Diese nun im beginnenden Bundestagswahlkampf entflammte Auseinandersetzung, bei der Wagenknecht faktisch Wahlkampf gegen die eigene Partei betreibt, ist einerseits Ausdruck des weiter voranschreitenden Rechtsdrift des Flügels innerhalb der Linkspartei, der die soziale Frage national beantworten will. Ähnliche parteiinterne Auseinandersetzungen, bei denen Wagenknecht und ihre Verbündeten wie Dieter Dehm am rechten Rand nach Wählerstimmen fischen und dafür von der AfD gelobt wurden, haben auch die Flüchtlingskrise und den letzten Bundestagswahlkampf geprägt.
Doch zugleich ist die jüngste Eskalationsstrategie der ehemaligen Frontfrau der Linkspartei auch Ausdruck des Scheiterns dieser Kräfte innerhalb der Linkspartei. Zum einen führt ihre populistische Linie nicht zu Wahlerfolgen. Die massenmedial dauerpräsente Wagenknecht, die von ihren Anhängern als die bundesweit beliebteste Linke Politikerin gefeiert wird, scheiterte in Nordrhein-Westfalen 2017 an der Fünf-Prozent-Hürde, Oskar Lafontaine musste im gleichen Jahr trotz lautstarker Forderungen nach mehr Abschiebungen im Saarland herbe Stimmverluste hinnehmen – während die AfD aus dem Stand in den Landtag einzog.
Die für rechtes Gedankengut empfänglichen Wähler entschieden sich für das rechte Original. Danach folgte das Fiasko der Bewegung "Aufstehen", bei deren Aufbau sich Wagenknecht bemühte, eine auf ihre Person fixierte Parallelstruktur zur Linkspartei aufzubauen. Schließlich unterlag die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im parteiinternen Machtkampf, sodass sie nun Kampfkandidaturen um einen aussichtsreichen Listenplatz durchstehen muss.
Somit entpuppt sich die scheinbare Popularität Wagenknechts und ihres national-sozialen Programms als eine Illusion, die weder in linke Wahlerfolge noch in den Aufbau einer eigenen Bewegung transformiert werden kann. Ein Teil ihres Schwarms im Netz dürfte aus Rechten bestehen, die ihre Ressentiments von einer "Linken" bestätigt sehen. Ähnlich verhält es sich mit ihrer massenmedialen Präsenz, da hier im öffentlichen Diskurs eine Ludwig Erhard verehrende "Linke" präsentiert werden kann, die längst viele linke Grundpositionen wie auch eine konsequente Kapitalismuskritik über Bord geworfen hat.
Historisch betrachtet waren es gerade die Rechtsausfälle und "Tabubrüche" Wagenknechts, die ihr einerseits zu Popularitätsschüben außerhalb des linken Spektrums verhalfen. Und darüber hinaus maßgeblich zur Etablierung der Neuen Rechten in der Öffentlichkeit, zur Errichtung einer rechten Diskurshegemonie bei vielen Themenfeldern wie etwa der Migrationsfrage beitrugen – indem die AfD immer wieder darauf verweisen konnte, dass selbst die "Linke" Wagenknecht die Meinung der Rechtspopulisten teilte. Doch muss hierbei, um sich mediale Aufmerksamkeit zu sichern, die Dosis der Ressentiments aufgrund der zunehmenden Verwilderung des öffentlichen Diskurses immer weiter erhöht werden, die "Tabubrüche" von gestern locken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.
Was soll das sein – ein "linker Konservatismus"?
So erscheinen die Provokationen Wagenknechts in einem anderen Licht. Es geht hier nicht mehr um die Machtfrage in der Linkspartei, die spätestens mit der Marginalisierung der national-sozialen Strömung beim letzten Parteitag entschieden wurde. Die destruktive Vorgehensweise Wagenknechts deutet eher darauf hin, dass sie ihre Kandidatur nutzen will, um gegebenenfalls die eigene Partei zu spalten und ein eigenes Politprojekt zu starten, oder irgendwo anzudocken.
Dass es sich bei ihrem jüngsten Buch faktisch um den Abschied von der Linken handelt, wenn hierunter im weitesten Sinne fortschrittliche Politik zu verstehen ist, macht schon ihr Gegenprogramm deutlich, das unter einem Oxymoron, der unsinnigen rhetorischen Figur eines "linken Konservatismus" zusammengefasst wurde, der tatsächlich eine anachronistische Rückkehr in die imaginierte "heile Welt" der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anstrebt. Dem ideologisch verzerrten Selbstbild der Wirtschaftswunder-BRD verpflichtet, schwebt Wagenknecht eine sozial leidlich abgefederte Leistungsgesellschaft vor, die sich wieder verstärkt national abkapselt und kulturell homogen ist. Wagenknechts willkürliche Unterscheidung zwischen "bösen" Kapitalisten und "guten" Unternehmern macht indes klar, dass die Gegnerin eines bedingungslosen Grundeinkommens nie wirklich Lohnarbeit verrichtet hat – etwa bei jenen Kleinunternehmern, die aufgrund des Marktdrucks ihre Arbeiter noch krasser ausbeuten müssen als Großkonzerne.
Zudem greift sie auf das neurechte Konzept des Kulturalismus zurück, um in einer nebulös bleibenden deutschen Kultur die Quelle von "Gemeinsinn und Zusammenhalt" zu verorten, die aber in einer widerspruchszerfressenen spätkapitalistischen Gesellschaft gar nicht erreicht werden können. Somit betreibt Wagenknecht – deren politische Praxis überreich an Projektionen ist – nichts anderes als erzreaktionäre Identitätspolitik, bei der die krisenbedingt zunehmenden Widersprüche in den spätkapitalistischen Gesellschaften durch rechte Identitätspolitik, durch kulturell grundierte "Deutschtumsproduktion" zugekleistert werden sollen.
Wenn alles im Fluss ist, hilft nur noch Identität
Tatsächlich sind die spätkapitalistischen Gesellschaften von vermehrter Identitätssuche, mitunter von einem regelrechten Identitätswahn geprägt, was gerade Wagenknechts kulturalistische Deutschtümelei hervorragend illustriert. Dabei handelt es sich aber um eine Reaktion auf den fundamentalen, sozioökologischen Krisenprozess, der das spätkapitalistische Weltsystem zunehmend erfasst. In Reaktion auf Krisenerschütterungen, auf das Auseinanderbrechen der bestehenden Gesellschaftsordnung, setzt oftmals eine verstärkte Identitätsproduktion in den betroffenen Gesellschaften ein. Wenn alles im Fluss ist, in Unordnung gerät, suchen die autoritär disponierten Individuen Halt – und den finden sie nur noch in der Identität, in dem, was sie scheinbar sind, obwohl es doch nur ein Produkt ihrer Sozialisation ist. Die Angst vor der Zukunft und den unverstandenen Umbrüchen führt zu einer Sehnsucht nach früheren, als idyllisch imaginierten Gesellschaftszuständen. Sei es der rassereine Nationalstaat (Neue Rechte) oder die anscheinend heile Wirtschaftswunderwelt der 50er-Jahre (Wagenknecht).
Wagenknecht als "konservative" Vertreterin der Überbleibsel und Splitter der "alten" traditionellen Linken, die nun in offene Regression übergeht, steht auch der gegenwärtigen Weltkrise begriffs- und beziehungslos gegenüber. Neben der Verunglimpfung der Klimabewegung und einigen Plattitüden zum Umweltschutz ist in Wagenknechts Buch keine nennenswerte Strategie zur Krisenbekämpfung zu finden. Stattdessen reproduziert die Lieblingslinke der deutschen Massenmedien mit ihrer Forderung nach Deglobalisierung, Renationalisierung und einem starken Staat die kapitalistischen Krisenstrategien der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts, als nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 der zunehmende Protektionismus die ökonomischen Verwerfungen vertiefte – mit bekanntem historischen Ausgang.
Dabei wäre eine konsequente Linke, die sich offensiv mit dem sich zuspitzenden Krisenprozess zunehmender ökonomischer Verwerfungen und der eskalierenden Klimakrise auseinandersetzt und progressive Antworten darauf liefert, eigentlich unerlässlich, um ein Abdriften in Barbarei zu verhindern. Die Suche nach gesellschaftlichen Alternativen zur kapitalistischen Dauerkrise und dem drohenden Klimakollaps – solch ein emanzipatorischer Prozess könnte eigentlich nur von der politischen Linken angestoßen werden. Sahra Wagenknecht hat lediglich ein opportunistisches Wirtschaftsprogramm zu bieten, das letztlich nur zur repressiven Krisenverwaltung taugt. Gerade der Unsinn vom "linken Konservatismus" verdeutlicht unfreiwillig die Sackgasse systemimmanenter Reformpolitik.
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Tanja Tasche
am 30.04.2021Auf ihrem Youtube-Kanal zieht S.W. in einem Video z.B. über die Grünenwähler vom Leder und spricht ihnen quasi ab, wirklich links zu sein. Wie begründet sie das? - Nun, sie begründet es gar nicht.…