Die Nazis, in Thüringen bereits 1931 an die Macht gekommen, vertrieben das Bauhaus aus Dessau. Die Weißenhofsiedlung war für sie der "Schandfleck Stuttgarts", den sie durch ein Generalkommando des Heeres, eine monumentale Kaserne ersetzen wollten. 1927 hatten sich die Baumeister Paul Bonatz (der 1911 den Stuttgarter Hauptbahnhof entwarf) und Paul Schmitthenner, die führenden Köpfe der "Stuttgarter Schule", gegen die Weißenhofsiedlung gestellt. Schmitthenner versuchte 1933 sogar, eine führende Rolle in der nationalsozialistischen Baupolitik zu erlangen.
Klischees wie im Wildwest-Film
Die Schlussfolgerung liegt also nahe: Die "Stuttgarter Schule" stand in gefährlicher Nähe zum Naziregime. Die modernen Architekten dagegen wurden verfolgt, können also nur Gegner gewesen sein. "Es geht so schön einfach zu wie in einem Wildwest-Film:", spottete schon 1984 der Architekturtheoretiker Vittorio Magnano Lampugnani in der "Zeit", von 1990 bis 1995 Direktor des Deutschen Architekturmuseums: "Die avantgardistischen Architekten sind die Guten, die traditionalistischen die Bösen." Das mag einleuchtend klingen, stimmt aber so nicht.
Bereits vor dreißig Jahren hat die New Yorker Kunsthistorikerin Elaine S. Hochman, nach fünfzehnjährigen Recherchen und Gesprächen mit vielen Zeitzeugen, unter dem Titel "Architects of Fortune" eine Arbeit über Mies van der Rohe im "Dritten Reich" veröffentlicht. "Er war für uns alle ein Verräter", sagt da etwa Sibyl Moholy-Nagy, die Witwe des Bauhaus-Meisters, zu Mies und seiner Teilnahme am Reichsbank-Wettbewerb, "und ein Verräter all dessen, wofür wir gekämpft hatten." Mies hatte im August 1934 nach dem Tod Hindenburgs einen "Aufruf der Kulturschaffenden" mit unterzeichnet, man solle für Hitlers Ernennung zum "Führer" stimmen; das bezeichnet Sibyl Moholy-Nagy als "a terrible stab in the back for us": einen schrecklichen Dolchstoß.
Hochman will Mies (der in den 1960er Jahren die Neue Nationalgalerie in Berlin entwarf) allerdings nicht vom Sockel stoßen. Sie will verstehen, was ihn, wie so viele andere, zu seinem Verhalten bewog. Mies war von seinem Naturell her ein wortkarger, phlegmatischer Mensch, ein Grübler und Perfektionist: ein außergewöhnlicher Architekt, aber für eine Lehrtätigkeit eigentlich ungeeignet. Dass er trotzdem Bauhaus-Direktor wurde, hängt zum einen damit zusammen, dass Walter Gropius, der Bauhaus-Gründer, nach der Entlassung seines kommunistischen Nachfolgers Hannes Meyer einen eher unpolitischen Leiter suchte. Mies wiederum fehlten nach der Weltwirtschaftskrise 1929 die Aufträge. Er brauchte Geld.
Mies sprach couragiert bei den Nazis vor
Mies tat, was von ihm verlangt wurde: Er warf linke, aufmüpfige Studenten hinaus. Trotzdem waren die Tage des Bauhauses in Dessau gezählt, das 1932 nach Berlin umziehen musste. Als es auch dort im April 1933 geschlossen wurde, brach für Mies eine Welt zusammen: Aber nicht etwa, weil er am Bauhaus hing, sondern weil er, als einer von sechs Architekten zum Reichsbank-Wettbewerb eingeladen, um seinen Ruf fürchtete. Couragiert, um nicht zu sagen starrköpfig, sprach er bei Alfred Rosenberg vor, dem Leiter des Kampfbunds für Deutsche Kultur, der die moderne Architektur wie kein anderer bekämpfte. Und er ließ nicht locker, bis er sogar beim Gestapo-Chef Rudolf Diels einen Termin bekam.
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Philippe Ressing
am 01.08.2019