Wie tun Sie das?
Politische Bildung ist beileibe nicht nur Institutionenkunde. Es gibt viele innovative Formate. Ein schönes Beispiel ist das Projekt "Läuft bei Dir", das wir mit der Baden-Württemberg-Stiftung und der Stiftung Weltethos ausgearbeitet haben. Es geht um Demokratiebildung für Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen. Dafür wurde unter anderem ein Escape-Room medienpädagogisch aufgerüstet: mit Rätseln, die sich um den geplanten Shitstorm eines Hackers ranken. Die Jugendlichen sollen seinen Umtrieben im Netz auf die Spur kommen. Spielerisch setzen sie sich mit Fake News, unseriösen Quellen und gefälschten Bildern auseinander. In der Nachbereitung werden die Erfahrungen diskutiert.
Sind durch diese gesellschaftliche Verunsicherung auch die Erwartungen an die politische Bildung gestiegen?
Wir erleben eine Repolitisierung des Diskurses. Die Shell Jugendstudie 2019 zeigt, dass die Jugend heute wieder deutlich politischer ist als noch vor zehn Jahren. Die jungen Leute spüren, dass etwas passiert in der Gesellschaft. Sie wollen Stellung beziehen, sie brauchen dazu Informationen, sie brauchen Möglichkeiten, Dinge einzuordnen. Wir profitieren davon, dass uns die Bevölkerung großes Vertrauen entgegenbringt. Die Erwartungen sind gestiegen, aber unsere zentralen Themen haben sich nicht verändert. Wir beschäftigen uns schon lange mit Demokratie, Erinnerungskultur, Antisemitismus, Frieden und auch Ökologie.
Aber Sie hätten vor zehn Jahren noch kein Seminar angeboten mit dem Titel "Rechten Parolen Paroli bieten", wie Sie das jetzt im Haus auf der Alb tun.
Das stimmt. Das Angebot trifft den Nerv unserer Zeit. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen sich in die Debatten einmischen, wollen Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung oder auch ganz allgemein Rechtsstaatlichkeit und Parlamentarismus verteidigen. Sie merken, dass die Grundlagen wichtig werden. Eine Rolle spielt auch die Glaubwürdigkeitskrise der Medien. Die Menschen sagen, zur Landeszentrale kann ich gehen, da krieg ich Informationen, denen ich trauen kann – keine Fake News. Wenn wir vor zehn Jahren eine Veranstaltung zu Meinungs- und Pressefreiheit angeboten hätten, wäre kaum jemand gekommen. Heute ist das Haus voll. Und das freut uns. Der Rechtspopulismus hat nicht nur auf seiner Seite mobilisiert, sondern eben auch bei denjenigen Menschen, die sich für Demokratie und Rechtsstaat einsetzen wollen. Diese Motivation gilt es zu stärken.
Die Angriffe von rechts zwingen Sie also, vermehrt über die Grundlagen der politischen Bildung zu sprechen, und Sie werden mehr gehört?
Ja, der Erfolg des Rechtspopulismus zeigt, wie notwendig es ist, den Blick für die Bedeutung von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu schärfen. Welche Auswirkungen haben die Grundrechte für jeden Einzelnen? Oder umgekehrt gefragt: Wie wäre ein Leben ohne Meinungsfreiheit, ohne Gleichheit vor dem Gesetz, ohne verbürgte Rechtsstaatlichkeit? Um welchen Lernprozess ging es nach dem Ende der NS-Diktatur bei der Verankerung der Grundrechte in unserer Verfassung? In den vergangenen Jahrzehnten eines ständigen Wirtschaftswachstums wurde einiges versäumt, Demokratie war wie gesetzt, irgendwie da. Verfassungspatriotismus wurde als "blutleer" abgetan. Durch die Infragestellung von Demokratie und repräsentativem Parlamentarismus wird jedoch deutlich: Demokratie muss immer aufs Neue errungen werden. Dieser Auftrag richtet sich ganz unmittelbar an eine Institution wie die Landeszentrale für politische Bildung.
Die Landeszentralen sind ja so unterschiedlich wie die Länder, in denen sie angesiedelt sind. Bedauern Sie manchmal die Kollegen in Thüringen?
Ich würde mal sagen: Auch in Thüringen steht die politische Bildung vor großen Aufgaben. Sie muss begreiflich machen, weshalb eine demokratische Regierung vom ersten Moment an demokratische Mehrheiten benötigt und warum man den Parlamentarismus nicht schleichend aushöhlen darf – Stichwort "Expertenregierung". Die Landeszentralen sind sicher so unterschiedlich wie die Länder, das ist das Konzept des Föderalismus. Aber positiv finde ich, dass in Niedersachsen, wo die Landeszentrale für politische Bildung unter dem Ministerpräsidenten Christian Wulff abgeschafft wurde, seit drei Jahren wieder eine Landeszentrale steht.
Seit Januar sind Sie Co-Direktorin bei der Landeszentrale, arbeiten dort bereits seit neun Jahren. Hat der Druck zugenommen?
Es kann ja gar nicht genug politische Bildung geben. Deshalb machen wir gerne viele Angebote und werden in den letzten Jahren dabei auch von der Politik stark unterstützt. Es werden auch verstärkt Anfragen von außen an uns herangetragen. Ein aktuelles Beispiel sind die "Omas gegen rechts", die an vielen Orten in Baden-Württemberg von Frauen gegründet werden – von Frauen, von denen sich nicht wenige erstmals politisch engagieren. Eine wichtige Entwicklung ist, dass wir eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, etwa im Bereich der Gedenkstättenarbeit, wo wir ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger bei ihrer Arbeit unterstützen. Wir vergeben dort Fördermittel, wie auch im Bereich "Demokratie stärken!" mit dem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Unsere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft erfolgt auf Augenhöhe und trägt dazu bei, dass ein dichtes Netzwerk über das Land gelegt wird von Aktiven, die in der politischen und in der historisch politischen Bildung unterwegs sind.
6 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 03.03.2020Der SWR sendet gestern in Hörfunk und Fernsehen: Schüler lernen mit Planspiel wie der Rechtsstaat funktioniert https://www.ardmediathek.de/swr/player/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzEyMDcyMTY/schueler-lernen-mit-planspiel-wie-der-recht…