Platz für mehr als 13.000 Solarmodule
Seither rostet der Koloss nutzlos vor sich hin. Was aber nicht so bleiben soll, wenn es nach dem Verein Stuttgart Solar geht. Dessen Mitstreiter:innen wollen dem alten Gasometer neues Leben einhauchen: mit der Kraft der Sonne. Genauer gesagt soll nach ihren Plänen die riesige Außenfassade und das Dach des Kessels mit Photovoltaik-Modulen bestückt werden, um so klimaschonenden Ökostrom zu produzieren. Das Potenzial dazu erscheint gewaltig. Ein jüngst im Auftrag des Vereins angefertigtes Gutachten kommt bei einer maximalen Belegung des Kesselmantels auf 12.720 Module, die zwischen die einzelnen Rippen und Ringe montiert werden könnten. Auf dem Dach ließen sich zusätzlich knapp 650 Module sternförmig aufstellen. Insgesamt summiert sich die installierte Leistung der Gaskessel-PV-Anlage auf über 2,6 Megawattpeak (MWp) oder entsprechend 2.600 Kilowattpeak (kWp), so Gutachter Bastian Zinßer. Zum Vergleich: Eine PV-Dachanlage auf einem gängigen Einfamilienhaus hat meist rund 10 kWp installierte Leistung.
Zinßer berechnete anhand von langjährigen Wetterdaten auch, wie viele Kilowattstunden (kWh) Ökostrom sich mit der Modul-Armada ernten lassen würden. Naturgemäß sei der höhere Energieertrag vom Dach des Gaskessels zu erwarten, wo die Solarmodule in Richtung und Neigung optimal zur Lichteinstrahlung der Sonne aufgestellt werden können. Bei den senkrecht an der Fassade angebrachten Modulen sei die jeweilige Himmelsrichtung sehr entscheidend. "Selbstverständlich liefert die Südseite des Gaskessels am meisten Energie", so Zinßer. Aber auch die Ost- und Westseite seien interessant, weil sie die Energieerzeugung über den Tagesverlauf verstetigen. Um ein einheitliches Erscheinungsbild des Gasometers beizubehalten, sollte aber auch die ertragsschwache Nordseite mit Paneelen bestückt werden.
Alles in allem ließen sich mit dem Gaskessel-Solarkraftwerk knapp 1.800 Megawattstunden (MWh) Ökostrom im Jahr ernten, was einem Ertrag von 682 kWh/kWp pro Jahr entspricht. Mit der produzierten Energiemenge ließen sich rein rechnerisch 712 durchschnittliche Haushalte versorgen. "Der Stadtteil Gaisburg, in dem der Gaskessel steht, hat 8.622 Einwohner. Bei 1,8 Personen pro Haushalt wie im Stuttgarter Durchschnitt sind das immerhin 4.790 Haushalte", rechnet Zinßer den Versorgungsgrad auf lokale Verhältnisse hoch. "Das bedeutet, dass etwa 15 Prozent des privaten Energieverbrauchs von Gaisburg durch die PV-Anlage auf dem Gaskessel gedeckt werden könnten."
Beste Werbung für Fassaden-Photovoltaik
Vor einer Realisierung sei selbstverständlich noch die Statik des Gaskessels zu prüfen, räumt der Gutachter ein. Genauer untersucht werden müsste auch, welche Fassadenteile sich nicht für eine Modulbelegung eigneten. Ein Beispiel hierfür wäre die Füllstandsanzeige, die aus Sicht des Denkmalschutzes sichtbar erhalten werden sollte, erklärt Zinßer.
Grundsätzlich stellt der Denkmalschutz kein Hindernis für die Umwidmung des Gaskessels dar, sagt auch Frank Schweizer von Stuttgart Solar und verweist auf neue gesetzliche Vorgaben der Bundesregierung. Demnach hat der Ausbau von erneuerbaren Energien inzwischen Vorrang vor dem Schutzbedarf historisch bedeutender Gebäude. Auch auf Landesebene gibt eine Richtlinie aus dem Bauministerium vor, dass Solarenergie auf historischen Bauwerken nicht mehr ausgeschlossen ist.
Dabei ist die Idee zur Umnutzung des Gaskessels zum Solarturm nicht neu. Bereits bei Stilllegung des Gasometers vor zwei Jahren machte sich der BUND für diese Sache stark. "Das Bestechende bei dem Projekt wäre, dass die Installation zeitnah erfolgen könnte, und die zunehmenden Klimakatastrophen erfordern bekanntlich ein schnelles Handeln", argumentierte BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer damals. "Auch das äußere Erscheinungsbild des Gaskessels wird nicht wesentlich verändert, was dem Denkmalschutz entspräche. Eine spätere kulturelle oder sonstwie geartete Nutzung des Gaskessel-Innenraumes wäre mit der Solarnutzung vermutlich kompatibel und würde gleich ortsnah Strom für den Eigenbedarf liefern." Zudem wäre die Anlage eine hervorragende Werbung für Fassaden-Photovoltaikanlagen. "Die Symbolwirkung des Projekts wäre herausragend. Der zukünftige Gaisburger-Solarturm wäre eine weithin sichtbare, stadtbildprägende Energiewendemarke in der Landeshauptstadt und für die EnBW", so Pfeifer.
Stuttgart ist in Sachen Solar weit abgeschlagen
Tatsächlich gibt Stuttgart bei Solarenergie bislang ein eher düsteres Bild ab. Beispielhaft belegt die Landeshauptstadt im "Wattbewerb" (www.wattbewerb.de) nur einen der hinteren Plätze. In dem Ranking, das die installierte PV-Leistung in Wattpeak (Wp) pro Einwohner beschreibt, landet sie nur auf Platz 64 von 71 gelisteten deutschen Großstädten. Seit Start des Wettbewerbs im Februar 2021 wurden bis heute in Stuttgart lediglich 87 Wp je Einwohner:in zugebaut. Und das, obwohl die Kommune mit dem Förderprogramm "Solaroffensive" Gebäudeeigentümer, Mieter, Pächter und Anlagenbetreiber:innen beim Ausbau von Solarenergie großzügig finanziell unterstützt. Zum Vergleich: Wattbewerb-Klassenprimus Paderborn kommt heute bereits auf 729 Wp, auch dank eines forcierten Zubaus von 500 Wp je Einwohner:in in zweieinhalb Jahren.
Auf Anfrage betont das städtische Amt für Umweltschutz, dass man aufgrund struktureller Besonderheiten wie dem stark verdichteten Stadtraum schlechter als kleinere Städte abschneide. Nach eigenen Auswertungen belege Stuttgart unter den deutschen Großstädten über 500.000 Einwohner:innen einen guten Mittelfeldplatz. Auch erfreue sich die "Solaroffensive" mit aktuell insgesamt etwa 2.650 Anträgen und einer beantragten Anlagenleistung von insgesamt ca. 28,5 MWp sehr großer Beliebtheit. "Anfang des Monats trat zudem die neue Förderrichtlinie des Programms mit verbesserten Bedingungen für Balkonkraftmodule (200 Euro pauschal) als auch für Volleinspeiseanlagen (bis zu 600 Euro pro kWp) in Kraft", so ein Sprecher. Letzteres soll Wohnungseigentümergemeinschaften und Industriebetriebe zu Solarfans machen, die bisher in der PV-Landschaft Stuttgarts noch deutlich unterrepräsentiert sind. Um Förderinstrumente und auch das Wissen um PV-Anlagen näher an die Bürger:innen zu bringen, soll Anfang 2024 ein Netz von ehrenamtlichen "Stuttgarter Solar-Scouts" aufgebaut werden, die in den einzelnen Bezirken wirken werden. Im Stadtteil Botnang habe das überzeugende Engagement eines Bürgers bereits zu einem deutlich sichtbaren Effekt beim PV-Zubau geführt.
Bei den städtischen Liegenschaften sollen bis 2025 alle dafür geeigneten Schuldächer mit einer PV-Anlage ausgestattet sein. "Diese Sichtbarkeit für die Schüler halten wir für ein wichtiges Signal – daher die Priorisierung der Schulen", betont der Sprecher. Bis 2029/2030 folgen dann PV-Anlagen auf allen anderen städtischen Liegenschaften mit entsprechender Dacheignung.
Im Sommer 2022 hatte der Stuttgarter Gemeinderat das Ziel der Klimaneutralität nachgeschärft und entschieden, dass die Landeshauptstadt bereits 2035 klimaneutral sein soll. Zuvor war noch das Jahr 2050 anvisiert. Grundlage für das ambitionierte Ziel ist die Studie "Net‐Zero Stuttgart" der Unternehmensberatung McKinsey, die im Auftrag der Stadtverwaltung die schnellere Zielerreichung untersucht hat. Der entsprechende Klima‐Fahrplan fordert die Umsetzung von 13 Maßnahmenpaketen in den Sektoren Strom, Wärme, Mobilität, Abfall‐ und Landwirtschaft. Er betont zudem den Einsatz aller relevanten Technologien, insbesondere einen ambitionierten Ausbau der Solarenergie, der Wärmenetze und der Wärmepumpen.
2 Kommentare verfügbar
Solar 4 Life
am 11.09.2023Hat darüber mal wer nachgedacht - die gesamte Fassade mit Vakuumröhren senkrecht voll hängen, was genau im Winter bei Südausrichtung durch den niedrigen Sonnenstand sinnvoll ist.
Über den Sommer die Wärme im mit Wasser gefüllten Gaskessel speichern…