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Feminismus, Hitler und ein Plastikpimmel

Feminismus, Hitler und ein Plastikpimmel
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Das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zeigt derzeit die "Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre". Unsere Autorin, 31, Postemmafeministin, ging voller Erwartungen hin, war erst ernüchtert und dann geflasht: Diese Frauen haben ihre Welt verändert.

Meinungen sind wie Arschlöcher. Jeder Mensch hat eins. Dass einige Menschen der Ansicht sind, Feminismus heutzutage wäre überflüssig, ist also menschlich. Meistens rührt diese Ansicht von individueller Lebensrealität, in der eigentlich alles palletti erscheint. Machtgefälle zwischen den Geschlechtern werden als nicht oder nicht mehr existent wahrgenommen. Als die "Welt"-Autorin Ronja von Rönne 2015 den Beitrag "Warum mich der Feminismus anekelt" veröffentlichte und damit (ungewollt) zum deutschen Gallionsfigürchen eines erneut grassierenden Antifeminismus wurde, offenbarte sie damit auch eine der Funktionsweisen menschlicher Meinungsbildung: Der Schluss von individueller Erfahrung auf allgemeingültige Wahrheiten.

Dass es von Rönne als deutsche, hippe, weiße Abiturientin aus Oberbayern "noch nie erlebt [hat], dass Frausein ein Nachteil ist", ist wunderbar. Doch nur, weil etwas in einer individuellen Bubble nicht stattfindet, heißt das nicht, dass es das Problem nicht gibt. Ähnlich wie bei Faschismus und vielen anderen Ismen, die der Menschheit wie Kaugummi an der Schuhsole kleben, ist es die Aufgabe kommender Generation, sie auch nach ihrer gefühlten Überwindung in Schach zu halten. Nur weil der Führerbunker 1945 in die Luft geflogen ist, heißt das nicht, dass sich Rassismus oder Antisemitismus für immer in Luft aufgelöst haben.

Dass von Rönne als aufstrebende, erfolgreiche Anfangzwanzigerin, Frausein nie als Nachteil empfunden hat, ist schlichtweg der Tatsache geschuldet, dass sich andere Menschen hierfür den Allerwertesten aufgerissen und eine Normalität erkämpft haben, in der Frausein keine Ganzkörperbehinderung mehr ist. Das kollektive Gedächtnis vergisst das gerne. Einmal erkämpfte gesellschaftliche Fortschritte sind keine Computerspielstände, hinter die ein Avatar nie mehr zurückfällt. Jederzeit kann es frei nach Shirley Bassey heißen: "It's all just a little bit of History repeating."

Doch niemand ist vor der Falltür seiner eigenen, vermeintlich allgemeingültigen Wahrheiten gefeit. Das zeigt ein Besuch der Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre" im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe. In einer umfassenden Präsentation von über 400 Kunstwerken aus der Sammlung Verbund in Wien sollen hier noch bis zum 8. April Künstlerinnen gezeigt werden, die in den 1970er-Jahren Pionierinnen der Repräsentation der Frau in der bildenden Kunst waren. Mithilfe neuer Medien wie Fotografie, Film und Video, Performances und anderen Aktionen haben sie die Mechanismen der Unterdrückung der Frau dekonstruiert. Sich vom Objekt zum Subjekt emanzipiert. Stereotype Rollenzuweisungen als Mutter, Haus- und Ehefrau hinterfragt. Dem Diktat der Schönheit den Hintern gezeigt und ein Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen geschaffen. Wow!

Das alles weiß die Feministin aus der Post-Emma-Generation ohne Magister in Kunstgeschichte aber erst, wenn sie sich nach der Ausstellung ausgiebig mit den Künstlerinnen und deren Werken auseinandersetzt. Denn bis auf einzelne Ausnahmen knallt ohne Vorwissen vor Ort erst einmal gar nichts so recht. Da wirken die ausgestellten Arbeiten oft wie aus Langeweile aufgenommene Schnappschüsse aus dem Jugendzimmer eines weiblichen Teenagers aus der Prä-Instagram-Zeit, der beginnt, seinen Körper und die Performance mit ebendiesem auszuprobieren.

Klar, kommt es cool, Fotografien von einer Frau (Ana Mendieta) im Museum hängen zu sehen, die sich das Gesicht zu irren Fratzen auf einer Glasscheibe zerdrückt. Sicher wirkt es arty, wenn sich in einer anderen Fotoreihe eine Frau (Annegret Soltau) Schnüre ums Gesicht spannt. Und ja, es ist auch etwa 30 Sekunden lang interessant, ein Video anzuschauen, in dem sich eine Frau (Karin Mack) auf ein Bügelbrett legt und sich von einer anderen Person metaphorisch zu Tode bügeln lässt. Wirklich. Oder die Schwarz-Weiß-Fotografie einer weiteren Künstlerin (Francesca Woodman), die eine Kamera auf einen Stock geschnallt hat, um sich mit abgewandtem Gesicht selbst zu fotografieren und damit vor fast 50 Jahren wohl den ersten Selfie-Stick erfunden hat: guter, subtiler Humor, keine Frage.

Doch "warum hängt das jetzt im Museum und meine jugendlichen Lippenstift-Massaker vor dem Spiegel nicht?", drängt sich der Post-Emma-Feministin ohne Magister in Kunstgeschichte im inneren Monolog auf. Fast könnte sie sauer werden, da sich die Erwartungshaltung an radikale feministische Avantgarde aus den 1970ern nicht mit dem deckt, was sich ihr vor Ort bietet. Zu trivial. Zu "schon auf Insta gesehen". Da kann auch keine Gina Pane was am Gesamteindruck ändern, die sich in ihrem beeindruckenden Werk "Le Lait chaud" von 1972 mit einer Rasierklinge das Gesicht zerschneidet, um mit voller Wucht das Diktat der weiblichen Makellosigkeit und Schönheit am eigenen Leib zu sezieren. Auch keine Powerfrau wie Lynda Benglis, die sich auf einer riesigen Fotografie im Stil eines Magazin-Covers stolz, nackt und mit cooler Sonnenbrille einen riesen Plastikpimmel vor den Schritt hält, um ohne Worte "Ich hab den Größten!" zu schreien. "Warum nur kickt es mich nicht?", schreit es in der Post-Emma-Feministin ohne Magister in Kunstgeschichte.

Die Antwort ist so einfach wie schockierend: Weil es eben Frauen wie die hier augestellten Künstlerinnen waren, die dafür gesorgt haben, dass die (Frauen-)Bilder, die sie schufen, heute keine Skandale mehr sind und millionenfach reproduziert werden. Als Frauen einer Zeit, in der Haus und Hof ihr natürlicher Lebensraum war, sind sie ausgebrochen, um Denk- und Existenzräume zu erkämpfen, die Mädchen und Frauen heute als normal empfinden dürfen. Sie und viele andere Frauen ihrer Generation sind es, derentwegen das traditionelle Bild der Frau keine Naturkonstante mehr ist. Sie waren sogar so gut in ihrem Schaffen, dass junge Frauen wie Ronja von Rönne genervt sind vom Feminismus. Ihn satthaben. Weil sie glauben, ihn nicht zu brauchen. Weil sie es nicht besser wissen. Wie AchtklässlerInnen, die gefühlt bereits seit 100 Schuljahren in Geschichte nur Nationalsozialismus haben.

Doch vielleicht sind rollende Augen der Preis, den leidenschaftliche KämpferInnen bezahlen müssen. Adorno schrieb in seiner "Erziehung zur Mündigkeit" 1971, dass das Dringlichste in der Erziehung und überhaupt für den Menschen sein müsse, Auschwitz nie wieder geschehen zu lassen, da er den Verdacht hegte, dass die Stimmung jeder Zeit wieder kippen könnte. Deshalb muss auch noch tausend weiteren Generationen von SchülerInnen "der Hitler" tief ins Gehirn gehämmert werden, in der Hoffnung, dass Genervtsein Ekel weicht.

Aus demselben Grund brauchen wir auch weiterhin feministische Kräfte und ihre Sichtbarkeit in unserer Gesellschaft und Ausstellungen wie die in Karlsruhe. Als Erinnerung daran, dass erkämpfte soziale Entwicklungen nie irreversibel sind. Dass es immer wieder gilt, ihre Entstehungsgeschichte sichtbar zu halten. Dass sich zwar vieles verbessert hat. Aber auch als Memento daran, dass es noch viel zu tun gibt. Auch, wenn die Post-Emma-Feministin ohne Magister in Kunstgeschichte subjektiv der Ansicht ist, dass es aufregendere Kunstausstellungen gibt. So schließt sich der Kreis zwischen Ronja von Rönne, Feminismus, Hitler und Plastikpimmeln  in einer objektiven Wahrheit frei nach Muttern: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ulrike Ramming
    am 28.02.2018
    Antworten
    Herzlichen Dank für diesen ausführlichen und sehr reflektierten Artikel über die Karlsruher Ausstellung, der mich besonders anspricht, weil er die Zeitabhängigkeit und die enge Verknüpfung zwischen Zeiterfahrung und künstlerischem Ausdruck deutlich hervorhebt. Mir, als alter Emma-Feministin (mit 17…
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