Als der Hammer des französischen Außenministers Laurent Fabius niedersauste, brach der Tumult los. Menschen lagen sich in den Armen, viele weinten hemmungslos, andere rissen die Arme hoch, applaudierten und schrien vor Begeisterung. Manche saßen zusammengesackt und vollkommen erschöpft in ihren Stühlen. Paris, Dezember 2015: Soeben war mit dem finalen Hammerschlag das historische Klimaabkommen beschlossen worden. Zum ersten Mal haben sich alle Nationen hinter einem ambitionierten Klimaziel versammelt, alle Staaten müssen ihren Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen. Was 2009 auf der Konferenz in Kopenhagen noch krachend gescheitert war, ist in Paris gelungen. Eine globale Vereinbarung: Die Erderwärmung soll unter zwei Grad gehalten werden, 1,5 Grad sind das Ziel.
Zehn Jahre danach sind die 1,5 Grad schon erreicht. Der EU-Klimadienst "Copernicus" hatte zum Jahreswechsel 2024/25 gemeldet, dass die Erderwärmung im zu Ende gegangenen Jahr die Messlatte von 1,5 Grad erstmals gerissen hat. Wir sind bei 1,6 Grad gelandet, viel schneller als vorhergesagt. Wer große Stichflammen der Erregung erwartet hatte, ist enttäuscht worden. Die Nachricht wurde entgegengenommen wie eine Mitteilung des Bundes der Steuerzahler. Achselzuckend. Dabei waren die 1,5 Grad doch der Fixstern von Paris, das heilige Eichmaß der Klimapolitik, auf das sich seit der Klimakonferenz 2015 alle Akteure stets bezogen haben.
Aber die 1,5 Grad waren eben nur eine politische Zielmarke. Mit ihrer regelmäßigen Ausrufung ließ sich entschlossener Klimaschutz insinuieren, ohne ihn mit konkreten Maßnahmen unterfüttern zu müssen. Der Geburtsfehler von Paris ist offensichtlich: Das Klimaabkommen war eine freiwillige Vereinbarung. Jedes Land und jede Regierung kann ihr eigenes Tempo und ihre eigenen "Contributions", ihre Nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs), selbst bestimmen. Eine regelmäßige Berichterstattung und Überprüfung des Fortschritts sind zwar Teil des Abkommens, aber Sanktionen sind nicht vorgesehen.
Addiert man die gegenwärtig vorliegenden NDCs aller Nationen, dann würde das globale Fieberthermometer nicht um 1,5 oder 2, sondern um 2,7 Grad steigen. Weil die gemeldeten Emissionsminderungen aber nur auf dem Papier stehen und noch längst nicht umgesetzt sind, muss man – realistisch betrachtet – eher von einer Erdüberhitzung von 3 bis 3,5 Grad ausgehen. Das wäre ein Zukunftsverbrauch mit katastrophalen Folgen für das Leben auf diesem Planeten.
Die Katastrophe irgendwie beherrschbar machen
Mit dem Scheitern des Zwei-Grad-Ziels geht es jetzt vor allem um ein Overshooting-Management, so das neue Codewort der Klimawissenschaft. Das "Überschießen" der noch beherrschbaren Temperaturen muss so flach wie möglich gehalten werden. Auf Deutsch: Die Verheerungen der unvermeidbaren Katastrophe dürfen nicht zu groß werden. Damit bleibt das Klimaabkommen von 2015 im jetzt notwendigen Kampf um jedes Zehntelgrad immerhin ein Bezugspunkt. Auch für die Justiz, die in den Jahren seit Paris eine Reihe von erstaunlichen Urteilen gefällt hat, mit denen Regierungen auf den Klimaschutz verpflichtet wurden.
Zehn Jahre nach Paris gehört es zu den wunderlichen Zufällen des Lebens, dass punktgenau am Jubiläumstag die Bahnstrecke durchs Ahrtal wieder in Betrieb genommen wurde. Die Freude darüber wurde gedämpft durch den unvermeidlichen Flashback. Die Bilder der Verwüstung im Juli 2021 flimmerten wieder durch die Wohnzimmer, die Schreie der Eingeschlossenen im Behindertenheim, die Verzweiflung der 17.000 Menschen, die in der Flut Hab und Gut verloren. Mitten in der jetzt zu beobachtenden reaktionären Phase der Klimapolitik kommt der Erkenntnisschock zurück. Wir erinnern uns an die existenzielle Wucht der Klimafolgen und wie schnell unser Haus unbewohnbar werden kann.




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