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Kommunistin Frieda Unger

Die badische Rosa Luxemburg

Kommunistin Frieda Unger: Die badische Rosa Luxemburg
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Vor genau 100 Jahren hatte die KPD einen Umsturz in Deutschland geplant, und fast hätte die Lahrer Kommunistin Frieda Unger dabei eine zentrale Rolle gespielt. Schon davor hatte sie sich als Politikerin und Aktivistin einen Namen gemacht.

In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1923 soll es losgehen. "Das ist die Stunde der Entscheidung", schreibt Frieda Unger in dem Brief an ihren Lörracher KPD-Parteigenossen Max Bock. Doch noch seien sie und ihre aus Lahr nach Offenburg geflohenen Genossen schlecht bewaffnet, weswegen sie Bock um vier Maschinengewehre und "100 Gewehre(n) oder Pistolen mit Munition" bittet. So oder so: "Sind entschlossen zu kämpfen, bis zum Sieg oder Untergang", schreibt die 35-Jährige. Zu kämpfen für den Sieg des Kommunismus oder zumindest den über die badische Schutzpolizei, die am 23. Oktober zur Verhinderung von Unruhen Lahr besetzt hat.

Am 28. Oktober 1923 lässt Frieda Unger den Brief auf konspirativem Weg zu Bock bringen, per Boten. Doch der wird auf dem Lörracher Bahnhof von der Polizei abgefangen. Frieda Unger gilt fortan als Hochverräterin.

Der Brief ist eine wenig bekannte Rand-Episode des geplanten kommunistischen Aufstands, der vor hundert Jahren in Deutschland erfolgen sollte und dann auf den letzten Drücker am 23. Oktober abgesagt wurde. Ob die Nachricht der Absage Unger nicht erreichte, oder ob sie eigenmächtig den bewaffneten Kampf führen wollte, ist nicht mehr zu ergründen. Aber auch letzteres würde zu der selbstbewussten und geradlinigen Frau passen, die bisweilen die badische Rosa Luxemburg genannt wird.

1910: Aktivistin für einen halben Pfennig mehr Lohn

Geboren wird sie als Frieda Eckert am 9. Juli 1888 in der südwestbadischen Kleinstadt Schopfheim (heute Kreis Lörrach), wenige Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. Schon mit drei Jahren ist sie Vollwaise, wächst bei ihrer Großmutter auf, die Familie ist verarmt. Mit 14 verlässt sie die Schule, lernt erst Verkäuferin, geht mit 16 dann nach Basel, wo sie als Dienstmädchen in großbürgerlichen Familien das Leben der Reichen kennenlernt.

1907 trifft sie in Freiburg Karl Unger, drei Jahre später heiraten sie, bekommen in wenigen Jahren vier Kinder. Karl ist Maurer und findet Arbeit in Basel. 1910 bricht dort ein großer Maurerstreik um höhere Löhne aus. Als Frieda ihren Mann einmal von den Verhandlungen zwischen Arbeitern und Unternehmern aus einem Lokal abholen will, entdeckt sie, 22-jährig, ihre Begabung als Rednerin. "Als einzige Frau" habe sie den sich in die Länge ziehenden Verhandlungen zugehört, erinnert sie sich später. "Hier musste ich nun hören, daß zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitern um eine Lohnerhöhung von einem halben Pfennig gestritten wurde. Dies hat mich (...) derart empört, dass ich aufgesprungen bin und in die Diskussion eingegriffen habe und den Arbeitgeber-Vertretern zugerufen habe, ob sie sich nicht schämen, um eine solche Lappalie sich mit den Arbeitern herumzustreiten. Ich hielt den Unternehmern vor, daß ich aus eigener Anschauung wisse, wie sie lebten, und dass für sie der halbe Pfennig Lohnerhöhung nichts bedeute, während für die Arbeiter sehr viel davon abhängt."

Frieda Ungers Premiere als politische Aktivistin ist ein voller Erfolg. Die Forderungen der Arbeiter werden bewilligt, der Streik beendet. Die junge Familie Unger aber bringt sie in große Not: Karl Unger stand auf der "Schwarzen Liste" der Unternehmer und wird nach Streikende monatelang ausgesperrt, ist arbeitslos. Das führt beide zur SPD, Karl Unger wird 1910, Frieda 1911 Mitglied.

Schon davor liest sich Frieda Unger durch die Bibliothek des sozialdemokratischen Wahlvereins, ist begeistert von August Bebel, vor allem von dessen Buch "Die Frau und der Sozialismus". Laut Bebel könne die Befreiung der durch Patriarchat und Klassengegensätze doppelt unterdrückten Frau nur Hand in Hand mit der Befreiung des Proletariats geschehen. Das Buch prägt Ungers politisches Denken.

Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 sind die Ungers wieder von Basel nach Schopfheim gezogen, 1915 gehen sie nach Lahr. Schon früh missbilligt Frieda die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD, 1918 tritt sie auch deswegen aus der Partei aus und der abgespaltenen USPD bei, baut eine Ortsgruppe in Lahr auf. Nach Kriegsende und Revolution ist Deutschland eine Republik, Frauen dürfen wählen und in politische Ämter gewählt werden. Nun beginnt Frieda Ungers politische Karriere.

1919 wird sie zur Stadtverordneten in Lahr gewählt, 1921 dann schon in den Badischen Landtag in Karlsruhe. 1922 tritt sie wie ihr Mann zur Kommunistischen Partei, der KPD über. Das Jahr darauf wird ihr politisch turbulentestes.

Dank ihr bleiben die Lahrer Hunger-Unruhen unblutig

1923 ist ein Katastrophenjahr der Weimarer Republik. Französische Truppen besetzen das Ruhrgebiet, der "Ruhrkampf" genannte Widerstand dagegen verschärft die ohnehin schlechte Wirtschaftslage, befeuert Arbeitslosigkeit und Hyperinflation. Breite Bevölkerungsschichten verarmen und leiden Hunger. Am 14. September gibt es Hungerproteste und wilde Streiks in Baden, besonders in Lörrach und Lahr. In Lörrach kommt es, nachdem die Unternehmer den Forderungen der Arbeiter zunächst zugestimmt haben, zur blutigen Eskalation: Die badische Regierung verlegt Sicherheitspolizei in die Stadt, am 17. und 18. September sterben bei Barrikadenkämpfen drei Menschen.

Dass es in Lahr unblutig bleibt, ist wohl zu großen Teilen Frieda Unger zu verdanken. Sie gibt der Wut eine politische Richtung, indem sie zu Streiks und Demonstrationen aufruft, und verhandelt zugleich als Vertreterin der Arbeiter und als Stadtverordnete.

Am 15. September ist es erstmals brenzlig. Nachdem sich tags zuvor ein kommunistisch dominierter Ausschuss gegründet hat, der für Arbeitslose und Kurzarbeiter niedrigere Preise für lebensnotwendige Güter durchsetzen will, verhandeln dessen Vertreter im Lahrer Rathaus mit den Unternehmern. Die sind beunruhigt, weil sich vor dem Rathaus Tausende Menschen versammeln, doch es bleibt friedlich. Als Frieda Unger am Abend vor der Menschenmenge bekannt gibt, dass alle Forderungen erfüllt wurden, erntet sie tosenden Beifall.

Zwei Tage später, am 17. September, gibt es erneut eine Massendemonstration, diesmal verlangen angestellte Arbeiter Zugeständnisse, die Betriebe werden bestreikt. In der Lahrer Luisenschule finden Verhandlungen statt, Frieda Unger trägt die Forderungen der Arbeiter vor, darunter: Wiedereinstellung der Arbeitslosen, wertbeständige Löhne, eine einmalige Wirtschaftshilfe in inflationssicheren Schweizer Franken. Auch diesmal stimmen die Unternehmer zu, der Druck der Straße und Frieda Ungers Umgang damit mögen eine Rolle gespielt haben. Ein Unternehmer berichtet später: "Bei jedem genehmigten Punkt öffnete Frau Unger das Fenster und gab der Masse mit lauter Stimme bekannt, dass Forderung Nummer soundsoviel restlos angenommen sei, worauf sich jedesmal ein starkes Bravo- und Hurrageschrei erhob." Ein "ausgeprägtes Gespür für dramatische Wirkungen" bescheinigt ihr Renate Liessem-Breinlinger, die viel über Frieda Unger geforscht und veröffentlicht hat.

Obwohl es nachträglich teilweise anders dargestellt wurde, waren die als "Oberbadischer Aufstand" bezeichneten Septemberereignisse spontane Erhebungen und hatten nichts mit den damals schon gefassten Plänen der KPD-Spitze für einen deutschlandweiten Aufstand zu tun. Von dem wussten die lokalen Funktionäre noch gar nichts.

Warum nicht mal schnell eine Revolution?

Kurzer Exkurs: Das Krisenjahr 1923 und die Ruhrbesetzung hat in Deutschland vor allem den extremen Rechten, der NSDAP, Auftrieb gegeben, die Kommunisten scheinen lange ratlos. Der Kurs der Komintern in Moskau und der sowjetischen KP, die mehr und mehr die Geschicke der KPD in Deutschland lenken, gleicht dabei streckenweise einer Geisterfahrt. Propagiert wird eine "Einheitsfront" mit der SPD ebenso wie Strategien, die nationalistische Welle auszunutzen. Als Fehlschlag erweist sich dabei der sogenannte "Schlageter-Kurs", mit dem die Partei den Nationalsozialisten Wähler abjagen will (Kontext berichtete). Noch ehe dieser Kurs offiziell beerdigt ist, zaubert die KP in Moskau am 22. August 1923 ein neues Ziel aus dem Hut: In Deutschland soll im Herbst ein kommunistischer Umsturz erfolgen, ein "deutscher Oktober" mit dem Ziel, eine Räterepublik zu errichten. Große Streikbewegungen haben in Moskau die Hoffnung genährt, die Zeit sei reif, auch wenn der deutsche KPD-Chef Helmut Brandler größte Zweifel hat. Doch er beugt sich dem Druck. Anfang Oktober wird ein Losschlagen in der ersten Novemberhälfte ins Auge gefasst.

Nun erst werden Aufstandsvorbereitungen auch auf Ebene der lokalen Bezirke konkreter: Am 13. und 14. Oktober etwa findet in Stuttgart eine Parteikonferenz statt, an der auch Frieda Unger teilnimmt. Sie wird mit einer verantwortlichen Position im Ernährungswesen für die Zeit nach dem Aufstand betraut.

Eine gute Woche später realisiert das Zentralkomittee der KPD allerdings, dass die Vorbereitungen ungenügend und eine wirkliche Massenbasis für den Aufstand nicht zu erwarten ist, und bläst in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober den geplanten Aufstand kurzfristig ab. Doch die Nachricht scheint nicht alle Bezirke rechtzeitig zu erreichen. So kommt es in Hamburg vom 23. bis zum 25. Oktober zu einem Aufstandsversuch, bei dem rund 90 Menschen sterben.

Nicht alle erreicht die Absage-Nachricht

Wegen der großen Kommunikationsprobleme in der Partei wäre es nicht verwunderlich, dass die Absage auch Frieda Unger nicht erreicht, doch das lässt sich nicht eindeutig rekonstruieren. Noch am 22. Oktober soll sie in der Aula der Lahrer Luisenschule vor 500 Menschen gerufen haben, es werde "in den nächsten Tagen losgeschlagen, vielleicht morgen schon".

Doch am nächsten Morgen, am 23. Oktober, besetzt auf Anordnung der badischen Regierung die Schutzpolizei Lahr, und Frieda Unger flieht Hals über Kopf mit ihrem Mann ins französisch besetzte Offenburg – die vier Kinder bleiben zurück.

In Offenburg erreichen Frieda Gerüchte, ihre Kinder seien von der Schutzpolizei schwer misshandelt worden. Vor diesem Hintergrund entsteht der Brief an Max Bock, in dem sie um Waffen bittet. Am 17. November wird sie in Wolfach verhaftet, kurz bevor am 23. November die KPD reichsweit für einige Wochen verboten wird. Wegen ihrer Immunität als badische Landtagsabgeordnete wird Frieda Unger erst 1926 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, kommt aber im Oktober 1927 wieder frei – fünf weibliche Abgeordnete unterschiedlicher Parteien hatten sich für sie eingesetzt. Die Ehe mit Karl ist da bereits zerbrochen. Noch in ihrer Haftzeit in Bruchsal hat Frieda den Lahrer Kommunisten Max Haas geheiratet. Ein paar Jahre bleiben die beiden noch in Lahr, ehe sie 1931 nach Berlin ziehen.

Bis zum Schluss in Ost-Berlin

In der Folge spielt Frieda Haas in der Weimarer KPD keine besondere Rolle mehr, nur noch auf lokaler Ebene in Berlin engagiert sie sich innerhalb der Partei. Vielleicht bewahrt sie das ab 1933 vor der Verfolgung durch die Nazis – von einem Gestapo-Verhör 1937 abgesehen.

Friedas Überzeugungen schwinden über die Jahre jedenfalls nicht. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie wieder politisch aktiv, wird Abteilungsleiterin in der Zentralverwaltung Land und Forst, aus der später das DDR-Landwirtschaftsministerium hervorgeht. Nach Gründung der DDR 1949 zieht sie in den Ost-Teil der Stadt, ist zu diesem Zeitpunkt, 61-jährig, aber bereits aus Krankheitsgründen aus ihrem Amt ausgeschieden. Bis zu ihrem Tod am 12. April 1975 bleibt sie in Ost-Berlin.

Gut 14 Jahre nach ihrem Tod begann der Zusammenbruch der DDR, die sozialistische Idee, die in den "realsozialistischen" Systemen des Ostblocks ohnehin nie richtig verwirklicht worden war, schien abgewickelt. Umso erstaunlicher, dass für Frieda Unger/Haas 2007 in Lahr eine Gedenktafel angebracht wurde. Monatelange Kontroversen gingen voraus, ehe der Gemeinderat im Dezember 2006 knapp dafür stimmte. Trotz aller Widersprüche, die Frieda Unger in sich vereine, verteidigte der Lahrer Oberbürgermeister Wolfgang Müller die Entscheidung: "Frieda Unger bietet, so sehen es heute viele, die Möglichkeit, über existentielle Fragen unseres politischen Gemeinwesens nachzudenken, Fragen, die uns auch heute noch betreffen, wenn wir über die Reichweite politischer Reformen, die Rolle der Gewalt in öffentlichen Auseinandersetzungen oder das Verhältnis von Wirtschaft und Sozialem nachdenken. Und deshalb muss sie eine öffentliche Person bleiben."

Schon einige Jahr zuvor hatte Ungers Biografin Renate Liessem-Breinlinger "ihr klares Urteil über politische und gesellschaftliche Vorgänge ihrer Zeit und ihr uneigennütziges Eintreten für Benachteiligte" gewürdigt. Und eine "kleine menschliche Inkonsequenz" angemerkt: "Sie war Raucherin und bevorzugte gegen Ende ihres Lebens Westzigaretten."


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