Es war nicht unbedingt abzusehen, dass Charlotte Islers Beziehung zu Stuttgart je wieder eine gute werden könnte, dass sie hier sogar an erinnerungspolitischen Debatten mitwirken würde. 1924 geboren, erlebte sie nach einer relativ unbeschwerten Kindheit die anfangs schleichende, dann immer rasantere Entrechtung der jüdischen Deutschen durch das NS-Regime in den 1930er-Jahren hautnah. Ihr Vater musste irgendwann seine Fabrik für einen Spottpreis verkaufen, und einen Tag nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde wohl auch Charlotte Isler, die damals noch Nussbaum hieß, endgültig klar, dass sie in Deutschland keine Zukunft mehr hatte. Sie wurde ohne Angabe von Gründen von ihrer Schule, der Charlotten-Realschule, geschmissen, ihr Vater wurde verhaftet und kam nur deshalb recht bald wieder frei, weil er nach einer Operation noch sehr geschwächt war. Im April 1939 verließ die Familie Stuttgart und fing in New York ein neues Leben an.
Nach großen Anfangsschwierigkeiten in der neuen Heimat wurde Charlotte Isler erst Krankenschwester, später erfolgreiche Medizinjournalistin, heute wohnt sie in Irvington im US-Bundesstaat New York. Stuttgart besuchte sie ab 1967 einige Male, doch irgendwann "kannte ich in Stuttgart keine Seele mehr und konnte mir nicht vorstellen, je wieder Bekannte, geschweige denn Freunde dort zu treffen". Anfang des Jahrtausends sei Stuttgart für sie "ein abgeschlossenes Kapitel" gewesen, "ich hatte nicht vor, meine Heimat noch einmal zu besuchen", schreibt sie in ihren Erinnerungen. Es kam anders.
Ein Stolperstein für die Großmutter war der Anfang
"Am 7. März 2008", erzählt sie, "erhielt ich einen Anruf, der alles änderte". Eine ihr unbekannte Frau, Irma Glaub von den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen, war am Apparat und lud sie nach Stuttgart ein. Zur Verlegung eines Stolpersteins für ihre Großmutter Sigmunde Friedmann vor deren früherem Wohnhaus in der Hohenstaufenstraße 17A. Glaub hatte das Schicksal Friedmanns recherchiert: Sie war im Gegensatz zur Familie ihrer Tochter Claire in Deutschland geblieben, wurde im August 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und starb dort knapp zwei Jahre später. Der Stolperstein für sie sollte am 15. März 2008 verlegt werden, doch konnte Charlotte Isler nicht so kurzfristig nach Stuttgart kommen. Sie nahm sich aber vor, dies nachzuholen und besuchte tatsächlich im folgenden Herbst ihre Geburtsstadt. Und seitdem immer wieder.
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