Im Internet gibt sich die Landeshauptstadt transparent. Über das Bahnprojekt Stuttgart 21 informiere nicht nur die Deutsche Bahn alle Bürgerinnen und Bürger, heißt es auf stuttgart.de. Je nach Baufortschritt fänden auch Infoveranstaltungen statt, zu der die städtische Bürgerbeauftragte einlädt. Beschlüsse des Gemeinderats zum 8,2 Milliarden Euro schweren Tiefbahnhof könnten Interessenten auch in den Ratsdokumenten recherchieren, wird versprochen. "Oooops", der Link dorthin führt jedoch auf eine Fehlerseite.
Das hat was Symbolisches. Denn die neueste Beschlussvorlage für den Gemeinderat zu S21 findet sich in keinem öffentlich zugänglichen Archiv. Hinter verschlossenen Türen sollte der Gemeinderat in der vergangene Woche einen Deal mit dem Bahnkonzern absegnen, um so die Bebauung der Gleisflächen des alten Kopfbahnhofs zu beschleunigen. Der Grund für die Geheimnistuerei: Auf Drängen von Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) würde sich die Landeshauptstadt mit dem Vertrag die frühere Übergabe mit millionenschweren Zugeständnissen und unkalkulierbaren Risiken erkaufen. Dabei ist noch nicht einmal vertraglich fixiert, wann genau die Flächen verfügbar sind. Sicher ist dagegen, dass der Staatskonzern nur minimale Strafzahlungen bei weiteren Verzögerungen zu fürchten hat.
Konkret geht es in dem vertraulichen Beschluss um die Änderung eines Grundstückskaufvertrags aus dem Jahr 2001. Damals hatte die Stadt rund 100 Hektar Gleis- und Abstellflächen der Bahn für 459 Millionen Euro abgekauft. Nach Fertigstellung des Tiefbahnhofs will sie diese städtebaulich entwickeln. Auf einer Fläche von 85 Hektar soll mit dem Rosenstein-Quartier ein neues Stadtviertel mit bis zu 5.600 Wohnungen entstehen. Dazu kommen für kreative Start-ups die Maker-City und eine Konzerthalle. 20 Hektar sind für Grünanlagen und Parkerweiterungen reserviert.
Die ursprüngliche Absicht, das neue Quartier als nachhaltiges Vorzeigeobjekt auf der Internationalen Bauausstellung IBA 2027 der Welt zu präsentieren, verhinderte der schleppende Baufortschritt des neuen Bahnknotens. Die geplante Flächenübergabe Ende 2020 wurde früh Makulatur. Geht der Tiefbahnhof nun Ende 2025 in einen einjährigen Probetrieb, dauert es weitere lange Jahre, bis Oberleitungen, Signale und Schienen abgeräumt, Brücken, Tunnel und Gebäude abgerissen sind.
Hoffnung auf weniger Naturschutz
Mittlerweile drohen Natur- und Artenschutz den Baggerbiss fürs neue Stadtquartier noch zusätzlich zu verzögern. Im Gleisschotter leben größere Populationen von streng geschützten Mauereidechsen sowie gefährdete Heuschrecken und Falter. Laut Planfeststellung muss die Bahn für die Echsen geeignete Ersatzhabitate in der Nähe des bisherigen Lebensraums finden. Da diese im Stadtgebiet dünn gesät und meist schon von "Vertriebenen" aus anderen S21-Bauabschnitten belegt sind, bliebe als Lösung nur, die Tiere auf den Flächen in neu angelegten Habitaten zu konzentrieren. Das könnte bis zum Ende der dreißiger Jahre dauern, befürchtet man im Rathaus. Die Stadt wäre nicht nur gezwungen, geduldig die Umsiedlung abzuwarten. Sie könnte auch rund die Hälfte der anvisierten Baufläche nicht nutzen, da es dort weiter streng geschützt kreucht und fleucht.
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Nobody
am 12.12.2021