Die schwarze Brille sitzt tief auf der Nasenspitze. Dahinter blaue Augen und ein scharfer Blick. Janka Kluge sitzt an einem Tisch im Eck, es ist halb zwei, um die Zeit herrscht viel Betrieb im Weltcafé am Stuttgarter Charlottenplatz. Unscheinbar wirkt sie, mitten im Trubel. In ihrem übergroßen hellgrauen Strickpulli geht die schmächtige Frau fast unter. "Einen Pfefferminztee und die Tagessuppe bitte", sagt sie zur jungen Kellnerin.
Die Kämpferin, die sie eigentlich ist, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Doch gekämpft hat Janka Kluge um vieles in ihrem Leben. Um ihre eigene Daseinsberechtigung, gegen Transfeindlichkeit, für den Antifaschismus. Und derzeit gegen die Hetze rechter Medien. In einem Bericht von "Pleiteticker.de" – einem Blog von Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelts Rome Medien GmbH – wurde Kluge als Mann bezeichnet. Das ließ sie nicht auf sich sitzen: 1959 als biologischer Junge geboren, 1989 die geschlechtsangleichende Operation und mittlerweile seit fast 40 Jahren auch rechtlich gesehen eine Frau. Sie klagte und das Landgericht Frankfurt am Main gab ihr Recht. Ein kleiner, aber wichtiger Sieg. Ein kurzes Durchatmen.
"Ich habe relativ früh gemerkt, dass ich kein Junge bin, ungefähr mit elf", erzählt sie. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis ihr klar war: "Ich bin nicht nur kein Junge, sondern eigentlich ein Mädchen." Die Worte fallen langsam, jedes einzelne ist mit Bedacht gewählt. Damals hatte sie niemanden zum Reden, umso mehr hätte sie sich eine große Schwester gewünscht, der sie sich hätte anvertrauen können. "Und die mir gezeigt hätte, wie man sich schminkt, ohne in den Farbtopf zu fallen." Internet gab es keins, um Gleichgesinnte zu finden. "Ich war unheimlich verzweifelt", erzählt Kluge.
Als ihre Eltern ihr weibliches Verhalten bemerkten, reagierten sie mit "Unverständnis, Hass und Gewalt". Der Vater begann sie zu schlagen. "Sie schleppten mich zum Kinder- und Jugendpsychologen." Ihre Stimme ist kühl, beinahe emotionslos. Bald habe der Vater gemerkt, er "kann's mir nicht rausprügeln". Ab dem Zeitpunkt versuchte er ihr weiszumachen, sie hätte kein Recht, auf dieser Welt zu sein. So stand die zwölfjährige Janka manchmal verträumt vor dem Spiegel, in einem Rock ihrer Mutter und vergaß dabei auf die Uhr zu schauen. "Kam mein Vater plötzlich von der Arbeit heim und erwischte mich, meinte er zu mir: Wenn du so bist, bring dich um."
Bier und Bratwürste für die Nazifreunde
Mit ihren langen schmalen Fingern umfasst Kluge die bauchige Teetasse und nimmt einen großen Schluck. Sie denkt lange nach, bevor sie weiterspricht. Zu Schulzeiten war sie entsetzt, als sie über die Shoah lernten. "Die Bilder von den Leichenbergen haben mich erschüttert." Woher diese tiefe, persönliche Abneigung gegen den Faschismus kam, begriff sie erst Jahrzehnte später: "Ich will nicht, dass Menschen wie mein Vater an die Macht kommen und sagen: Du gehörst ausradiert, du hast kein Recht zu leben."
Deshalb hat sie sich dagegen immer wieder laut gemacht – im Radio, in der Zeitung, in den Sozialen Medien. "Ich kann gar nicht zählen, auf wie vielen Demos ich gesprochen habe." Ein Schlüsselerlebnis für ihren politischen Kampf waren die rassistisch und rechtsextrem motivierten Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Vier Tage lang griffen Neonazis das Sonnenblumenhaus an, eine Asylbewerberaufnahmestelle und ein Wohnheim für Vietnames:innen. "Am schlimmsten war, dass die Pogrome nicht nachts im Dunkeln, sondern tagsüber waren", erzählt Kluge. Und: die etwa 3.000 applaudierenden Bürger:innen. "Das waren keine Nazis, aber sie waren diejenigen, die der Feuerwehr den Weg zum brennenden Haus abgeschnitten haben." Dieses Erleben, dass "eigentlich unbeteiligte Leute auf der Straße plötzlich Nazis schützen", blieb für sie unvergesslich. "Das war eine ganz andere Dimension von gelebtem Rassismus."
Zwanzig Jahre später wird sie im Text "Es war die Imbissbude" darüber schreiben. Eine Imbissbude wurde extra zum Ort des Geschehens gefahren, "um den Herren und Damen Arschlöchern Bier und Bratwürste zu servieren, damit diese den rechten Brandanschlag bejubeln können". Die gebürtige Stuttgarterin war damals 33 Jahre alt. Kurz darauf trat sie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten bei. Viele Jahre war sie Landessprecherin des Verbands.
"Mein Vater, das verdammte Arschloch"
Zurück im Café. Aus der rechten Jackentasche zieht Kluge ein kleines Reclam-Büchlein, es ist bunt gestreift. "Passagen, Durchgänge, Übergänge" von Walter Benjamin – ihr derzeitiges "Unterwegsbuch". Daneben gebe es noch "das Buch für morgens" – immer ein Sachbuch – und "das Buch für abends". Selbst jetzt behält sie ihre Ernsthaftigkeit bei, ihr Gesichtsausdruck bleibt kühl. Die Liebe zur Literatur, sagt sie, hatte sie wiederentdeckt nach Abbruch ihres Studiums. Zu sehr ging es ihr da ums Analysieren, "ich aber lese mit dem Herzen", sagt Kluge. Umso schöner fand sie ihre Arbeit als Verkäuferin in der Bahnhofsbuchhandlung, wo sie fast 30 Jahre lang gearbeitet hat. Jeden Morgen sei sie eine Stunde früher – um 4 Uhr – aufgestanden, um eine Stunde zu lesen, stets Sachbücher über "Themen, die mich beschäftigen". Das waren bereits damals Faschismus, Holocaust, Feminismus und Queer-Theorie. Natürlich hätte sie an manchen Tagen dem inneren Schweinehund nachgegeben und einfach weitergeschlafen. "Nachher habe ich mich dann aber jedes Mal darüber geärgert."
Am liebsten mag sie Bücher von Erich Kästner. Von ihm stammt auch ihre "Notfalllektüre" – "wenn's mir schlecht geht". Dann liest sie "Der kleine Grenzverkehr", eine "leicht beschriebene Liebesgeschichte". In ihrer Jugend ging sie mit schlechten Tagen anders um. Die Worte des Vaters, sie hätte kein Recht zu leben, trafen sie hart. Den tiefsitzenden Schmerz versuchte sie im Alkohol zu ertränken. "Mit 15, 16, als ich noch zur Schule ging, war ich schon Alkoholikerin."
Bald darauf trennten sich die Eltern. In späteren Beziehungen hätte der Vater gerne damit geprahlt, was für ein toller Junge sein Sohn doch sei. Wenn Kluge aber den Frauen offen ihre Geschichte erzählte, tobte er: "Ich hätte schon seine Ehe zerstört, jetzt zerstöre ich auch noch das." Als sie offiziell Janka hieß, hätte der Vater erklärt, er habe kein Kind. "Das fühlte sich richtig scheiße an. Das Schlimmste an der Sache waren aber die Geburtstage von da an, als plötzlich keine Karte mehr ankam, kein Anruf." Kluges Stimme bleibt fest, kein Zittern, kein Kloß im Hals. Bei solchen Themen zeigt sich, wie stark diese Frau ist. Und wie selten sie Emotionen nach außen dringen lässt.
Als ihr Vater Jahre später schließlich starb, stand seine Tochter bei der Beerdigung am Grab und dachte: "Du verdammtes Arschloch. Ich hab' dich überlebt."
Ohne rechtliche Anerkennung – ohne Perspektive
Und wie sie überlebt hat. Heute scheint Janka Kluge angekommen zu sein in ihrem Leben, in ihrer Stadt. Lange habe sie gedacht, "ich werde in Stuttgart nie leben können in dieser spießigen Umgebung". Das war vor dem Umzug nach Berlin, vor der operativen Geschlechtsangleichung und vor dem Dasein als rechtlich anerkannte Frau.
Trans-Sein in den 1970er-Jahren – in einer Welt, die dafür keine legalen Möglichkeiten vorsieht. Was das bedeutet, hat Kluge realisiert, nachdem sie für ihr Studium der Politik, Germanistik und Geschichte nach Berlin gezogen war und dort mithilfe einer Anzeige in der "taz" nach anderen Transmenschen gesucht hatte. Einige meldeten sich, alle von ihnen arbeiteten auf der Straße. "Damals gab es für Menschen wie mich nur zwei Möglichkeiten: Prostitution oder Kunst." Also entweder man "nutzte seine Weiblichkeit gewerblich" oder man hatte das nötige künstlerische Talent, "so wie Romy Haag". Für sie war beides keine Option, Prostitution sogar "jenseits meiner Vorstellungen".
Menschen aus ihrem Umfeld wollten ihr damals weismachen, dass sie schwul sei. Mit einem schwulen Sohn hätten ihre Eltern gut leben können. "Wäre ich mit einem Freund nach Hause gekommen, hätten sie ihn mit Handkuss begrüßt." Also besuchte Kluge die schwule Community in Berlin, lernte dort "wunderbare Menschen" kennen, musste schlussendlich aber einsehen: "Ich bin nicht schwul." Als sie das verstanden hatte, wollte sie sich umbringen.
Ein Gesetz rettet ihr das Leben
Das war im Sommer 1980. Was sie rettete, war eine unscheinbare Meldung in der "taz": Im Bundestag liefen Diskussionen über ein Transgesetz. Und tatsächlich: Im Herbst 1980 wurde das so genannte Transsexuellengesetz unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) verabschiedet. Federführend dafür war Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP).
"Da wusste ich, ich habe eine Option zu leben." Abends saß sie an ihrem Schreibtisch, mit einer Flasche Sekt, einem Namenswörterbuch und einem großen Blatt Papier, auf das sie einen Zeitplan zeichnete. Der wichtigste Punkt: ihr 25. Geburtstag – der Tag, an dem sie laut Gesetz den Antrag auf Namensänderung stellen durfte. Und, wie sie heute sagt, der schönste Tag ihres Lebens. "Damit war die wichtigste Etappe geschafft." Um überhaupt so weit zu kommen, bedurfte es zweier Gutachten von unabhängigen Sachverständigen als Beweis dafür, dass sie schon seit mindestens drei Jahren als Frau lebte. Solche Gutachten – oft verbunden mit hohen Kosten etwa für die Psycholog:innen – braucht es bis heute. In Zukunft könnte sich das ändern, wenn das Selbstbestimmungsgesetz das aktuelle Transsexuellengesetz ablöst.
Damals wählte sie auch ihren neuen Namen: Janka. Wie sie vorher hieß, verrät sie nicht, denn ihren "Deadname" hätte sie von Anfang nicht mit rumschleppen wollen. Nur so viel: Der Anfangsbuchstabe ist derselbe geblieben und niemand in ihrem näheren Umfeld habe Janka geheißen. Ohne bis zum Ende der J-Einträge im Namensregister zu lesen, entschied sie sich also für die osteuropäische Form von Johanna. "Meine Mutter fand den Namen anfangs schrecklich. So nennt man doch einen Hund, meinte sie."
Unermüdlich kämpft sie weiter
Seit 41 Jahren lebt sie nun offiziell als Janka. Unmittelbar nach der Neueintragung, Mitte der 1980er, gründete sie in Stuttgart eine der ersten Selbsthilfegruppen für Transmenschen. Sie existiert bis heute – neben vielen anderen, von ihr mitgegründeten in der Region. Kluge will, dass "möglichst viele Orte im Regenbogenspektrum vertreten sind". Sie weiß, wie schwer es ist, von den eigenen Eltern "eine so tiefe Ablehnung" zu erfahren. Ihre Selbsthilfegruppe für Eltern mit transgeschlechtlichen Kindern soll deshalb anderen einen solchen Umgang ersparen.
7 Kommentare verfügbar
Schmid Eberhard
am 13.05.2023Gerne höre ich ihre Sendungen im Freien Radio Stuttgart.
Eberhard