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Instrumentalisierung durch die extreme Rechte

Vom Bauernkrieg zum Bauernprotest

Instrumentalisierung durch die extreme Rechte: Vom Bauernkrieg zum Bauernprotest
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Seit mehreren hundert Jahren begleiten Bauernproteste die deutsche Geschichte. An den jüngsten Protesten von Landwirt:innen versuchte die extreme Rechte zu partizipieren. Und sie in die Tradition des historischen Bauernkrieges vor 500 Jahren zu stellen.

Für eine bessere Zukunft und gegen den wachsenden Druck der Grundherrschaft, gegen Feudalherrschaft, bedrückende Frondienste und Steuerlasten, gegen die Leibeigenschaft und religiöse Unfreiheit, gegen Adel und Klerus und für faire Gerichtsbarkeit – dafür kämpften die Bauern, die sich in Süd- und Mitteldeutschland in den Jahren 1524/25 beim Großen Deutschen Bauernkrieg erhoben. Die Obrigkeit beendete die erste Massenbewegung der Geschichte auf deutschem Boden mit einer Orgie der Gewalt. 70.000 Aufständische mussten beim Kampf für Freiheits- und Menschenrechte ihr Leben lassen. Erst 1807 wurde die Leibeigenschaft in Preußen beendet – während der Besatzungszeit durch Napoleon.

Der Bauernkrieg habe sich seit Anfang des 15. Jahrhunderts wie ein "Wetterleuchten" angekündigt, ist in der rechtsextremen Monatszeitschrift "Zuerst!" des Verlegers Dietmar Munier zu lesen. Beim Blättern in der Sommerausgabe des in Schleswig-Holstein beheimateten "deutschen Nachrichtenmagazins" stößt man auf Überschriften wie "Vergeßt den Deutschen Osten nicht!" oder "Höcke Nazi, jeder Nazi". Das Blatt, auch am Kiosk erhältlich, erscheint seit 2009 und ging aus dem Abonnentenstamm der 1951 gegründeten NS-apologetischen Zeitschrift "Nation und Europa" hervor.

Erwähnung findet in "Zuerst!" auch die "Bundschuh"-Bewegung, die 1493 bis 1517 im südwestdeutschen Raum aktiv war. Der mit Lederriemen geschnürte Bauern- oder Bundschuh stand damals im Gegensatz zum gespornten Ritterstiefel und geriet zum Symbol des Aufbegehrens. Über die Forderungen des "Bundschuh", eine der Wurzeln des Bauernkrieges, wie die "Befreiung von jeglicher Herrschaft, den Kaiser ausgenommen", berichtete auch die "Deutsche Stimme", das Sprachrohr der Partei Die Heimat, vormals NPD.

Bundesdeutsche Rechtsextremisten agieren nicht losgelöst vom historischen Kontext. So instrumentalisiert die extreme Rechte – vom antisemitischen Vereinskomplex "Compact" bis zur Neonazi-Kleinstpartei Der III. Weg – den Bauernkrieg im Kontext der Bauernproteste für ihren Kampf gegen das "System" und die "Altparteien". 

Bauern gegen den "Great Reset"

Udo Voigt, NPD-Bundesvorsitzender in den Jahren von 1996 bis 2011 und EU-Parlamentarier seiner Partei von 2014 bis 2019, erkor in der "Deutschen Stimme" die Bauern des Jahres 2024 zu "neuen Rebellen". Deren Proteste seien "mehr als nur ein Ausdruck des Unmuts über die Agrarpolitik". Voigt erblickt darin ein "Zeichen des Widerstands gegen den ‚Great Reset’, den Plan einer elitären Clique, die Welt nach ihren Vorstellungen umzugestalten. (...) Er sieht vor, dass wir uns alle einem grünen Diktat unterwerfen, das uns vorschreibt, wie wir leben sollen." Verschwörungsideolog:innen sehen im "Great Reset" ein groß angelegtes Projekt der globalen Polit- oder Wirtschaftseliten, traditionelle gesellschaftliche Strukturen zu zerstören und eine sogenannte "Weltregierung" zu errichten.

Im Rahmen der Bauernproteste wurden immer wieder einzelne Gummistiefel an Lattenzäunen aufgehängt oder auf Besenstiele in den Acker gesteckt. Für die Bauern ein stiller Protest, ein Symbol gegen ihre Arbeitssituation. Dies erinnert das rechtsextreme Online-Portal "Compact" um den gebürtigen Baden-Württemberger Jürgen Elsässer "auf faszinierende Weise" an die "Bundschuh-Bewegung und an Bauernaufstände früherer Tage". Das Eintreten der damaligen Unterdrückten gegen soziale Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Belastungen deutet "Compact" um in einen Kampf für den Erhalt der "deutschen Art": "Vor genau 500 Jahren standen die Bauern gegen fremde Einflüsse und Knechtung und für ein starkes und einiges Reich auf. Es galt damals zudem, die deutsche Art zu erhalten." Diese Ziele, so "Compact", haben "kein Ablaufdatum" und "klingen ganz und gar nicht nach einer längst vergangenen Zeit, sondern sie verbinden die Menschen auch heute."

In der Print-Ausgabe, Titel der Februar-Ausgabe: "Bauern, Bonzen und Blockaden. Friede den Dörfern, Krieg den Palästen", frohlockt Elsässer, dass sich das "Landvolk wieder erhoben" habe. Die Ursachen, damals und heute, schreibt er, seien "vergleichbar": "Überhaupt entspricht die heutige Gesellschaftsstruktur wieder der des Mittelalters. Der Widerspruch zwischen Kapitalisten und Proletariern" werde "seit der Globalisierung überlagert vom Widerspruch zwischen den 99 Prozent und dem einen Prozent."

Den Widerspruch erklärt Elsässer so: "Die 99 Prozent umfassen große Teile des produzierenden Gewerbes, den Mittelstand, die Arbeiter-und Bauernschaft sowie die als unproduktiv Aussortierten. Sie alle werden in der Zinsschlinge gewürgt durch das eine Prozent, die globalen Gelddynastien, die die Blutdynastien von vor 500 Jahren ersetzt haben. Damals thronten die Tudors und Bourbonen, die Habsburger und Romanows über den Völkern. Heute sind es Bill Gates, Jeff Bezos und der Soros-Clan, verflochten mit Blackrock und den Imperien von Rockefeller und Rothschild." Der Gegensatz zwischen "schaffendem und raffendem Kapital", den Elsässer aufwirft, war ein Arbeitsbegriff im Nationalsozialismus. Der Vernichtungsantisemitismus setzte "raffendes Kapital" mit dem Judentum gleich. Elsässers Geschwurbel von der "Zinsschlinge" meint die Forderung nach "Brechung der Zinsknechtschaft", die vom späteren Wirtschaftstheoretiker der NSDAP, Gottfried Feder, am Ende des Ersten Weltkrieges ausformuliert wurde.

Der III. Weg feiert die Bauernproteste

Unter der Überschrift "2024 wie vor 500 Jahren – Der Bauer steht auf im Land" tut die neonazistische Kleinstpartei Der III. Weg anlässlich der Bauernproteste kund: "Die Bauern (und ihnen gleich Arbeiter und Mittelstand) können sich dabei auf historische Vorbilder beziehen. Vor 500 Jahren begann mit der 'Revolution des kleinen Mannes' das, was als 'Deutscher Bauernkrieg' in  die Geschichte einging." Im Rahmen ihrer Kampagne "Volkstreu & Grün!" verkünden die Neonazis, dass "der Landwirt" durch "politische Kampagnen dämonisiert sowie sein Ansehen durch linksideologisches Geschwätz vergiftet und manipuliert" werde. Im Grunde sei der Bauer der "Fußabtreter der Nation und seine Berufsbezeichnung heutzutage sogar ein Schimpfwort". Der III. Weg, 2013 im nordbadischen Heidelberg gegründet, hat bundesweit rund 700 Mitglieder.

Das rechtsextreme Monatsmagazin "Zuerst", ansonsten nicht bekannt für ausführliche Berichterstattung zur Agrarpolitik, offenbart Verständnis für die Bauernproteste: "Im Gegensatz zu linken Berufsprotestierern und Klimaklebern haben Bauern und Handwerker eigentlich nicht den ganzen Tag Zeit zu demonstrieren. Daß sie es dennoch seit Wochen tun und dafür die Arbeit in den Betrieben ruhen lassen, zeigt die Dringlichkeit ihres Anliegens."

Dem "Heimatrecht der Völker im eigenen Land" hat sich die rechtsextreme Monatszeitschrift "Unabhängige Nachrichten" aus dem nordrhein-westfälischen Oberhausen verschrieben. Das im 56. Jahrgang erscheinende Blatt begrüßt die Bauernproteste mit dem Titel "Was lange gärt, wird endlich Wut!". Gegen "den Volkswillen" könne "nicht auf Dauer regiert werden". Bauern seien demnach "schon immer eine ‚aufmüpfige Truppe’". Die "Unabhängigen Nachrichten" kennen den Grund: "Wahrscheinlich liegt es am Umgang mit der Natur und der vielen frischen Luft, die den Geist wachhält und den Landwirt für anstehende politische Umwälzungen sensibilisiert." Der Bauernkrieg sei "fester Bestandteil der deutschen Geschichte" notieren die Blattmacher.

Vereinzelt wurde bei Demonstrationen der Bauern an LKWs und Traktoren die Fahne der Landvolkbewegung, ein weißer Pflug mit rotem Schwert auf schwarzem Grund, gezeigt. Die "Unabhängigen Nachrichten" empfehlen: "An jeden Traktor diese Fahne! – Nur so emanzipieren sich freie, deutsche Bauern von ihren Funktionären und können den Politikern nicht nur symbolisch die 'Rote Karte' zeigen." Die historische Landvolkbewegung war eine völkische, antisemitische und antidemokratische Bewegung, die in den 1930er Jahren zu großen Teilen in der NSDAP aufging.

Landvolkfahne für 19,90 Euro

Zum Preis von 19,90 Euro wird die Landvolkfahne von Ralph Tegethoff auf dessen Homepage "Zenker Militaria" im nordrhein-westfälischen Bad Honnef angeboten. Tegethoff war jahrzehntelang bundesweit in Neonazi-Zusammenhängen aktiv als Organisator und Redner. Politisch engagierte er sich bei den zwischenzeitlich verbotenen Neonazi-Vereinigungen Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und Wiking-Jugend (WJ). Der Verfassungsschutz notierte zu ihm: "Eine besondere Vorliebe hat Tegethoff für militärische Verhaltensmuster: Er lässt seine 'Kameraden' gerne 'antreten' und organisiert Geländespiele."

Das Gemälde zum Bauernkrieg schlechthin findet sich im thüringischen Bad Frankenhausen. Geschaffen hat das monumentale Bild zu DDR-Zeiten der Leipziger Maler Werner Tübke. Beim heutigen Bad Frankenhausen fand 1525 eine der bedeutendsten Schlachten des Bauernkrieges statt. 6.000 Bauern wurden getötet und der Freiheitskämpfer Thomas Müntzer von den Herrschenden gefoltert und enthauptet. Auch dieses Kunstwerk und Müntzer missbrauchen Rechtsextremisten immer wieder für ihre Zwecke, um eine Gleichsetzung des damaligen feudalistischen Obrigkeitsstaates mit dem heutigen demokratischen Rechtsstaat zu betreiben. Der Hitler-treue "Reichsbote", ein Blättchen selbsternannter "Reichsbürger", lobt die "mit altmeisterlichem Können" geschaffenen "mythischen Bilder" und "Szenen aus dem Volksleben" des Gemäldes. Laut "Reichsbote" spürt der Betrachter des Gemäldes "das Hereinwirken mythischer Ströme in die Gegenwart".

Elsässer vereinnahmt Müntzer als "Vorkämpfer des Volkes gegen die Eliten", einer der "vielen unten gegen die wenigen oben". Im April 2014 vereinnahmte der von linksaußen ins rechtsextreme Sektierertum gewanderte Elsässer den Revolutionär Müntzer auf einer Montagsdemonstration in Berlin: "Die heutige Gesellschaft ähnelt wieder der des Mittelalters. Auf der einen Seite stehen die supranationalen Dynastien, auf der anderen Seite das Volk." So sei "es auch heute", postuliert der Rechtsextremist. Wenn er sich "einer Tradition verpflichtet fühle", dann der von Thomas Müntzer, so Elsässer.

Gefallen an Müntzer findet auch die neurechte Zeitschrift "Sezession" um den Rechtsextremisten Götz Kubitschek: Müntzers "biblisch unterlegten Argumentation, daß eine Obrigkeit durch die Weigerung, ihrer Aufgabe nachzukommen, ihre Legitimation verliere, verbunden mit einem Widerstandsrecht, dürfte Zeitlosigkeit zukommen", ist dort zu lesen.

Die revanchistische Wochenzeitung "Preußische Allgemeine", vormals "Das Ostpreußenblatt",  orakelte im Juli über "die Wahrscheinlichkeit, dass im Wahljahr 2025 die deutschen Bauern wieder öffentlichkeitswirksam auf den Straßen der Städte für ihre Anliegen demonstrieren werden."

Es ist davon auszugehen, dass bei einem Wiederaufleben der Bauernproteste deren Instrumentalisierung durch die extreme Rechte wieder einsetzt. Und der Große Deutsche Bauernkrieg wird wieder für abstruse Gleichsetzungen des Obrigkeitsstaates mit dem der Offenen Gesellschaft herhalten müssen, verbunden mit der Forderung zum Sturz des "Systems".

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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Eine gute Analyse über die rechte Vereinnahmung der Proteste der Bäuerinnnen und Bauern. Dazu trägt sicherlich auch eine falsche oder gar keine Kapitalismusanalyse bei, wenn bei den Protesten die heutige Gesellschaft im Spätkapitalismus mit dem Feudalismus des Spätmittelalters verglichen wird.

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