Stuttgarts Oper soll für etwa eine Milliarde Euro saniert werden. Weil das aber extrem viel Geld und die Maßnahme zu diesem Preis, gelinde gesagt, umstritten ist, sollen die BürgerInnen ran. Eigentlich hätte die ebenfalls umstrittene Beteiligungsveranstaltung zur Opernsanierung am 6. und 13. März stattfinden sollen; der Termin wurde abgesagt, unter anderem wegen Corona und Grippe.
"Die Verschiebung", teilt nun die Initiative "Aufbruch Stuttgart" rund um den ehemaligen Nachtcafé-Moderator Wieland Backes mit, "bietet die Chance, das Beteiligungsverfahren in der Zwischenzeit grundlegend zu verbessern." In den vergangenen Wochen seien viele kritische Punkte moniert worden (Kontext berichtete), etwa dass "die Zahl von 40 ausgewählten Zufallsbürgern für einen verlässlichen Aussagewert wenig geeignet ist". Unterstützung gebe es für diese Argumentation gerade "von Seiten der Wissenschaft".
Es gibt allerdings auch genau das Gegenteil: Zahlreiche Initiativen und Institute, Stiftungen, Vereine und Verbände haben sich der Kunst des gemeinsamen Denkens verschrieben, die Studien, die Untersuchungen, die Evaluierungen und positiven Erfahrungen stapeln sich, von Konstanz bis Kiel, auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene – und längst nicht mehr nur in der Bregenzer Jahnstraße, wo die Regierung des Landes Vorarlberg ihr Büro für Zukunftsfragen unterhält. Aber die VorarlbergerInnen sind die mit der besonders großen Erfahrung.
Gute Erfahrungen mit den Zufallsbürgern
Dutzende kommunale und elf landesweite Zufallsforen, BürgerInnen-Räte genannt, haben in den vergangenen 15 Jahren stattgefunden, jüngst zur Ausrichtung der Landwirtschaft im westlichsten österreichischen Bundesland. Seit wenigen Tagen stehen die Konsequenzen online, die die schwarz-grüne Landesregierung aus der Konsultation der Bürgerschaft gezogen hat. Darunter die Zusage, die erforderlichen Maßnahmen und Aktivitäten "konsequent auszubauen", um den angestrebten Anteil von 50 Prozent Biolandwirtschaft tatsächlich zu erreichen. In Vorarlberg steht diese Form der Beteiligung mittlerweile in der Landesverfassung. Bei knapp 400.000 EinwohnerInnen genügen 1.000 Unterschriften, um das Beteiligungsverfahren auszulösen.
In Frankreich sind Räte mit gelosten Mitgliedern zur festen Einrichtung geworden. 2014 wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, nachdem die von der Regierung eingesetzte Fachkommission eine entsprechende Empfehlung unterbreitete: 1.300 solcher Gremien existieren inzwischen mit dem Auftrag, vor allem in benachteiligten Gebieten Themen der Stadtentwicklung zu diskutieren und über Veränderungen mitzuentscheiden. Die erste fünfjährige Legislaturperiode läuft derzeit aus und wird wissenschaftlich bewertet. Unabhängig davon werden neue BürgerInnen-Räte abermals für fünf Jahre bestellt.
Backes und sein "Aufbruch" bemängeln das Opern-Verfahren als "unfair und wissenschaftlich nicht seriös, weil die Stichprobe von 40 Bürgern zu klein ist". Daraus sei keine verlässliche Aussagekraft abzuleiten. Viele BefürworterInnen, wie Susanne Pickel, Politikprofessorin an der Uni Duisburg-Essen, halten mit den erfolgreichen Beispielen dagegen, etwa mit der Befriedung großer gesellschaftspolitischer Konflikte, allen voran die überraschenden positiven Voten zur Homo-Ehe und zum Schwangerschaftsabbruch im katholischen Irland.
Über beide Fragen war auf dem Inselstaat jahrelang erbittert gestritten worden. Diskutiert wird in Fachkreisen nicht mehr, ob Zufallsforen sinnvoll sind, sondern vor allem, wie die politisch Verantwortlichen reagieren müssen. "Nehmen Politiker die Empfehlungen an", weiß Pickel, "so ist dies ein starkes Zeichen für die Mitwirkung und dafür, dass Initiativen aus der Zivilgesellschaft zum Gelingen der Demokratie beitragen." Zufällig ausgewählte BürgervertreterInnen seien in der Lage, heißt es in einer Analyse des Berliner Instituts für Partizipation, "in hohem Maße Gemeinwohlinteressen abzubilden".
Negativbeispiel Filderdialog
Das gilt auch in Baden-Württemberg. In Pforzheim, Freiburg und Mannheim wurde die Beteiligung im Modell erprobt, viele Städte und Gemeinden zogen nach. Im Landtag hatten 25 ZufallsbürgerInnen eine Stellungnahme zur Altersversorgung abzugeben. Zunächst wurde sie von der Unabhängigen Expertenkommission berücksichtigt und dann von den Abgeordneten selber übernommen. Die zahlen jetzt in ein bereits bestehendes Versorgungswerk ein. "Sie dürfen stolz sein", lobte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne), "denn Sie haben große Wirkung erzielt mit Ihren Ergebnissen, die in unseren Beschluss eingeflossen sind."
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