Das neue Jahr geht überraschend erfreulich los: Julian Assange wird nicht an die USA ausgeliefert. Das beschloss am Montag ein britisches Gericht, und das ist gut so. Doch was für den 49-jährigen Wikileaks-Gründer eine große Erleichterung gewesen sein wird, gilt nicht für die Pressefreiheit.
Am besten brachte diese Ambivalenz der britische "Guardian" auf den Punkt mit seinem Titel: "Right result, wrong reason". Denn Richterin Vanessa Baraitser begründete ihr Urteil ausschließlich mit humanitären Gründen, mit der Befürchtung, der Angeklagte könne der völligen Isolierung im US-Hochsicherheitstrakt nicht gewachsen, sprich suizidgefährdet sein. Dieses Urteil ist also keine Grundsatz-Entscheidung in Sachen Medienfreiheit, und das ist zu wenig. Denn mit Assange saß auch die Pressefreiheit vor Gericht. Weil er Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan enthüllt hat, führen die USA mit aller Macht Krieg gegen den investigativen Journalisten. Und zielen mit massiver Einschüchterung auf die gesamte Branche.
Doch eine Demokratie braucht solche WahrheitskämpferInnen. Braucht JournalistInnen, die hinter die Kulissen schauen. Die aufdecken, wie Wikileaks mit dem "Collateral Murder-Video", wo zu sehen ist, wie amerikanische Soldaten wahllos auf Menschen schießen, darunter Kinder und Fotojournalisten. Von den Soldaten steht in den USA übrigens keiner vor Gericht. Der Enthüller der verbrecherischen Taten hingegen wird in Isolationshaft gehalten wie ein Schwerverbrecher und in den USA mit bis zu 175 Jahren Haft bedroht. Das ist ein Skandal.
Als skandalös bezeichnete auch die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin den Umgang mit Assange. "Wir brauchen Whistleblower, um die erforderliche 'Kultur der Fehlerkorrektur' durchzusetzen", schrieb sie kürzlich in ihrem Kontext-Beitrag. Hier würden die Werte der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenwürde mit Füßen getreten, so die Tübinger Juristin, die die Kampagne "Assange helfen" unterstützt, weil auch Europa "in elender Jämmerlichkeit" genauso schweige wie die deutsche Bundesregierung. Ihr Beitrag ist viel gelesen worden, auch von der Hamburger "Zeit", die aus der "linken Wochenzeitung Kontext" ausführlich zitiert.
Am vergangenen Mittwoch hat sich entschieden, dass der Whistleblower nicht gegen Kaution freikommt. Sein Kampf wird weitergehen wie der um die Pressefreiheit. Denn Julian Assange mag derzeit das prominenteste Beispiel dafür sein, wie Regierungen versuchen, kritische JournalistInnen mundtot zu machen, aber er ist nur einer unter vielen, die eingesperrt sind. Daran erinnert immer wieder die Organisation "Reporter ohne Grenzen", die sich weltweit für den Schutz von JournalistInnen und gegen Zensur einsetzt.
Zum Beispiel in der Türkei. Bereits im November hat unsere Kolumnistin Filiz Koçali dazu Stellung genommen. In der Türkei sitzen derzeit viele KollegInnen in überfüllten Gefängnissen, so dicht gedrängt, dass Abstand nicht möglich ist. Und das in einer Zeit, in der dies gesundheitlich überlebenswichtig ist, in der Präsident Erdoğan Mafiabosse und Verbrecher wegen Covid-19 auf freien Fuß setzt. Es gilt also, wachsam und mutig zu bleiben. Denn ohne die Courage der AufklärerInnen können Demokratien nicht überleben.
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