Man könnte nun gegensteuern, sich bemühen, den Schwund zu kompensieren und mit einer städtischen Wohnungsgesellschaft vermehrt günstigen Wohnraum schaffen. Unser Oberbürgermeister hält das aber für "Illusionstheater". Und die SWSG macht lieber das Gegenteil, reißt günstige Angebote ab, baut neu und vermietet dann schon mal doppelt so teuer. Städtisches Geld stellt man lieber Investoren zur Verfügung, damit die nicht nur für Wohlhabende bauen, sondern auch ein paar Wohnungen, die günstiger vermietet werden. Also nur für 15 Jahre, dann fallen sie aus der Preisbindung und die staatlichen Subventionen machen sich erst so richtig bezahlt. Das ist so als würde man sich selbst nicht etwa ein billiges Auto kaufen, sondern das Geld lieber einem Millionär geben, damit der einen zu Vorzugspreisen eine Zeit lang mitnimmt – danach ist das Geld weg und die Fortbewegungsmöglichkeit ebenso, aber der Millionär hat ein gutes Geschäft gemacht.
Doch es gibt ja nicht nur schlechte Nachrichten. Stuttgart ist endlich nicht mehr provinziell, sondern spielt ganz vorne mit – was die Höhe der Mieten angeht. Die Konkurrenten Frankfurt und Hamburg hat man schon überholt und ist dabei, zum Klassenprimus München aufzuschließen. Auch die Mieter können stolz sein: Sie leisten mit hohen Abgaben ihren Beitrag zu den tollen Renditen in der Wohnungswirtschaft. Die ist übrigens die umsatzstärkste Branche der Bundesrepublik, weit vor der Autoindustrie, und das gefällt auch internationalen Investoren.
Nirgendwo ist es so schwierig arm zu sein wie in einer reichen Stadt. Trotzdem haben die meisten Stuttgarter entgegen dem Schwabenklischee nie ein Häusle gebaut. Wenn sie wissen wollen, wie die Vermieter ticken, dann <link https: www.stuttgarter-nachrichten.de inhalt.linke-inszenierung-in-stuttgart-heslach-die-legende-von-den-netten-hausbesetzern.e9dbd433-8ca8-4999-827e-68dba51f1819.html external-link-new-window>lesen sie die Stuttgarter Lokalpresse: In ihrem Mitteilungsblatt haben die Hausbesitzer am 8. Juni ihre Mieter informiert, wie hier in Stuttgart Wohneigentum bei Wohnungsnot zu benutzen ist. Oder besser: Sie haben dazu einen unfreiwilligen Satirekomplex präsentiert, der selbst gestandene Kabarettisten gelb werden lässt vor Neid.
Von der <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik diese-wohnung-ist-besetzt-5066.html internal-link-new-window>Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 erfährt man dort, dass diese gar keine echte Besetzung gewesen sei. Die These: Es geht gar nicht um echte Not, weil die Besetzer nach Recherchen der Zeitung eine eigene Wohnung hatten. Nach dieser bestechenden Logik dürfen nur noch Obdachlose gegen Wohnungsnot protestieren. Gegen Abgase nur noch Lungenkranke. Und für Pressevielfalt nur noch die, die keine Zeitung lesen. So kommt dann auch endlich mal Ruhe in den Kessel.
In Wahrheit, so das investigative Rechercheergebnis, diene die Besetzung dem Zweck "extreme" Botschaften zu transportieren. Eine Hausbesetzung, die also von Anfang an explizit auf das Problem der Wohnungsnot aufmerksam machen will – also ihrem ganzen Zweck nach darauf abzielt, eine Botschaft transportieren zu wollen –, wird nun dafür kritisiert, dass sie eine Botschaft transportieren will. Was ist der nächste Aufreger? "Skandal – Sitzblockade erfolgte nicht aus Müdigkeit, sondern um zu demonstrieren."
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