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Mothers*, Warriors, and Poets

Fürsorgliche Kriegerinnen

Mothers*, Warriors, and Poets: Fürsorgliche Kriegerinnen
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Dass Künstlerinnen auch Mütter sein können, war bis vor Kurzem noch ein Tabu. Eine Ausstellung im Stadtpalais Stuttgart verpasst die Chance, das Thema deutlich zur Sprache zu bringen. Stattdessen huldigt sie etwas engstirnig dem Lokalpatriotismus.

Mehrere stereotype Vorstellungen wirken dahingehend zusammen, dass Mütter in der Kunst nahezu keine Rolle spielen, erklärt Sascia Bailer, mit Didem Yazıcı Kuratorin der Ausstellung "Fürsorge als Widerstand" der Mothers*, Warriors, and Poets im Stadtpalais Stuttgart. An erster Stelle natürlich die traditionelle Auffassung, Kunst sei "vom Mann für den Mann gemacht", wie es der damals führende Kritiker Karl Scheffler 1908 formulierte.

Daran hat sich zwar in den vergangenen fünfzig Jahren einiges geändert. Doch gleichzeitig avancierte der Künstler oder die Künstlerin nun zum neoliberalen Modell der kreativen Ich-AG, die Innovationen vorantreibt und sich aus eigener Kraft aus der selbst verschuldeten Misere befreit, statt dem Staat auf der Tasche zu liegen. Und dabei im – fast immer männlichen – Ausnahmefall Millionen verdienen kann. Die schlecht- oder unbezahlte Sorgearbeit für Kinder und andere Menschen lässt sich damit kaum vereinbaren.

Auch deswegen ist es lobenswert, dass das Stadtpalais unter dem Titel "Fempalais" seit März und noch bis September mit diversen parallel laufenden Ausstellungen Frauen gewidmet ist. Und zwar nur Stuttgarter Frauen.

Anna Gohmert vor ihrem Video zu den Wechseljahren.

Mothers*, Warriors, and Poets

Der Name "Mothers*, Warriors, and Poets" geht zurück auf die schwarze Autorin Audrey Lorde, die, um zu betonen, dass sie an mehreren Fronten kämpfe, einmal gesagt hat, sie sei "black, lesbian, mother, warrior, poet" (schwarz, lesbisch, Mutter, Kämpferin, Poetin). Das Sternchen nach Mothers soll andeuten, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die Sorgearbeit übernehmen, gemeint sind.  (dh)

Die Gruppe Mothers*, Warriors, and Poets – das sind die Stuttgarterinnen Anna Gohmert, Renate Liebel und Marie Lienhard – hat sich auf die Fahnen geschrieben, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern. Sie waren bisher nur mit einer einwöchigen Präsentation im September 2021 an den Wagenhallen in Erscheinung getreten, wo Liebel und Lienhard ihre Ateliers haben. Gegenüber der jetzigen Ausstellung im Stadtpalais hatte diese – an der auch Nicht-Stuttgarterinnen beteiligt waren – allerdings den Vorzug, dass einige Arbeiten dabei waren, die das Thema sehr sinnfällig machten.

Hannah Cooke, die in Karlsruhe lebt, etwa reagierte auf die Aussage der serbischen Performance-Künstlerin Marina Abramović, Frauen seien in der Kunst deshalb weniger erfolgreich als Männer, weil sie nicht auf Kinder und Familie verzichten wollten. Abramović hatte 2010 im Museum of Modern Art in New York drei Monate auf einem Stuhl sitzend den Ausstellungsbesuchern unverwandt in die Augen gestarrt.

Cooke zeigte sich an den Wagenhallen in einem Video in derselben Pose, nur mit einem Kind auf dem Arm, wie eine Madonna. Ihre Arbeit wurde viel ausgestellt und besprochen, etwa im Mai 2022 in der Wochenzeitung "Die Zeit" unter dem Titel: "Künstlerinnen mit Kind. Das letzte Tabu".

Die Hamburgerin Katharina Pethke wiederum beschäftigte sich mit dem Hamburger Kunst- und Mediencampus, dessen ältester Bau bis 2000 Frauenklinik war. Der Wandel der weiblichen Rollenbilder – von der Mutterrolle zur kreativen Alleinselbstständigen – steckt sozusagen in den Poren des alten Gemäuers.

Im Stadtpalais aber sollten nur Stuttgarter Künstlerinnen vertreten sein. Daran besteht zwar kein Mangel, doch war Mutterschaft auch hier für kaum eine Künstlerin Thema – eben deshalb haben sich die Mothers*, Warriors, and Poets ja gegründet. So verhindert die Kirchturmpolitik des Museums, dass das Thema so deutlich hervortritt wie an den Wagenhallen. Denn Lienhard, Liebel und Gohmert sowie die geladenen Stuttgarterinnen Anna Schiefer und Julia Wirsching wollen Mutterschaft und Sorgearbeit zwar ansprechen, sich in ihrer Kunst aber nicht auf diese Thematik festlegen lassen.

Mit Kind fehlt die Zeit zum Lesen

Wer die Ausstellung im Saal Sophie des Museums betritt, sieht sich zuerst zwei großen Bildschirmen von Marie Lienhard gegenüber. Die Künstlerin beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit den Grenzen der physikalischen Gesetze und der Imagination. Ein Video zeigt zwei Magneten, die nicht ganz zusammenkommen, weil sie von Bändern gehalten werden, die gegen alle Logik der Schwerkraft horizontal gespannt sind. Das andere zeigt schwarze Ballons, wie ein auf den Kopf gestelltes Mobile. Auch hier scheint die Gravitation aufgehoben. Dies mag anregen, scheinbar unveränderliche Gegebenheiten in Frage zu stellen, doch Mutterschaft ist nicht direkt angesprochen.

Renate Liebel fertigt fantasievolle skulpturale Objekte, auch mit lebenden Pflanzen, in diesem Fall dem Mutterkraut. Rosafarbene Rüssel oder Blütenkelche wachsen aus einer Kugel heraus: ein buntes Bild des Wachstums, der Fertilität, eher assoziativ verknüpft mit dem Thema. Konkreter ist der Bezug bei Anna Gohmerts bereits im Haus der katholischen Kirche gezeigten Video zu den Wechseljahren. Tauben auf ihrem Balkon stehen hier für eine von den Menschen unerwünschte Mutterschaft. Im Video führt die Künstlerin mit ihrer Tochter auch die Yoga-Übung "Die Taube" vor.

Anna Schiefer beschäftigte sich gerade mit dem im Bau befindlichen südfranzösischen Iter- Kernfusions-Versuchsreaktor, als sie nach sechzehn Jahren zum zweiten Mal schwanger wurde. Nun hat sie die Form des Magnetfeld-Rings, in dem die Fusion stattfinden soll, auf kleine, ballartige Objekte übertragen, die sie aus den umgebogenen Zweigen von Weihnachtsbaumspitzen hergestellt hat. Sie hängen an einem Gestänge wie von einem Kuppelzelt, sodass ihre darunterliegende kleine Tochter damit spielen kann. Tokamak – so heißt der Reaktortypus – steht auf einem kleinen Kinderbuch der Künstlerin.

Julia Wirsching ist seit zwei Jahren Mutter. Sie hat einmal Philosophie und Musik studiert und stellt sich die Frage, welche Erwartungen sie selbst, aber auch ihre Umwelt an sie hat. Im Ausstellungsraum steht ein Bücherregal mit allen ihren noch ungelesenen Büchern: von James Joyces "Ulysses" über "Radikale Malerei", "Lebenskunstwerke (LKW)" und "Philosophy of Western Music" bis hin zur Bibel. Man darf sie herausnehmen und darin lesen. Sie selbst kommt gerade nicht dazu.

Nett: wichtige Stuttgarterinnen und ihre Bücher

Ein wenig scheint sich das Stadtpalais wieder in seine frühere Funktion als Stadtbücherei zurückzuverwandeln. Auch im zweiten Obergeschoss sind jedenfalls Werke von Stuttgarter Autorinnen der letzten 400 Jahre in Bücherregalen aufgereiht. Dazu gibt es informierende Stelltafeln. Therese Huber etwa, die ab 1816 das "Kunst-Blatt", eine Beilage des "Morgenblatts für die gebildeten Stände", redigierte und damit vermutlich die erste deutsche Berufsredakteurin war. Frauen brauchen, wenn sie literarische Werke verfassen wollen, so das Motto der Ausstellung nach Virginia Woolfs Essay "A Room of One's Own", einen Raum für sich – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.

Im Mittelpunkt des "Fempalais" steht die Ausstellung "Stadt voller Frauen", die versucht, einige der bedeutendsten weiblichen Persönlichkeiten Stuttgarts in die Gegenwart zu holen, indem etwa die wohltätige Königin Olga der heutigen Stifterin Helga Breuninger gegenübergestellt wird.

Das ist inhaltlich, je nach Vorkenntnissen, schon interessant. Doch was hätte wohl Clara Zetkin zu der überlebensgroßen poppig-bunten Aufstellerfigur gesagt, unter die ihre Geschichte wie die aller anderen acht Frauen gestellt ist? Alle auf Augenhöhe: von der Königin bis zur Kommunistin. Dazu kann man mit Punkten auf runden Tischen abstimmen, ob Frauen gleichberechtigt sind oder nicht. Das Museum, ein Mitmach-Spielplatz für Jung und Alt, das seinen Besucher:innen rein gar nichts zutraut und die neun Persönlichkeiten einebnet zu Heldinnen eines feministischen Lokalpatriotismus.

In Auschwitz ermordet

Ganz anders eine weitere Ausstellung zur Gold- und Silberschmiedin Paula Straus: eine der wenigen erfolgreichen Kunsthandwerkerinnen der 1920er-Jahre, die zuerst in Schwäbisch Gmünd, dann an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule bei Bernhard Pankok studierte und 1929 auf der Weltausstellung in Barcelona für ein Objekt, das nun im Stadtpalais ausgestellt ist, eine Goldmedaille erhielt. Diesen Teil hat Edith Neumann kuratiert, die stellvertretende Leiterin des Museums, die in ihrer 1999 erschienenen Dissertation die Geschichte der Künstlerinnen in Württemberg aufgearbeitet hat: ein bis heute unverzichtbares Grundlagenwerk.

Silberschmuck und -geräte stehen und liegen ganz klassisch in den Vitrinen, als ästhetische Objekte zum Anschauen. Es ist die erste Ausstellung zum Werk von Paula Straus überhaupt, die allerdings den Umstand, dass sie 1943 als Jüdin in Auschwitz ermordet wurde, ins Hinterzimmer verbannt, so als wollte das Stadtpalais seine Besucher:innen nicht zu sehr schockieren. Es ist immer eine Gratwanderung: Schon richtig, die Künstlerin nicht auf die Opferrolle zu reduzieren, aber ganz so verschämt hätte ihr tragisches Ende nicht außer Sichtweite geräumt werden müssen. Und damit auch ein sehr schönes Porträt, gezeichnet von Reinhold Nägele, offenbar eines seiner letzten Werke vor der Emigration in die USA.

Mit dem männlichen Blick beschäftigt sich die Architekt:innen-Gruppe Adapter in einer Installation am Zugang zum Stadtpalais. Spiegelnde Plexiglas-Tafeln sind versetzt in die Betonmauern eingelassen und werfen den Blick fragmentiert zurück. "Deconstructing Male Gaze" nennt sich das Ganze. Was es damit auf sich hat, darüber ist in einem Workshop am 3. Juni mehr zu erfahren.


Die Ausstellung der Mothers*, Warriors, and Poets läuft bis 9. Juli, das Festival Fempalais bis 10. September.


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