Er hat die Rede seines Lebens gehalten am vergangenen Samstag beim außerordentlichen Parteitag der SPÖ in Linz. Viel Tempo, große Lautstärke, pointierte Inhalte und verblüffte Begeisterung bei erstaunlich großen Teilen des Publikums. Andreas Babler will Konzerne und Vermögende stärker besteuern, spricht von der stolzen Arbeiterschaft, die weniger bekommt als sie verdient, er verlangt mehr Einwanderung ("Wer sind die Leute, die in der Gastronomie das Drecksgeschirr waschen?") und nennt den Kampf gegen die Erderwärmung einen "zutiefst sozialdemokratischen Verteilungskampf". Wenn alles weiter kippt, sagt er, "werden die Superreichen noch immer ihre Klimaanlagen haben und ihre Pools und ihr kaltes Getränk aus dem Kühlschrank holen, während zig Millionen Menschen auf der Flucht sind". Und er will, frei nach Willy Brandt, nicht nur mehr Demokratie, sondern mehr Sozialdemokratie wagen.
Im Laufe der vorgegebenen 45 Minuten wird der Beifall der gut 600 Delegierten im Linzer Design-Center immer lauter, manchmal frenetisch, am Ende gibt es Standing Ovations vor allem aus dem roten Wien, von vielen Frauen, Gewerkschafter:innen und jungen Genoss:innen. Und da und dort den Eindruck, dass der 50-Jährige die Stimmung zu seinen Gunsten gedreht haben könnte. Drei Stunden später ist ausgezählt und Hans-Peter Doskozil, der im Burgenland eine Koalition mit der rechtsnationalen FPÖ hinter sich hat und eine solche auch für die Bundesebene in seinem innerparteilichen Wahlkampf keineswegs gänzlich ausschloss, elfter Vorsitzender der Nachkriegs-SPÖ. Dies allerdings nur für 48 Stunden. Denn dann muss eine seiner engsten Vertrauten, Michaela Grubesa, die Vorsitzende der Wahlkommission, bekanntgeben, dass "aufgrund eines technischen Fehlers das Ergebnis vertauscht wurde". Der Verlierer wird zum Sieger erklärt und umgekehrt.
Ösi-Witze, schadenfreudige Operettenstaatsszenarien oder bissige Memes schießen durchs Netz, in TV-Straßenumfragen glauben Leute an verspätete Aprilscherze, selbst in die "Washington Post" schaffen es "Austria's main center-left opposition party" und ihr Desaster. Verschwörungstheorien machen schnell die Runde und unter vernünftig Gebliebenen die große Hoffnung, dass am Ende nicht noch etwas ganz anderes als Dilettantismus bei der eigentlich nicht gerade komplizierten Auszählung von gut 600 Delegiertenstimmen ans Tageslicht kommt.
Inzwischen steht jedenfalls der Betrugsverdacht im Raum. Denn erst nach gehässigen, immer neuen und nie belegten Unterstellungen hatte der ursprüngliche jahrlange Vorsitzende der ständigen Wahlkommission der SPÖ, der 75-jährige Wiener Harry Kopietz, der es bis zum Landtagspräsidenten brachte, vor Pfingsten aus gesundheitlichen Gründen seinen Hut genommen. Grubesa versprach, dass "ab sofort seriös" gearbeitet werde. Seit Montagnachmittag ist die Steirerin "das Gesicht des Debakels". Noch lange nachhallen wird ihr überraschendes Pressestatement, bei dem sie zunächst über "eine ominöse verlorene Stimme" berichtete und dann "des Weiteren" von dem "außerordentlichen Fehler" eines Mitarbeiters und der Verwechselung der Ergebnisse.
Doskozil agierte als Meister der Querschüsse
Babler, der neue Parteichef mit knapp 53 Prozent der Delegiertenstimmen, hat umgehend eine abermalige Kontrolle des Ergebnisses verlangt. Wird Andi, wie ihn seine vielen Freund:innen nennen, bestätigt und tatsächlich Nachfolger der glücklosen Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner, ist das eine ganz besondere Ironie des Schicksals. Denn Doskozil hatte der ersten Frau an der Spitze seit ihrem Amtsantritt 2018 das Leben schwer gemacht. Als Meister der Querschüsse stichelte und mäkelte er fortwährend und ließ davon nicht einmal ab, als die SPÖ über Wochen in der Demoskopie bei selbst im europäischen Vergleich stattlichen 30 Prozent lag und damit deutlich vor der regierenden ÖVP und der Rechtsaußen-FPÖ.
Stattdessen eskalierte der ehemalige Verteidigungsminister und frühere Polizist Doskozil den Dauerkonflikt mutwillig immer weiter, gab sogar heimlich eine Umfrage in Auftrag mit dem Ergebnis, die ihm im Falle einer Neuwahl bessere Chancen einräumte, Bundeskanzler zu werden. Dann griff er selber nach dem Bundesvorsitz, setzte eine in der Satzung so gar nicht vorgesehene Mitgliederbefragung durch und verantwortet die wochenlange Selbstbeschäftigung der Partei in Zeiten, in denen mit roten Themen, speziell der extremen Teuerung im EU-Vergleich, ein Wahlsieg wie eine reife Frucht nur hätte geerntet werden müssen.
1 Kommentar verfügbar
Der neue Babler-Fan
am 08.06.2023https://www.youtube.com/watch?v=mdk_GYjQX-o
Andreas Babler Rede am ao. Bundesparteitag „03.06.2023"