlag, der in den vergangenen Jahren immer häufiger zu hören ist: Statt eines Betriebsrats sollten die Beschäftigten doch lieber einen "Belegschaftsausschuss" gründen. Der Vorteil für die Arbeitgeber:innen wird auf der Webseite von Schreiner & Partner so beschrieben: "Sowohl was die Wahl eines solchen Gremiums als auch was dessen Rechte anbelangt, ist man nicht an die starren Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes gebunden." Gemeint ist: Ein Belegschaftsausschuss ist die bequemere Lösung für die Unternehmen, weil er deutlich weniger Rechte hat. So kann ein Belegschaftsausschuss – im Gegensatz zum Betriebsrat – etwa nicht vors Arbeitsgericht ziehen. […]
Geht es um die Ausbeutung der Beschäftigten, um den Kampf gegen Gewerkschaften und Mitbestimmung, entwickelt manch ein Unternehmen viel Kreativität. Deutsche Reedereien lassen ihre Schiffe unter der Flagge von Billiglohnländern fahren, um weniger Lohn oder Sozialausgaben zahlen zu müssen. Viele Firmen stellen "Scheinselbstständige" ein, die zwar fest in den täglichen Arbeitsablauf eingebunden sind, sich aber als Freiberufler:innen eigenständig um ihre soziale Absicherung wie Kranken- und Rentenversicherung kümmern müssen. Konzerne wie McDonald's verlagern ihre Pflichten als Arbeitgeber gleich ganz über ein Franchisemodell an Subunternehmer:innen. 94 Prozent der 1.430 McDonald's-Filialen in Deutschland werden nach Angaben des Konzerns als "mittelständische Unternehmen selbstständig von unseren Franchisenehmer:innen betrieben". Dabei kann von Mittelstand bei einem Konzern mit weltweit 40.000 Niederlassungen und einem Jahresgewinn von rund 6 Milliarden Euro kaum die Rede sein. […]
Gemeinsame Sache von Unternehmen und Unis
Viele der Ideen, auf denen oft die Geschäftsmodelle von Konzernen wie McDonald's, aber auch von Discountern wie Aldi oder Lidl beruhen, sind keineswegs die Erfindungen der Unternehmen selbst. Oft stammen sie aus dem akademischen Betrieb, aus BWL-Instituten oder juristischen Fakultäten. "Nach der klassischen Auffassung war das Arbeitsrecht ein Schutzrecht für Arbeitnehmer", schreiben Rügemer und Wigand in ihrer OBS-Studie. "Die Vertreter dieser Richtung an den Universitäten sind inzwischen fast vollständig abgelöst worden durch Professoren, die Arbeitsrecht als Teil des Privatrechts und als Kampfrecht im Interesse der Unternehmensseite verstehen."
Nicht selten kommt es dabei zu einer unguten Verquickung von arbeitgebernahen Organisationen und staatlichen Einrichtungen wie Hochschulen und Universitäten. Das "Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht" (ZAAR) wurde etwa 2002 von Lobbyverbänden der Metall-, Elektro- und Chemieindustrie gegründet. Es ist zwar privat finanziert, aber fest in die Strukturen der Ludwig-Maximilian-Universität München eingebettet.
Auch Stiftungen wie Bertelsmann und die Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung engagieren sich in dem Bereich. Das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit wird von der 1997 gegründeten Deutschen Post Stiftung finanziert. Es war laut der OBS-Studie maßgeblich an der Planung der Agenda 2010 unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder beteiligt und spielte "in der Vorbereitung der Hartz-Gesetze eine wichtige Rolle". […]
Es sind jedoch nicht nur solche strukturellen Methoden, mit denen Unternehmen Druck auf Beschäftigte aufbauen. Oft greifen sie Einzelne an, nehmen Betriebsratsmitglieder ins Visier, schüchtern Mitarbeitende ein, ja, bedrohen und schikanieren sie regelrecht. "Bossing" heißt die Methode – also Mobbing durch den Chef.
Isolation, Rufschädigung und "sozialer Tod"
Einer, der das Problem gut kennt, ist Albrecht Kieser. Seitdem der Journalist 2009 ein Radiofeature über Unterdrückung am Arbeitsplatz gemacht hat, lässt ihn das Thema nicht mehr los. "Bossing-Industrie" nennt er das weitverzweigte Netzwerk aus Beratungsfirmen, Anwaltskanzleien, Lobbyverbänden und Privatdetekteien, die den Unternehmen beim Kampf gegen ihre Beschäftigten helfen. Kieser hat sich dem Widerstand dagegen verschrieben.
Er gründete 2012 den Verein "Work Watch", der vom Investigativjournalisten Günter Wallraff unterstützt wird. Die kleine Gruppe "berät und unterstützt Betriebsratsgremien und engagierte Mitarbeiter:innen, die von ihren Vorgesetzten systematisch mit bewusst gestreuten Gerüchten, fragwürdigen Abmahnungen, haltlosen Kündigungen, Androhung von Regressforderungen, Erpressung und manchmal auch mit dem Einsatz von Detektiven drangsaliert werden", heißt es auf der Webseite. […]
Bei seiner Arbeit blickt Kieser nicht selten in Abgründe. Und er hat schon einiges gesehen. Er erzählt von Fällen, in denen Vorgesetzte einen missliebigen Beschäftigten oder eine aufmüpfige Beschäftigte so lange drangsalieren, bis die Person seelisch zerbricht. "Nicht selten zielen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber darauf, das soziale Umfeld eines Mitarbeiters zu zerstören", sagt Kieser. "Erst isolieren sie die betroffene Person am Arbeitsplatz, reden schlecht über sie. Dann dringen sie in den Bekannten- und Freundeskreis ein und streuen dort Gerüchte, um den Ruf der Person zu schädigen." […]
Auch erteilen Unternehmen ihren Beschäftigten oft einen Maulkorb. "Bemühungen, Betriebsratsmitglieder wegen öffentlicher oder halböffentlicher Äußerungen zu belangen, gehören zum Standardrepertoire", heißt es in der OBS–Studie. Betroffenen wird nach kritischen Äußerungen über die Arbeitsbedingungen geschäftsschädigendes Verhalten oder Störung des Betriebsfriedens vorgeworfen. "Dass diese Konstruktionen in den meisten Fällen vor Gerichten scheitern, hindert die Strategen nicht daran, sie beständig einzusetzen." […]
In manchen Fällen versuchen Unternehmen, in Ungnade gefallene Beschäftigte in den "sozialen Tod" zu treiben, wie es in der Studie heißt. In der Untersuchung sind Fälle dokumentiert, in denen Beschäftigten bei Androhung hoher Strafen verboten wird, mit einer bestimmten Person im Betrieb zu interagieren. "Bei Zuwiderhandlung mussten die Beschäftigten zu eindringlichen Gesprächen im Personalbüro erscheinen und über die Inhalte ihrer Konversationen mit der Zielperson Auskunft geben."
Das kennt auch Albrecht Kieser von "Work Watch": "Es kommt immer wieder vor, dass Vorgesetzte die gesamte Belegschaft unter Druck setzen, sich von einem bestimmten Kollegen abzuwenden." Die totale Isolierung soll die Betroffenen zur Aufgabe zwingen, damit sie den Betrieb verlassen. Dazu gehört auch die "Pathologisierung" von renitenten Beschäftigten. "Den Betroffenen wird suggeriert, sie seien krank, ihr Widerstand sei pathologisch, neurotisch, Folge einer Persönlichkeitsstörung." […]
"Wir müssen uns zusammenschließen"
Die hier geschilderten Fälle mögen extrem sein. Ausnahmen sind minutiöse Überwachung, Schikanen und Psychoterror in der Arbeitswelt allerdings nicht. Wer sich einmal in den Fängen eines fiesen Chefs oder einer übergriffigen Chefin befindet, kommt da so schnell nicht mehr heraus. Und auch wenn die Belastung im Job moderat ist, man Mobbing nur ab und an erlebt, kann das auf Dauer krank machen.
1 Kommentar verfügbar
Peter Bähr
vor 8 StundenZitiert aus "Hilde Domin, Abel steh auf, Gedichte, Prosa, Theorie", Reclam, 2008, S. 77.