Da stehen sie, fast könnte man sie für Besucher der Tübinger Kunsthalle halten, wären sie nicht viel zu klein geraten. Sie tragen Straßenkleidung, ordentlich, sie sind auch gut frisiert. Vielleicht sind ein oder zwei Frauen unter ihnen, das lässt sich kaum sagen; auf jedem Fall sind Männer in der Überzahl. Ihr Blick und ihre Haltung sind seltsam starr und offensiv; sie bewegen ruckartig ihre Arme, Beine, ein wenig nur. Und ein seltsames Geräusch liegt in der Luft: monoton, mechanisch, schabend.
Die Figuren sind aus Holz, in Stoffe gekleidet und bemalt, sie hängen wie Marionetten an langen, an der Decke befestigten Drähten. Markus Schinwald, ein Künstler aus Österreich, der in Karlsruhe lehrt, hat sie geschaffen und "Misfits" genannt: Menschen ohne Ort, ausgestoßen aus der Gesellschaft. Oder sind dies die "Doppelgänger", die die Literatur von Poe und Hoffmann bis zu Dostojewski, Oscar Wilde, José Saramago bevölkern? Seelenlose Automaten, Roboter, Opfer der Körperfresser, die seit den 1950er Jahren im Kino umgehen?
Markus Schinwalds Werk von 2013 befindet sich im letzten Raum der Ausstellung, die nun in der Kunsthalle Tübingen eröffnete. "Innenwelten – Sigmund Freud und die Kunst" – so heißt die Schau, die dem Einfluss des Begründers der Psychoanalyse nachspürt. Sie ist, so informiert Nicole Fritz, die Leiterin der Kunsthalle, sowohl nach thematischen als auch nach chronologischen Gesichtspunkten aufgebaut. Der letzte dieser Räume bezieht sich auf die Gegenwart und jüngere Vergangenheit, etwa seit den 1990er Jahren. Sein thematischer Schwerpunkt: das Unheimliche.
Sigmund Freud veröffentlichte 1919 einen Text mit diesem Titel. Er gilt als grundlegend für seine Auffassung des Unbewussten. Das Unheimliche, als etwas zugleich Fremdes und Vertrautes, führte Freud zu seiner Vorstellung des Unbewussten. Sein "Strukturmodell der menschlichen Psyche" stellte er schließlich dar in "Das Ich und das Es" erschienen 1923, als Ergebnis von Forschungen, die er in den 1890er Jahren begann und die ihren ersten Höhepunkt in der Veröffentlichung von "Die Traumdeutung" (1900) erreichten.
Die Psychoanalyse hat das Denken verändert
Hundert Jahre später mag man über Sigmund Freud denken, was man will – viele Aspekte seiner Arbeit können überholt anmuten, wurden in andere Richtungen weiterentwickelt, die Psychoanalyse hat sich in unterschiedliche Strömungen aufgegliedert und teils von ihrem Begründer emanzipiert. Freud selbst erscheint als ein weißer alter Mann, ganz in den patriarchalen Strukturen seiner Zeit verhaftet; dem Ödipus hat längst ein Anti-Ödipus geantwortet. Wie sehr allerdings die Psychoanalyse das Denken verändert hat, die Art und Weise, wie der Mensch sich selbst sieht, das lässt sich nicht leugnen. Auch nicht, wie groß ihr Einfluss auf die Kunst war, wie groß die Faszination ist, die sie bis heute auf Künstler:innen ausübt.
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