Der George-Floyd-Platz sollte das Gedenken sichtbar machen. Ein Jahr nachdem der Afroamerikaner in Minneapolis von einem Polizisten ermordet wurde, setzte eine globale Protestbewegung Zeichen gegen Rassismus. In Stuttgart hatten AktivistInnen den Erwin-Schoettle-Platz im Süden der Stadt mit selbstgemachten Straßenschildern vorübergehend umbenannt. Verantwortlich ist das Bündnis "0711 united against racism", das zum Todestag Floyds erklärt: "Überall werden BPoC (Black and People of Color) verfolgt und unterdrückt. Immer wieder sterben Menschen – auch hier in Deutschland. Oury Jalloh, Christy Schwundeck, Amad Ahmad, Qosay Khalaf … und das sind nur die bekanntesten Fälle von tödlicher Polizeigewalt."
Zusammen mit antifaschistischen Initiativen hatte die Vereinigung zu Demonstrationen aufgerufen. Am Marienplatz nahe der Stuttgarter Karlshöhe versammelten sich rund 350 Menschen. "Die Hoffnung war groß", berichtet eine Protestierende, die nicht mit ihrem Namen genannt werden möchte. "Schon vor einem Jahr haben wir bei verschiedenen Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt mitgemacht. Geändert hat sich die Lage nicht." Auch "0711 united" benennt die Fremdenfeindlichkeit mit System: Rassistische Morde seien keine Einzelfälle.
Mit einer Sprachnachricht meldete sich in Stuttgart auch Barsan Mehdi, der Cousin von Qosay Khalaf, zu Wort. Im März kollabierte sein Verwandter im niedersächsischen Polizeigewahrsam, wo er wenig später unter ungeklärten Umständen verstarb. Qosay, sagt der Cousin, habe "sein Ziel nie aus den Augen verloren und er hat direkt angefangen zu arbeiten, um seine Familie im Kriegsgebiet zu unterstützen." Khalaf ist 2015 aus Südkurdistan geflohen, um dem Völkermord an JesidInnen durch den IS zu entgehen. "Es schien alles perfekt zu sein", berichtet Mehdi. Bis sich sein Cousin "zur falschen Zeit am falschen Ort einen Joint anzünden wollte, wie es wahrscheinlich Millionen andere Menschen in diesem Land tun – nur musste er mit seinem Leben bezahlen. Warum? War sein Leben in den Augen der Beamten nicht lebenswert? Nicht wert, ordnungsgemäß behandelt zu werden? Wieso schlug man ihn?" Er fordert eine lückenlose Aufklärung.
Die Morde: "Spitze eines Eisbergs"
Nach Mehdis Redebeitrag verstummten die Anwesenden für eine Minute, um der Todesopfer rassistischer Polizeigewalt zu gedenken. Offizielle Statistiken dazu gibt es in der Bundesrepublik nicht. Doch die Kampagne "Death in Custody" führt eine Chronik für Deutschland. "Aktuell wissen wir von 184 Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Personen in Polizeigewahrsam und durch Polizeigewalt", heißt es auf der Website – wobei nur die Fälle seit 1990 berücksichtigt wurden.
2 Kommentare verfügbar
Wolfgang Jaworek
am 04.06.2021