Was Hellmuth Karasek damals war, ist nicht mehr eindeutig zu klären. Zuschauer oder Demonstrant? Unstrittig ist nur, dass der Kulturchef der "Stuttgarter Zeitung" von einem Schäferhund gebissen wurde. Zusammen mit Peter Palitzsch, dem Direktor der Stuttgarter Schauspiels. Damals, das war vor 50 Jahren, am Karfreitag, dem 12. April 1968, an dem sich die beiden Genannten vor den Toren des Esslinger Bechtle-Verlags einfanden, wo eine anschwellende Menge "Bechtle, Bechtle, Springerknechtle" skandierte.
Zum Verständnis für die Nachgeborenen: In diesem Verlag, der Otto W. Bechtle gehörte, einem autoritären Patron unter schwäbischen Zeitungsfürsten, erschien nicht nur die "Eßlinger Zeitung" (EZ). An der Zeppelinstraße in Oberesslingen wurde auch die Bildzeitung des Axel Cäsar Springer gedruckt, die in diesen Tagen für den Mordanschlag auf Rudi Dutschke (mit)verantwortlich gemacht wurde. "'Bild' schoss mit", "Springer, Mörder" riefen die Demonstranten und versammelten sich in Berlin, Hamburg, Essen, Frankfurt, München, und eben auch in Esslingen. Sie wollten die Auslieferung des Revolverblatts verhindern, weil sie damit das "kapitalistische System selbst" treffen wollten, wie der Sozialistische Studentenbund SDS in einem Flugblatt an die "Bürger von Esslingen" schrieb, von denen nicht überliefert ist, ob die Botschaft angekommen ist. Die Texte waren sehr lang und soziologisch.
Biermann singt von Kugeln aus Springers Zeitungswald
Ja, es waren aufgeregte Zeiten, in denen Wolf Biermann, der später auch bei Springer andockte, von drei Kugeln auf Rudi Dutschke sang, abgefeuert aus "Springers Zeitungswald" ("Wenn wir uns jetzt nicht wehren, wirst du der Nächste sein"), und "Bild" den Studentenführer zum "Volksfeind Nr. 1" erklärte. Es war die Zeit, in der Politiker wie der frühere Marinerichter Hans Karl Filbinger von einer vom Osten gesteuerten "Herde lenkbarer Handlanger" sprachen, seine CSU-Kollegen von "verlausten Kreaturen", und der Tübinger Theologe Ernst Käsemann mit dem Satz konterte: "Die nicht schrien, als die halbe Welt verbrannte, haben plötzlich wieder Stimme und singen das alte Lied von Autorität und Ordnung, das die Deutschen schon stets faszinierte."
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Andromeda Müller
am 15.04.2018Anhand vieler zusammengetragener Zeugenaussagen und Fotos rekonstruiert es das Geschehen am tage des Schah-Besuchs , der von der Polizei tolerierten Gewalt gegen friedliche Demonstranten ,…