Die Aussagen der Polizei grenzten an eine Vorverurteilung. Es handle sich um "einen in seiner Gesamtheit gewalttätig handelnden Mob", und wer da mitmarschiere, mache sich strafbar. Das sagte Jan Hieber, Leiter der Sonderkommission "Schwarzer Block", auf einer Pressekonferenz, nachdem am frühen Morgen des 5. Dezembers 2017 bundesweit Razzien in 24 Objekten durchgeführt wurden. Hieber bezog seine Worte nicht auf die schweren Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel in der Nacht auf den 8. Juli 2017 im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel, deren Bilder von Chaos und Gewalt, schwarzem Rauch und brennenden Barrikaden sich tief ins Gedächtnis eingebrannt haben. Hintergrund der Maßnahmen war ein Vorfall viele Stunden zuvor: Etwa 200 Demonstranten zogen, zum Teil vermummt, am 7. Juli frühmorgens in die Hamburger Innenstadt und wurden in der Straße Rondenbarg von der Polizei gestoppt.
Die Situation eskalierte, nach Angaben der Hamburger Staatsanwaltschaft sollen insgesamt 18 Gegenstände – eine Fackel, ein Böller und Steine – in Richtung der Beamten geflogen sein, die behelmt und mit Schlagstöcken gegen die AktivistInnen vorgingen. Dabei wurden DemonstrantInnen gegen einen Zaun gedrängt und stürzten, als dieser dem Druck nachgab, etwa zwei Meter in die Tiefe. Die Bilanz des Einsatzes: keine verletzten Polizisten, 14 teils schwer verletzte AktivistInnen. Die 18 aus dem "in seiner Gesamtheit gewalttätig handelnden Mob" geworfenen Gegenstände rechtfertigten anschließend 76 direkte Festnahmen und später die Razzien am 5. Dezember gegen 22 Beschuldigte – darunter eine Lilo-Herrmann-Bewohnerin –, bei denen insgesamt 583 PolizistInnen im Einsatz waren.
In Stuttgart sei das "eine filmreife Inszenierung" gewesen, <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik verhaeltnismaessigkeit-rammbock-4781.html _blank internal-link-new-window>sagte damals ein Sprecher des linken Zentrums Lilo Herrmann im Gespräch mit Kontext. Der ganze Straßenzug vor dem Szenetreff, dessen Obergeschosse AktivistInnen als Wohnraum dienen, wurde damals abgesperrt, zwei Dutzend Beamte stürmten das Gebäude in schusssicheren Westen. Die Eingangstür unten knackten sie per Elektrodietrich, die oben, zur WG der beschuldigten Bewohnerin, per Rammbock. Etwas Verbotenes entdeckten die Einsatzkräfte dabei nicht, statt Waffen beschlagnahmten sie einen Laptop, ein Handy, ein paar Flyer und einen Autoschlüssel. Es sei ihnen ein Anliegen, "Strukturen offenzulegen", hatte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer damals den Einsatz kommentiert: "Es ging darum, näher an den Kern der autonomen Szene heranzukommen, als das bisher der Fall war."
Kompetenzen überschritten
Diese Aussagen sind, wie auch der Vorgang selbst, gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Denn einerseits ist es gar nicht die Aufgabe der Polizei, mutmaßlich extremistische Strukturen offenzulegen oder näher an den Kern einer Szene heranzukommen – das fällt in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsschutzes, der wiederum keine Hausdurchsuchungen durchführen darf. Daher liegt nahe, dass die Behörden hier ihre Kompetenzen überschritten und gegen das gesetzlich verankerte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten verstoßen haben. Andererseits muss die Exekutive in der Strafverfolgung Grundsätze der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen. Spannend wäre, ob ein Gericht diese als gewährleistet ansieht, angesichts von 18 geworfenen Objekten, die niemanden verletzt haben, 76 Festnahmen bei 200 DemonstrationsteilnehmerInnen und zwei Dutzend Hausdurchsuchungen mit fast 600 Beamten im Einsatz.
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Philippe Ressing
am 07.12.2018