In München hatten wir eine riesige Demo für Black Lives Matter. Die Veranstalter dachten, es kommen 200 Leute auf den Königsplatz. Und dann kamen 25.000! Ich wurde gebeten, ein paar Worte zu sagen. Also habe ich gesagt: "An diesem Platz stand einmal Adolf Hitler, dieser Arsch, und vor ihm standen Tausende schwarz gekleidete SS-Leute und Braunhemden der SA, Und jetzt stehen hier schwarze und braune Menschen, Menschen in diesen zwei Farben, und stellen ganz etwas anderes dar." Ich hätte nie gedacht, dass ich als schwarzer Amerikaner in Deutschland noch eine solche Massenbewegung erlebe.
Was können wir denn tun? Wir Weißen?
Ihr müsst nicht nur mit den Schwarzen reden! Die Weißen müssen vor allem mit sich selbst reden! Warum gibt es Rassismus? Warum sind die Schwarzen so wütend, warum sind die Jungs unterwegs mit ihrem Rap, mit den Attitüden der Gewaltsamen, des Gefährlichen? Warum? Diese Attitüden kommen von einer jahrhundertelang unterdrückten Wut und Angst, das man nicht dazu gehört. Dass man schnell sein Leben verlieren kann, wenn ein Polizist einen auf der Straße anhält. Walking while black, sleeping while black, living while black – das hat man in Amerika immer vor Augen, und daher kommt diese Wut. Die haben die Amerikaner seit Jahrhunderten mit ihrer Ungerechtigkeit, ihrer Feigheit, ihrer eigenen Schwäche anzuerkennen, dass es Rassismus gibt, befeuert. Und anstatt zu sagen, ja, wir müssen was dagegen machen, wurde die Diskussion blockiert. Seit Roosevelt waren die Republikaner immer die Handbremser, wenn es um schwarzes Wahlrecht ging oder Lockerungen von Polizeigesetzen. Das ist heute noch so. Und nicht nur in den USA. Die Weißen in Amerika, die weißen Deutschen, die Franzosen, die Engländer müssen dieses Thema mit sich ausmachen. Ich höre immer wieder: Ihr habt doch eure Stars, eure Basketballspieler, was wollt ihr denn, seid nicht so ungeduldig, ihr Schwarzen. Immer dieselben Argumente. Seit Martin Luther Kings Tod 1968 hat sich schon etwas verändert, aber die wesentlichen Eckpunkte nie. Aber das ist jetzt vorbei. Jetzt ist scheinbar der Groschen gefallen. Und zwar laut. Ich hoffe, dass wir dieses Mal die Kurve kriegen. Wir müssen uns bewusst werden, dass es an den Weißen liegt.
Hier in Stuttgart gibt es seit einiger Zeit eine Initiative, die die Kolonialgeschichte der Stadt aufarbeiten möchte ...
Unbedingt!
Es gibt auch eine Führung, unter anderem zum Restaurant "Drei Mohren". Am Haus sind drei halbnackte Schwarze mit Lendenschurz abgebildet.
Warum stehen da nicht jeden Tag die jungen Schwarzen und demonstrieren dagegen? Das ist so ein wichtiges Thema. Ich selbst wohne in der Lüderitzstraße. Das war einer der Generäle der Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika ...
Sie haben Ihre Abschlussarbeit auf der High School über Friedrich den Großen geschrieben. Wie kamen Sie ausgerechnet auf ihn?
Ja! Da sagten alle, ich sei blöd. Friedrich der Große? Mach doch über George Washington, Benjamin Franklin, Lincoln, wir haben hier doch genug berühmte Leute. Aber dieser Junge, der musisch unterwegs war, der Voltaire liebte, und dann kommt der Papa und prügelt ihn zum Soldatenkönig. Wie er darunter gelitten hat! Diese ungeheuer preußische Geschichte fand ich faszinierend. Und dann kamen Hitler und die Nazis und haben diese Geschichte umgedichtet, um ihren braunen Mist zu rechtfertigen. Wie kann es sein, dass ein Land nach Hegel, Bach und Beethoven zwölf Jahre in diesem braunen Zeug versinkt? Und innerhalb von fünf, sechs, Jahren ist es wieder eine demokratische Republik. Schon als Teenager dachte ich: Deutschland muss ich kennenlernen.
In den Sechzigern sind Sie dann tatsächlich nach Deutschland gezogen. Und das als Kalifornier! Warum?
Damals nannte man mich Ronnie "The Lawyer", weil ich mich eingemischt habe, wenn ich Ungerechtigkeit witterte. Ich hatte ein Stipendium an der Dartmouth University in Connecticut, das war für einen Schwarzen zu der Zeit sehr besonders. Mein Onkel war klassischer Sänger, Bariton, meine Tante saß immer am Steinway, und ich hörte ihn Lieder auf Deutsch singen, es war wunderbar. Er sagte zu mir: Ron, pass auf, du warst als Kind in sechs Heimen, das ist nicht gut für die Seele. Statt an die Uni zu gehen und dort Druck zu haben, geh zum Militär, such dir ein Land aus, wo du was erleben kannst, und dann komm zurück und schau, was du machen willst. Also gut, dachte ich. Luftwaffe, ne, Marine, ne, aber Armee? Ja, das könnte ich probieren. Also habe ich eine Ausbildung als Militärpolizist gemacht.
Wann haben Sie das erste Mal Rassismus erlebt?
In Kalifornien habe ich null Rassismus erlebt. Für die Ausbildung zum Militärpolizist bin ich nach Augusta, Georgia. 1960 war das Ku-Klux-Klan-Land. Da landete ich als schwarzer, junger, frecher Kerl mit losem Mundwerk, Ronnie "The Lawyer" eben, am Flughafen. Es war heiß und ich laufe in die Halle zu einem Wasserspender, hab getrunken und jemand klopft mir auf die Schulter, ein weißer Sheriff: "Boy", so wurden die Schwarzen immer genannt, "dein Wasser ist da drüber, das hier ist für Weiße." "For whites only" stand da, und auf der anderen Seite stand "for colourds only". Und ich sagte: "Moment mal, ich heiße nicht Boy", ich zeigte auf mein Namensschild und wollte grade loslegen, da nimmt mich mein Sergeant zur Seite: Ron, das hier ist nicht Kalifornien, das hier ist Dixieland. Da hab ich gemerkt, oh, hier ticken die Uhren anders. Dann hatten wir einen freien Tag, und unser Captain sagte: Ihr schwarzen Jungs, ich muss euch warnen, bitte in Gruppen gehen, keine weißen Mädels ansprechen, wenn ihr einkaufen wollt, geht nicht vorne, sondern hinten rein. Ich dachte, wo bin ich hier? Ich trage die Uniform der amerikanischen Armee und kann nicht normal durch die Stadt laufen? Das war übel. Dann war ich in Virginia als einziger Schwarzer in einer Polizeieinheit. "Nigger dies", "Nigger das", "fuck you, boy", hieß es immer. Einmal war ich mit einem weißen Mädchen Icecream essen. Irgendwelche weißen Jungs haben mich gesehen und mich fertig gemacht. Ich sprach zu gutes Englisch, ich sah gut aus, war gescheit, das gefiel denen nicht. Es endete in einer Baracke mit einem Bajonett an meinem Hals und lauter weißen Rednecks um mich rum, die sagten: Wir stechen dich jetzt ab. Ich dachte, jetzt sterbe ich.
Üble Geschichte. Wie kamen Sie raus aus der Situation?
Es gibt ein Geräusch, das machte unsere damalige Dienstwaffe, ein 45er Colt, wenn die Kugel einrastet. Wenn dich so eine Kugel trifft, die macht ein Loch, so groß wie ein Apfel. Dieses Geräusch hörte ich und denke: Scheiße, jetzt werde ich abgeknallt. Und dann hörte ich die Stimme von einem Schwarzen am Ende der Baracke, er zielte mit beiden Händen auf die weißen Jungs und sagte: "Hey ihr weißen Arschgeigen, wenn ihr die Finger nicht von meinem schwarzen Bruder lasst, schieße ich euch die Rassistenköpfe weg." Er hat mich gerettet und wurde mein Freund. Solche Dinge habe ich häufig erlebt und mich dann mit Hilfe meines Kongressabgeordneten versetzen lassen nach Deutschland. So wurde ich Journalist und AFN-Sprecher in Stuttgart.
War das nicht ein bisschen vom Regen in die Traufe? In den Sechzigern in Deutschland, da sind hier lauter Altnazis rumgelaufen.
Ja klar, die habe ich auch kennengelernt. Ich habe in den Robinson Barracks am Burgholzhof gewohnt und mir als erstes eine Vespa gekauft, um rumzusausen. Ich wollte ja wissen, was los ist mit den Deutschen.
Und?
Damals waren zu viele sehr konservativ. Aber ich habe auch gemerkt, das viele Opfer waren. Wenn ein Mensch wie Hitler an die Macht kommt, und du bist 17 oder noch jünger – was machst du? Du machst mit und lebst hinterher im unbeliebtesten Land der Welt mit so einer Geschichte, das ist schon schwierig. Mein deutscher Ziehvater ging sonntags immer zum Frühschoppen. Da lernte ich einen Ex-SS-Oberst kennen. Der brauchte einen Chauffeur. Ich dachte: Haja, großer Mercedes, klar mach ich das! Das war mein erster Job nach der Armeezeit. Der Oberst fuhr gern nach Österreich zu seinen Kriegskameraden, um zu trinken, Skat zu spielen und über den Krieg zu reden. Damals habe ich meine kabarettistischen Stimmen gelernt, denn je mehr diese Männer tranken, desto lauter wurden sie, es war wie in einem Sketch – mit Messer, Gabel, Salz und Pfeffer haben sie ihre Divisionen nachgestellt. Und ich saß daneben und dachte, das ist eine Welt, die ich bei der Armee nicht hätte kennenlernen können.
Und dann saßen Sie als Schwarzer mit diesen Leuten am Tisch?
Ja. Ich war akzeptiert, weil mein Deutsch gut war, ich konnte schwäbeln, Witze erzählen. Ich war quasi, Verzeihung, deren "Neger". Ich habe auch gestritten! Aber immer mit Humor. Daraus habe ich meine Kabarett-Karriere begonnen als erster US-amerikanischer, als erster schwarzer politischer Kabarettist. So habe ich gelernt, wie ich als Schwarzer vor einem deutschen Publikum stehen kann. Die Figuren konnte ich so spielen, dass sie witzig waren, aber mit Biss. Die Leute lachen, aber es tut weh. Das konnte ich, weil ich Menschen kennengelernt hatte, die so waren, wie ich sie dargestellt habe. So konnte ich das Thema Rassismus immer wieder auf die Bühne bringen.
3 Kommentare verfügbar
Ron ist der Botschafter gegen den Rassismus!
am 01.07.2020