Es gibt allerdings auch andere Bilder, nicht nur die der Gestapo-Kartei. Zwei Ausstellungen zeigen derzeit freundlichere Fotos. Die eine, im Museum Humpis-Quartier in Ravensburg, läuft noch bis zum 30. Januar. Sie thematisiert erstmals einen Aspekt der Ravensburger NS-Geschichte, die Verfolgung und Ausgrenzung der Sinti und die Geschichte des Lagers Ummenwinkel. Dabei greift sie zurück auf Aufnahmen aus der Sammlung des Fotografen und Buchdruckers Josef Zittrell im Ravensburger Stadtarchiv. Die Bilder, die häufig Berichte über das Lager Ummenwinkel illustrieren, zeigen in Realität allerdings andere, frühere Ravensburger Barackensiedlungen: an der Schussen oder in der Oberzellerstraße.
Nach der Befreiung von Auschwitz kehrten die wenigen Ravensburger Überlebenden ins Barackenlager Ummenwinkel zurück. Bis 1984, fast 40 Jahre lang, hausten sie dort unter prekären Bedingungen: ohne fließend Wasser, nur mit einem Brunnen im Hof. Erst 1995 begann die Anerkennung ihrer Geschichte. Seit 1999 gibt es eine Gedenktafel vor der Kirche Sankt Jodok. Inzwischen sind mehrere Bücher erschienen, dazu nun der Ausstellungskatalog.
Die andere Ausstellung im Mannheimer Kulturhaus RomnoKher hat am Montag eröffnet und läuft bis 28. Februar. Sie steht unter dem Titel: "'... vergiss die Photos nicht, das ist sehr wichtig ...' – Die Verfolgung mitteldeutscher Sinti und Roma im Nationalsozialismus" und zeigt Aufnahmen des Thüringer Fotografen Hanns Weltzel, der zu den Sinti in seinem Heimatort Dessau-Roßlau ein freundschaftliches Verhältnis hatte. Heute befinden sich die Fotos im Besitz der Liverpooler Universitätsbibliothek, die das Archiv der 1888 gegründeten Gypsy Lore Society verwahrt. Sie zeigen ein unverfälschtes, positives Bild der Sinti der 1920er-Jahre. Aber auch, dass es Deutsche gab, die ihnen offen, ohne Vorurteile begegneten.
Daniel Strauß, der Begründer des Kulturhauses RomnoKher und Landesvorsitzende des Verbands der Sinti und Roma, wird am morgigen Tag der Befreiung von Auschwitz an der Gedenkfeier des baden-württembergischen Landtags teilnehmen, die diesmal dem Schicksal der Sinti und Roma gewidmet ist. Im Mittelpunkt steht Ravensburg. Im Anschluss an den Vortrag von Karola Fings von der Heidelberger Forschungsstelle Antiziganismus wird auch ein Film über Ummenwinkel gezeigt. (Die Veranstaltung ist am 27. Januar ab 11.30 Uhr online und später auch in der Mediathek des Landtags zu sehen.)
Die Diskriminierung der Sinti und Roma hat nach 1945 nicht aufgehört. Romano Guttenberger kann davon ein Lied singen. Wenn er und seine Familie auf Campingplätzen doch einmal zugelassen wurden, nahm der Besitzer ihre Dokumente an sich und rief die Polizei. Aber Mano lässt sich nicht alles gefallen. Einmal, als zwei Polizisten aggressiv wurden, filmte er sie. Damit sie nicht auf den Gedanken kämen, sein Handy zu konfiszieren, warnte er sie: Er habe die Aufnahmen bereits seinem Anwalt geschickt. "Aber Herr Guttenberger, was regen Sie sich so auf", antworteten die Beamten. Es müsse ein Missverständnis vorliegen.
Mano wäre gern Anwalt geworden. Die Chance hat er nicht bekommen. "Für uns kam sowieso nur die Sonderschule infrage", sagt er im Gespräch. Wie bitte? Nicht etwa, weil er in der Schule nicht mitgekommen wäre, in der Sonderschule hat er sich zu Tode gelangweilt. Nein, einzig und allein, weil er "Zigeuner", ein Sinto, war. Statt Anwalt ist er Musiker geworden und spielt mit seinem Bruder Knebo und drei weiteren Musikern unter dem Bandnamen "Guttenberger Brothers" Jazz Manouche in der Tradition Django Reinhardts und eigene Lieder mit deutschen Texten. Anfang April organisiert er ein Festival im Theater am Olgaeck in Stuttgart, auch mit Roma-Musikern aus Ungarn und Tschechien.
Csárdás, Flamenco, Jazz Manouche: Viele Sinti und Roma sind exzellente Musiker und haben die Musik der Länder, in denen sie leben, meisterhaft adaptiert. Seit sie vor sechs- bis siebenhundert Jahren in Europa angekommen sind, sind sie zumeist auf Ablehnung gestoßen, gipfelnd im Völkermord der Nazis, dem ungefähr die Hälfte von ihnen, mindestens eine halbe Million Menschen, zum Opfer gefallen sind. Dabei haben sie nur versucht zu überleben – und ein bisschen Freude ins Leben zu bringen.
Literaturtipps:
Esther Sattig: Das Zigeunerlager Ravensburg Ummenwinkel. Die Verfolgung der oberschwäbischen Sinti. Berlin 2016.
Magdalena Guttenberger, Manuel Werner: "Die Kinder von Auschwitz singen so laut!" – Das erschütterte Leben der Sintiza Martha Guttenberger aus Ummenwinkel. Norderstedt 2020.
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Joachim Sallmann
am 04.08.2022