»Herr Rechtsanwalt, wenn ich Ihnen uff die Hühneraugen trete, dass das Blut spritzt, so ist das noch lange keine Körperverletzung.« – »Wenn er nicht so anständig gewesen wäre, so hätte er nicht nur den einen Schlag mit dem Gummiknüppel bekommen!« (...) Es sind Äußerungen von Magdeburger Bahnpolizeibeamten, die nicht etwa ihres Benehmens wegen vor Gericht standen, sondern die, wie das hierorts üblich ist, als Zeugen gegen einen auftraten, den sie verhauen hatten. Aussage stand gegen Aussage – also wurde der »Zivilist« verknackt.
Das schrieb Tucholsky 1930. Doch in der Zwischenzeit hat sich so einiges getan. Der Fortschritt ermöglicht es den Verhauenen heute, das Benehmen der Beamten auf Bewegtbild festzuhalten. Und wenn stundenweise Videomaterial die wiederholten Schläge mit dem Gummiknüppel gegen wehrlos am Boden Liegende dokumentiert, ist die Folge davon kein Gerichtsverfahren mehr. Dann sagt der Erste Bürgermeister: "Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise." Entsprechend führte nicht eines der 169 Verfahren gegen Polizeibeamte, die nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg eingeleitet worden sind, auch nur zu einer Anklage. Einen Strafbefehl gab es aber: gegen einen Beamten, der einen anderen Beamten leicht am Finger verletzte.
Wenn die Staatsgewalt stattdessen gegen die vorgeht, die sie als Feinde ausgemacht hat, funktioniert die autoritäre Arithmetik so: Dann führen 14 geworfene Gegenstände, die niemanden getroffen haben, zu 73 Tatverdächtigen, die sich nun vor dem Oberlandesgericht Hamburg verantworten müssen. Die Verfahren sind Folge eines Vorfalls am 7. Juli 2017, der zu mehreren Schwerverletzten mit offenen Knochenbrüchen führte – allerdings auf Seiten der rund 200 größtenteils vermummten Demonstrierenden, die am frühen Morgen Richtung Innenstadt zogen und nach dem Aneinandergeraten mit Polizeibeamten eine etwa drei Meter hohe Mauer hinabstürzten. Oder, wie die Betroffenen es darstellen: hinabgestürzt wurden. Die Video-Aufzeichnung eines Einsatzfahrzeuges dokumentiert, wie ein Uniformierter das Vorgehen seiner KollegInnen bewertet: "Die haben sie ja schön plattgemacht alle, alter Schwede, ey."
Dennoch: Es sind ausschließlich Demonstranten, denen schwerer Landfriedensbruch zur Last gelegt wird, und zwar "in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall sowie mit versuchter gefährlicher Körperverletzung". Weil dabei nach Adam Riese offensichtlich ist, dass nicht jeder der 73 Beschuldigten einen der 14 Gegenstände geworfen haben kann, musste die Staatsanwaltschaft in ihrer Begründung kreativ werden. Sie verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshof, wonach bereits das "ostentative Mitmarschieren" in einer geschlossen gewaltbereiten Gruppe für eine Strafbarkeit ausreiche.
Allerdings beziehen sich diese Ausführungen auf einen Hooligantrupp. Und noch im gleichen Absatz heißt es weiter, der Fall unterscheide sich "von Fällen des 'Demonstrationsstrafrechts', bei denen aus einer Ansammlung einer Vielzahl von Menschen heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, aber nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen". Also muss sich die Staatsanwaltschaft erneut eines Kunstgriffs bedienen: Den Demonstrierenden wird kurzerhand abgesprochen, dass sie tatsächlich demonstrieren wollten; Gewalt und Krawall seien ihre einzige Motivation gewesen.
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Jue.So Jürgen Sojka
am 05.02.2021StN Do. 04.02.2021 Titelseite: „Mehrheit fordert weitere Rechte für die Polizei im Land“ Von Arnold Rieger
STUTTGART. Für einen besseren Schutz vor
Verbrechen ist offenbar eine große Mehrheit
der…