Zu diesem Zeitpunkt ist der Asta der Kunstakademie noch völlig unpolitisch, organisiert vor allem Bildungsreisen und den Fasching. Der Politisierungs-Impuls kommt aus Berlin: Einige Tage, nachdem am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg vom Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras erschossen worden ist, findet an der Akademie eine studentische Vollversammlung statt. Klaus Mausner, damals als Kunsterziehungsstudent noch relativ neu an der Aka, aber schon einige Jahre Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), erzählt, er sei aufgestanden und habe gesagt: "Es ist mir unbegreiflich, dass in Berlin ein Student auf offener Straße erschossen wird, der gegen einen diktatorischen Schah protestiert, und in Stuttgart wird kein Wort dazu verloren." Prompt wird Mausner zum politischen Referenten des Asta gewählt, im Herbst 1967 dann auch zum Vorsitzenden.
Der Prorektor verbietet den Asta – das geht nach hinten los
Am 21. November 1967 wird Todesschütze Kurras vor Gericht freigesprochen, unmittelbar danach sieht man an den Wänden der Kunstaka Parolen wie "Berlin-Justiz – Hure der Macht". Der Asta habe nichts damit zu tun gehabt, "auch wenn wir solidarisch waren", erinnert sich Mausner, Prorektor Rudolf Yelin (in Vertretung für den erkrankten Brudi) verbietet aber erst politische Veranstaltungen des Asta und dann, am 14. Dezember, den Asta komplett – was er rechtlich gar nicht darf.
Die autoritäre Entscheidung geht nach hinten los. Aus Protest ruft der Asta schon am nächsten Tag eine Vollversammlung ein, 300 der 500 Studierenden kommen, die Presse berichtet breit – und auf Druck des Kultusministeriums muss Yelin die Amtsenthebung rückgängig machen.
Der Protest setzt eine Kettenreaktion in Gang, der künstlerische Nachwuchs fordert eine Demokratisierung der Strukturen und Lehrinhalte. Zentrales Ziel wird die "Drittelparität": Der Senat soll jeweils zu einem Drittel durch Professoren, durch Vertreter des Mittelbaus – wissenschaftliche Mitarbeiter, künstlerische und technische Lehrer – und durch Studierende besetzt werden. Weitere Forderungen kommen hinzu: Die Einrichtung offener Werkstätten sowie von theoretischen Lehrstühlen wie Soziologie und Psychologie, die Klassen sollen durchlässiger, verbindliche Prüfungskriterien und Lehrinhalte erarbeitet werden. Den Druck erhöhen die Studenten mal mit Veranstaltungen wie der Podiumsdiskussion "Entrümpelt die Akademien!" am 6. Februar 1968, für die der Asta unter anderem Joseph Beuys und Bazon Brock gewinnen kann, mal mit Aktionen wie Go-Ins während Senatsversammlungen.
Brudi sieht in den Forderungen eine "freche und arrogante Art der Erpressung", doch es zeigt sich, dass es auch unter den Professoren Verbündete gibt. Etwa den Grafiker Kurt Weidemann, der Yelins Asta-Verbot gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten" kritisiert, und K.R.H. Sonderborg, der sagt, es könne "doch nur begrüßt werden, wenn die Studenten endlich anfangen zu denken und politisch unabhängig zu werden."
"Vögeln ist besser als Kunst"
Ein Mitspracherecht fordert der Asta auch im April 1968 bei der Nachfolge von Grundlehre-Professor Gerhard Gollwitzer – ohne Erfolg. Anfang Mai dann, bei einer Ausstellung mit Arbeiten der Nachfolgekandidaten, wird die Arbeit des Studenten und Bewerbers Jürgen Vallen "unter professoralem Beifall zerstört und entfernt", so ein Asta-Bericht. Das Bild habe sich mit sexueller Unterdrückung beschäftigt, die Professoren bezeichnen es sowie das daneben hängende Transparent mit dem Slogan "Vögeln ist besser als Kunst" als "Sauerei". "Mit Rufen wie 'Heiraten Sie doch!' und 'Wenn wir früher solche Probleme hatten, gingen wir in den Wald!' verhielten sich die Professoren wie kleinbürgerliche Familienpatriarchen", kommentiert der Asta-Bericht.
Das ist der Anlass für das Sextribunal. Im Vorfeld schreiben die Studierenden auch den bekannten Publizisten Ludwig Marcuse an, dessen Stellungnahme es an Deutlichkeit nicht vermissen lässt (<link file:39750>hier das Dokument): "Professoren der Bildenden Künste, zu deren Vokabular 'Schweinerei' und 'Sauerei' gehören, disqualifizieren sich ohne Ansehen des Arguments (...). Es ist überflüssig, mit solch aufgeregten Primitiven zu reden", schreibt Marcuse, oder: "Das Studentenspruchband 'Vögeln ist besser als Kunst' ist vielleicht nur eine Knabenkritzelei an der Wand eines Pissoirs, verdient aber eine ernste Betrachtung, die bis zur Problematik der Freudschen 'Sublimation' führt."
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Wolfgang Kermer
am 26.07.2018