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Eugen Bolz und die Nazis

"Auch die Schattenseiten benennen"

Eugen Bolz und die Nazis: "Auch die Schattenseiten benennen"
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Der Politiker Eugen Bolz wird in Baden-Württemberg als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime geehrt. Dabei wird ausgeklammert, wie er den Aufstieg der Nazis beförderte, kritisiert der Historiker Martin Ulmer. Er wünscht sich ein differenzierteres Gedenken.

Es war eine seltsame Veranstaltung, die da im vergangenen Juni im baden-württembergischen Innenministerium stattfand. Unter dem Titel "1923 – 2023 – Eugen Bolz und die Verteidigung der Demokratie. 100 Jahre nach dem deutschen Schicksalsjahr" sollte mit kurzen Vorträgen und einer Podiumsdiskussion an Bolz erinnert werden, den Politiker der katholischen Zentrums-Partei, der während der Weimarer Republik in Württemberg Justizminister, Innenminister und Staatspräsident war. Zu den Zuhörer:innen gehörten auch einige Dutzend Polizeischüler:innen, die vermutlich etwas darüber lernen sollten, wie man die Demokratie verteidigt. Nur, dass es in der ganzen Veranstaltung nicht gelang, auch nur ein konkretes Beispiel zu nennen, wie Eugen Bolz dies denn nun getan hätte. Paula Lutum-Lenger, die damalige Leiterin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, erwähnte in ihrem Vortrag immerhin, dass Bolz die Nazis oft unterschätzte, schaffte es aber dennoch, ihn positiv wirken zu lassen. Der Höhepunkt dann ein Gespräch zwischen dem Moderator und Innenminister Thomas Strobl (CDU): "Herr Strobl, was beeindruckt Sie an der Haltung von Eugen Bolz besonders?" Darauf Strobl: "Lassen Sie mich zunächst einmal betonen, dass mich seine Haltung ganz außerordentlich beeindruckte." Worauf der Innenminister dann schnell abschweifte.

Dass in der Veranstaltung keine Beispiele gefunden wurden, wie Bolz die erste deutsche Demokratie verteidigte, als diese noch verteidigt werden konnte und noch nicht von den Nazis zerstört war, hat möglicherweise einen einfachen Grund: Es gibt wenig nennenswerte. Bolz, der posthum nach dem Zweiten Weltkrieg unzählige Ehrungen erfuhr, warf den Nationalsozialisten kaum Knüppel zwischen die Beine, als dies noch möglich gewesen wäre. Im Gegenteil, oft bremste er schärfere Maßnahmen gegen sie sogar aktiv aus. Erst in den späten Jahren der NS-Herrschaft kam er in Kontakt mit dem Widerstandskreis um Stauffenberg, spielte dort zwar keine tragende Rolle, wurde aber dennoch nach dem Scheitern des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt. Und damit zu einer Art Märtyrer, dem in Baden-Württemberg auf mannigfaltige Art und Weise gedacht wird: Als Namensgeber für Straßen, Plätze, Verdienstmedaillen, Räume in Gebäuden der Landesregierung, erinnert wird zudem mit Gedenktafeln und Büsten. Mittlerweile läuft sogar, initiiert von der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ein Seligsprechungsverfahren für Eugen Bolz, dem Vatikan wurde dafür ein Historiker-Gutachten geschickt.

Irritierende Sakralisierung

Den Tübinger Historiker Martin Ulmer irritiert diese "Sakralisierung" von Bolz, wie er es nennt, ziemlich. Er stieß schon bei der Arbeit zu seiner Dissertation über Antisemitismus in Stuttgart auf viele Beispiele, die Bolz’ Politik in einem sehr ungünstigen Licht erscheinen lassen. Seitdem hat er beharrlich weiterrecherchiert – und wird am heutigen Mittwoch, dem 11. September 2024, im Hotel Silber in Stuttgart mit Wolf Ritscher über "Eugen Bolz und die Weimarer Demokratie" sprechen.

Schon in den 1980ern wurden im Rahmen des Ausstellungsprojekts "Stuttgart im Dritten Reich" viele Beispiele präsentiert, die zeigen, wie Bolz die Nationalsozialisten unterschätzte. Und dass Bolz auf dem rechten Auge "zwar nicht blind (war), aber er sah mit ihm erheblich schlechter",  merkt auch dessen Biograf Frank Raberg an.

Ulmer geht noch weiter. "Aus meiner Sicht hat Bolz den Aufstieg der Nationalsozialisten gefördert", sagt er. Weil er sie nicht konsequent bekämpfte, sondern ihre menschenfeindliche Agitation oft genug tolerierte – und teilweise sogar eine inhaltliche Nähe sah. Beispiele dazu finden sich reichlich.

Fatale Verharmlosung der Nazis

Als etwa 1922 nach dem Mord an Außenminister Walter Rathenau durch Rechtsextreme in vielen anderen Ländern des Deutschen Reiches die NSDAP verboten wurde, lehnte die württembergische Landesregierung dies ab – vor allem auf Drängen von Stuttgarts rechtsnationalem Polizeipräsidenten Rudolf Klaiber und Eugen Bolz, der damals Justizminister war. Bolz’ Begründung: In Württemberg gehe von diesen Verbänden keine Gefahr aus, und "unser Volk kommt durch solche Maßnahmen niemals zur Ruhe".

Nach einigen gewaltsamen Zwischenfällen im Dezember 1922 erließ das Innenministerium dann doch immerhin ein Versammlungsverbot für die NSDAP – ein halbherziges nur, denn es galt nur für öffentliche Versammlungen und konnte leicht umgangen werden. Und es wurde schon im Juli 1923 wieder aufgehoben, nachdem Bolz – er war noch nicht lange Innenminister – die Vorsitzenden aller rechtsgerichteten Organisationen in Stuttgart, darunter auch die NSDAP, zu einem Gespräch geladen hatte. Von einer Sitzung des Staatsministeriums im August 1923 ist folgende Einschätzung durch Bolz dokumentiert: "Die nationalsozialistische Bewegung habe ihren Höhepunkt überschritten … von einer Rechtsgefahr sei keine Rede … im ganzen Reich bestehe lediglich eine Linksgefahr."

Auch kurz vor dem Hitlerputsch 1923, als zu beobachten war, wie sich die SA auf einen Bürgerkrieg vorbereitete, glaubten Bolz und Klaiber an keine Gefahr. Die scharfe Judenhetze der NSDAP und deren antisemitische Belästigungen stellten für beide keine Gründe zum Einschreiten dar und erst recht keine für ein Verbot. Eine Linie, die sich auch nach 1923 fortsetzte, weswegen Ulmer urteilt: "An der Durchsetzung des Antisemitismus in Stuttgart und Württemberg trugen Staatsregierung, Behörden, Polizei und Justiz eine gehörige Mitverantwortung, indem sie jeden Kampf gegen Antisemitismus durch Ächtung und Strafverfolgung unterließen".

Die Reaktion auf den Hitlerputsch in München am 9. November 1923 wird oft als Beleg dafür genannt, dass Bolz durchaus auch entschieden gegen Nazis vorging: Hier verhinderte die schnelle Reaktion des Innenministers tatsächlich, dass sich auch württembergische NSDAP- und SA-Mitglieder am Putsch beteiligen konnten. Der Historiker Ulmer relativiert aber auch hier: Das schnelle Eingreifen hängt aus seiner Sicht weniger mit Bolz als mit Staatsminister Johannes von Hieber von der liberalen DDP zusammen. "Meine These ist, dass Bolz hier gedrängt wurde", sagt Ulmer. Es gibt Dokumente, die deutliche Differenzen zwischen von Hieber und Bolz offenbaren: Während von Hieber meinte, NSDAP-Mitglieder dürften keine Beamten sein, war Bolz’ protokollierte Position: "Wenn ein Beamter aus Idealismus der nationalsozialistischen Partei angehöre, könne man ihn nicht aus der Beamtenschaft ausschließen; eine Gefahr für den Staat liege nur in der bewaffneten Organisation …; die Nationalsozialistische Partei richte sich nicht gegen die Verfassung." Die Beispiele lassen sich noch lange fortsetzen.

Die Fahrt in den Abgrund beschleunigte sich noch, als Bolz’ Zentrums-Partei ab 1924 in einer Koalition mit der Württembergischen Bürgerpartei, einer Landespartei der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) regierte. In dieser Konstellation war Bolz von 1928 bis 1933 Staatspräsident, und in seiner Regierungszeit nahm die Koalition ab Anfang der 1930er Jahre immer autokratischere Züge an, entmachtete etwa den Landtag. Nach der Landtagswahl im Frühjahr 1932 kam es sogar zu Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP. Auch wenn diese scheiterten, befindet Ulmer: "Bevor die Nationalsozialisten 1933 auch in Württemberg die völkische Zustimmungsdiktatur errichteten, war die parlamentarische Demokratie bereits durch die Regierung (…) faktisch beseitigt." Durch eine Regierung, der in den letzten fünf Jahren Eugen Bolz vorstand.

Vorbild Bolz? Es geht hier um ein Geschichtsnarrativ

Und so ein Politiker soll heute allgemeines Vorbild sein? Es sei ein "paradigmatischer Fall mit Gegenwartsbezug", sagt Ulmer, ein Beispiel, "wie führende konservative Politiker mit dem Aufstieg der rechtsextremen Bewegung umgehen". Die offiziellen Vertreter in Baden-Württemberg – in der Politik, dem Haus der Geschichte oder der katholischen Kirche –, sie alle sähen nur den "Märtyrer" Bolz, das Opfer der Nazis – was er ab 1933 ja auch ist. Doch in einer seltsamen Geschichtsvergessenheit würde, wie Ulmer beklagt, die Bolzsche Politik zwischen 1920 und 1933 ausgeblendet – auch wenn selbst bekannte Bolz-Biografen wie Frank Raberg auf deren Problematiken hinweisen.

Das könnte zum Teil Unkenntnis sein, aber auch Methode: "Die CDU kann sich hier in eine Tradition stellen", sagt Ulmer, es gehe "um die Stärkung eines bestimmten Geschichtsnarrativs des katholischen und konservativen Wiederstands gegen den Nationalsozialismus".

Ulmer würde sich wünschen, dass statt dieser Sakralisierung ein differenzierteres Bild von Bolz vermittelt würde, eines, das auch die Schattenseiten berücksichtigt. "Mir geht es nicht darum, Bolz zu entsorgen", sagt er, "sondern, das Bild zu korrigieren". Man müsse nicht unbedingt alle Bolz-Straßen oder -Gymnasien umbenennen. "Aber man könnte Zusatzinformationen bieten, die die Weimarer Zeit kritischer beleuchten."

Von der jetzigen Landesregierung erwartet der Historiker in dieser Hinsicht allerdings nichts. "CDU und Grüne sind sich in der Bewertung von Bolz einig, auch wenn es sicher mehr von der CDU ausgeht." Nicht umsonst sei ein Neubau des Staatsministeriums nach Eugen Bolz benannt.

Was sich daraus lernen lässt

Lässt sich aus dem Beispiel Bolz etwas für die Gegenwart, für den jetzigen Umgang mit Rechten und Rechtsextremen lernen? Ulmer sagt, er sei zwar kein Anhänger der These, dass die jetzige Situation die gleiche wie in Weimar sei – "die Auseinandersetzungen Anfang der 1930er-Jahre waren viel brutaler". Aber es gebe schon Parallelen. "Ich denke, was man lernen kann, ist: dass die staatlichen Organe, Regierungen, Parlamente, Justiz, schärfer reagieren müssen, dass sie klare Kante zeigen müssen."

In Preußen habe sich in der Weimarer Zeit gezeigt, wie das Vorgehen von SPD-geführten Regierungen und loyalen, scharf vorgehenden Polizeipräsidenten die Nationalsozialisten vor große Probleme stellen, sie lange klein halten konnte. Wäre es auch in Württemberg anders gelaufen, wenn Bolz massiver vorgegangen wäre, wenn er nicht einem rechtsnationalen Polizeipräsidenten wie Rudolf Klaiber den Rücken gestärkt hätte? "Die Frage, was wäre gewesen, wenn, ist für Historiker natürlich immer schwierig", sagt Ulmer. "Aber ich würde doch als These vertreten: Die staatliche Seite hätte schärfer gegen die NSDAP vorgehen müssen, wenn sie sich demokratisch versteht – und das ist eben das Problem bei Bolz: Er hatte ein autoritäres Staatsverständnis." Es habe bei ihm, auch wenn er kein Antisemit gewesen sei, eine Affinität gegeben zu völkisch-reaktionären Kreisen. 1932 etwa schrieb Bolz über ein Treffen mit Adolf Hitler an seine Frau: "Mein Eindruck über Hitler war ein besserer, als ich vermutete. Seine Äußerungen waren konsequent und klar, und seine Auffassungen decken sich im Allgemeinen weitgehend mit den unseren." Durch diese inhaltliche Nähe gab es in Württemberg eine stärkere Koexistenz von konservativen und völkischen Milieus als in manchen anderen Ländern des Deutschen Reichs. Allein deswegen erscheint Bolz als Vorbild für heutige Konservative wenig geeignet.

Er taugt eher als mahnendes Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Zum Beispiel, Brandmauern aufweichen. So etwas wie eine Brandmauer habe es zu Bolz’ Zeiten nicht gegeben, sagt Ulmer, "aber es wäre gut gewesen". Sein Fazit: Die Ächtung rechtsextremer Positionen und Gruppen müsse funktionieren, Auswüchse bekämpft werden, "all das war in Württemberg damals nicht der Fall". Und auch wenn die Parallelitäten zwischen damals und heute nicht überbetont werden sollten: "Wenn man historisch denkt, ist man gewarnt", sagt Ulmer.


Am heutigen Mittwoch, den 11. September sprechen Martin Ulmer und Wolf Ritscher, Vorstandsmitglied der Hotel-Silber-Initiative, im Hotel Silber (Dorotheenstraße 10, 70173 Stuttgart) über Eugen Bolz, Titel der Veranstaltung: "Der württembergische Innenminister und Staatspräsident Eugen Bolz und sein Umgang mit dem Rechtsextremismus in der Weimarer Republik". Beginn ist um 19 Uhr.

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2 Kommentare verfügbar

  • Janix
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Zentrum und Württembergische Bürgerpartei aka DNVP sind die Quellen der späteren CDU.
    Dennoch sollte man es dabei belassen, dass Kinder auf Bolz-Plätzen spielen dürfen, mehr Verklärung aber auch nicht, bitte.
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