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In Deckung!

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Wer kennt es nicht? Da spaziert man frohen Mutes durch den Wald, pfeift ein munteres Wanderlied – und ehe man sich versieht, begegnet man einem Bären, oh weh. 42 gefletschte Zähne, 800 Kilogramm Körpergewicht, alles zerberstende Pranken – da scheint es naheliegend, einfach aufzugeben und zu sterben. Aber gibt es denn keine bessere Lösung? Doch, jetzt gibt es die! Denn dank dem WWF und seinen praktischen "Verhaltenstipps im Bärengebiet" muss eine Konfrontation nicht automatisch Game over heißen.

"Nähern Sie sich dem Bären auf gar keinen Fall und kommen Sie nicht auf die Idee, ein Selfie mit dem Tier zu machen", lauten zwei einsteigerfreundliche Kunstgriffe, die sich auch ohne intensives Training meistern lassen. Und – ein klassischer Anfängerfehler! – "begeben Sie sich niemals zwischen eine Bärenmutter und ihre Jungen".

Tendenziell sinken die Überlebenschancen rapide, wenn sich der Bär zum Angriff entscheidet. Doch mit dieser einfachen Schritt-für-Schritt-Anleitung können Sie auch dieser kniffligen Situation entrinnen. Erstens: in Deckung gehen ("Legen Sie sich flach auf den Bauch oder kauern Sie sich auf den Boden"). Zweitens: "Warten Sie, bis der Bär von Ihnen ablässt." Wenn alles nach Plan läuft, sind Sie damit auf der sicheren Seite. Denn in Deckung zu gehen, ist der vermutlich krasseste Lifehack der Menschheitsgeschichte und hilft nicht nur gegen alle Raubtiere und die atomare Bedrohung, sondern, so lernt man es bei "South Park", sogar bei Vulkanausbrüchen: Wer gut genug kauert, hat von Lava nichts zu befürchten (Stichwort: duck and cover).

Nun begegnen zwar die Superhelden der "Fantastic Four" in der Verfilmung von "Rise of the Silver Surfer" einem Grizzly im Schwarzwald. Tatsächlich aber sind die Chancen, in der Bundesrepublik einem Bären über den Weg zu laufen, eher überschaubar: Die Familie gilt in Deutschland seit 200 Jahren als ausgerottet. Doch wer sich damit auf der sicheren Seite wähnt, urteilt vorschnell. Erinnert sei nur an JJ1, der breiteren Öffentlichkeit als "Bruno" bekannt: 2006 marschierte der italienische Braunbär über die Alpen und versetzte Bayern respektive Edmund Stoiber in Angst und Schrecken. Der beste Kanzler, den Deutschland niemals hatte, popularisierte daraufhin nicht nur die Unterscheidung zwischen Normalbär, Schadbär und Problembär. Die Gemengelage bewegte ihn obendrein zu seinem, neben dem "Münchner Flughafen", vielleicht berühmtesten Aphorismus: "Es ist ganz klar, dass, äh, dieser Bär, äh, ein Problembär ist, und, äh, es ist im Übrigen auch, äh, im Grunde genommen, äh, durchaus, äh, ein, ähm, gewisses Glück gewesen. Der hat um ein Uhr nachts, äh, praktisch, äh, diese Hühner gerissen. […] Und stellen Sie sich mal vor, äh, die Leute wären raus und wären praktisch jetzt, äh, dem Bären, äh, praktisch begegnet, äh – was da hätte passieren können!" Schrecklich wäre das geworden. Wenn die Leute nicht wissen, dass sie sich ducken können.

Ebenfalls in Deckung gehen muss aktuell Baden-Württembergs Ministerpräsident, nachdem er Wasser gepredigt und Wein gesoffen hat: Eine Zeugin hat den grünen Landesvater dabei fotografiert, wie er sich am Flughafen Tegel ein paar Süßigkeiten schmecken lässt – ohne Maske! Die Aufregung ist groß, ist das Foto echt? Der SWR ist der Sache auf den Grund gegangen, konnte die Authentizität bestätigen und ein Regierungssprecher räumt ein: "Eindeutig isst Herr Kretschmann etwas. Das ist mit Maske ja schlecht möglich." Aha! "Erwischt!", freut sich nicht nur die "Bild", auch zigtausende Social-Media-Nutzer wollten dem Grünen vorhalten, dass er ein Heuchler sei. Dabei waren sie so zahlreich, dass die Facebook-Seite des Ministerpräsidenten vorübergehend vom Netz genommen werden musste. "Insgesamt seien in 20 Stunden über 4.000 Kommentare eingegangen, die einen normalen Betrieb der Seite unmöglich gemacht hätten", zitiert der SWR das Staatsministerium. Da fragt man sich schon ein bisschen, warum dieses Shitstorm-Potenzial bei den wirklichen Skandalen ungenutzt bleibt.


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1 Kommentar verfügbar

  • Harald Artur Irmer
    am 01.07.2020
    Antworten
    Der Wald braucht seine Ruhe!

    Und dazu sind Wölfe und Bären allerbestens geeignet. Mal angenommen, ein Wolf oder ein Bär tötet einen Spaziergänger. Das wird dann natürlich sofort von den Naturschützern relativiert: "Ein Toter durch ein Wildtier ist ein Vogelschiss verglichen mit der Anzahl der…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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