KONTEXT:Wochenzeitung
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Glanzstücke

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Der Rechtsstaat obsiegt und spricht Schwarzfahrer frei. Im März 2015 schlüpfte eine Gruppe von Aktivisten geschickt durch eine Gesetzeslücke, um beim Fahren ohne Fahrschein straffrei zu bleiben. Damit sie sich dabei nicht der Erschleichung einer Leistung schuldig machten, verwiesen sie mit auffälligem Gebaren, Hinweisschildern, Ansteckbuttons, Transparenten und einem Megaphon darauf, auf den Ticketerwerb verzichtet zu haben (<link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft schwarzfahren-will-gelernt-sein-5035.html internal-link-new-window>Kontext berichtete).

Für das Landgericht München war damit offensichtlich genug, dass die Beschuldigten ohne gültigen Fahrschein verkehrten. "Das offene Bekenntnis zum 'Schwarzfahren' verhindert den Anschein [eine Leistung zu erschleichen, d. Red], den die Rechtsprechung bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals Erschleichen fordert", heißt es dazu in der Urteilsbegründung, <link http: www.projektwerkstatt.de media text schwarzstrafen_prozesse_180426m_lgurteil.pdf external-link-new-window>die seit vergangener Woche vorliegt.

So weit, so offensichtlich. Könnte man meinen. Anders sieht es indessen die Staatsanwaltschaft München, die bereits einen Tag nach der Urteilsverkündung Revision einlegte und sich auch drei Jahre nach der Aktionsschwarzfahrt entschlossen zeigt, die Aktivisten abzustrafen. Öko-Anarchist Jörg Bergstedt, der Schwarzfahrtrainings organisiert und bei der Münchener Verhandlung als Verteidiger auftrat, findet das "albern und verbissen". Schwarzfahren zu entkriminalisieren und von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, ist nicht nur seit Jahren das Ziel von Schwarzfahraktivisten, sondern neuerdings auch <link https: www.zeit.de mobilitaet recht-schwarzfahrer-deutscher-richterbund-straftatbestand-zweifel external-link-new-window>des Deutschen Richterbundes. Während dieser sich vergrämt zeigt, sich mit einer lästigen Anzahl an unsinnigen Schwarzfahr-Verfahren befassen zu müssen (allein in Berlin 40 000 im Jahr), ist den Münchner Strafverfolgern offenbar ein wichtiges Anliegen, auch dann entschieden nach unten zu treten, wenn sich die Rechtsgrundlage dafür als porös erweist.

Vehement im Kampf gegen Einkommensarme zeigt sich auch Baden-Württembergs Innenminister <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne thomas-strobl-ist-ueberall-4726.html internal-link-new-window>Thomas Strobl (CDU), der <link https: www.stuttgarter-nachrichten.de inhalt.strobl-attackiert-linke-szene-hausbesetzer-sind-diebe.859ffb95-2ee6-43a3-a9f2-82c11144cd00.html external-link-new-window>in den "Stuttgarter Nachrichten" zu einem eindeutigen Urteil kommt: "Wer Wohnungen besetzt, ist nichts anderes als ein Dieb." Kriminell, und womöglich sogar linksextrem, ist nach dieser Lesart übrigens auch seine Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die outete sich in dieser Angelegenheit sogar als Wiederholungstäterin. <link https: www.tagesspiegel.de berlin mitte-merkel-war-frueher-hausbesetzerin external-link-new-window>2008 sagte sie dem SZ-Magazin, sie sei nach dem Studium illegal in die Berliner Marienstraße eingezogen, weil es da viel Leerstand gab: "Das habe ich genutzt, einfach aus der Not heraus." Doch damit nicht genug! Gegenüber dem <link https: www.spiesser.de artikel external-link-new-window>Jugendmagazin "Spießer" erklärte sie fünf Jahre später: "Als ich mich von meinem ersten Mann getrennt habe, brauchte ich eine Wohnung. Da hat mir jemand den Tipp gegeben: in der Templiner Straße. Dann bin ich dort in die leer stehende Wohnung eingebrochen mit einem Schlüssel – nein, mit einem Schlüssel eben nicht. Ich habe das Schloss aufgebrochen." Oha. Wir warten dann mal auf Strobls Stellungnahme.

Während die Kontext-Redaktion also der nächsten rhetorischen Perle des Innenministers harrt, ist der Konkurrenz ein investigatives Glanzstück geglückt: Die "Stuttgarter Zeitung" <link https: www.stuttgarter-zeitung.de inhalt.stuttgart-21-linke-nehmen-bahn-chef-lutz-ins-visier.03975508-8404-454f-beee-7a11502e0d78.html external-link-new-window>veröffentlichte vergangene Woche "exklusiv" Aussagen von Thilo Sarrazin zu S 21, die zuvor verschiedenen Redaktionen per Mail zusendet wurden und am gleichen Tag auch in der "Badischen Zeitung" zu lesen waren. Da gratulieren wir aus unserem "schäbigen Fünfzigerjahrebau" (<link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial was-heisst-hier-schaebig-5115.html>Kontext berichtete über die ebenfalls StZ-exklusive Beleidigung) ganz herzlich.

Wesentlich spannender als Enthüllungen, die keine sind, war für uns in der vergangenen Woche der Redaktionsbesuch aus Pakistan: Im Rahmen eines Programms des Auswärtigen Amts saßen am vergangenen Donnerstag drei Journalisten und eine Journalistin aus Pakistan an unserem Konferenztisch. Mit allerhand Fragen dazu, wie es zu schaffen sei, eine Zeitung ganz ohne Werbung zu finanzieren. Geantwortet haben wir gerne, gefragt aber auch. Wie guter Journalismus funktioniert, wenn er wirklicher Zensur und Kontrolle unterworfen ist, wie es ist, wenn Kollegen plötzlich verschwinden, wenn jedes Wort wichtig ist, um eine Info hinter der offiziellen Info zu transportieren. Gefährlich ist es. Und mutig. Und wieder einmal stellen wir fest, wie gut es uns geht. In unserem satten, fettgefressenen Deutschland.


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2 Kommentare verfügbar

  • Hans Marker
    am 13.06.2018
    Antworten
    Befangenheit, ideologische Verharmlosung, Propaganda, Realitätsferne und Whataboutism. Das sind die Probleme des deutschen Journalismus. Egal ob auf der rechten oder der linken Seite des "Spektrums".

    Sorry, Kontext, aber ihr werdet (so) zunehmend unlesbar - im Endeffekt wie eure "bürgerliche"…
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