Es wäre allerdings zu schlicht zu sagen, die Unternehmen sind zu doof, um bis übermorgen zu denken. Laut Herbon zeichnet sich im Ausbildungssektor vielmehr ein Strukturumbruch ab, zumindest im Metall- und Elektrobereich. Die Aufgaben werden immer spezieller, noch sind nicht alle Berufsbilder darauf ausgerichtet. Die Coronapandemie habe zudem vor allem in kleineren Betrieben zu Sparmaßnahmen geführt, die auch auf Kosten der Ausbildung gegangen seien. "Der Unterschied zwischen den großen Unternehmen und den kleineren, die früher teilweise zwei, drei Leute oder auch um die acht Azubis eingestellt haben, ist gravierend." Dazu komme, dass es immer weniger Bewerber gibt. Nicht nur weil die Anzahl der Schulabgänger generell sinkt. In diesem Jahr haben überraschend viele junge Leute gar keinen Weg in die Ausbildung gesucht – weder in die betriebliche noch in die universitäre.
Wo sind die jungen Leute?
"Eine Reihe wiederholt das letzte Schuljahr, weil sie keine Generation Corona sein wollen", weiß Herbon. Dennoch fehlten einfach junge Leute und man wisse nicht, was die jetzt machen. "Das bereitet uns ein Riesenkopfzerbrechen", sagt auch Stefan Küpper, bei Südwestmetall zuständig für Ausbildung und Qualifizierung. Schon im vorigen (Corona-) Jahr zeichnete sich ab, dass es weniger Azubis geben werde. "Und da waren die Ausbildungsverträge ja schon 2019 abgeschlossen worden. Wir konnten 2020 knapp zehn Prozent der Ausbildungsplätze nicht besetzen. Sonst waren das immer so um die drei bis vier Prozent. Ich gehe davon aus, dass es dieses Jahr noch dramatischer wird." Selbst renommierte Mittelständler hätten gravierende Probleme Azubis zu finden. "Das ist ein dramatischer Einbruch. Und man muss sich ja fragen, was das mittelfristig auslöst? Was passiert, wenn diejenigen, die in diesem Jahr keine Ausbildung angefangen haben, im nächsten oder übernächsten Jahr dann mit den normalen Schulabgängern zusammentreffen?", fragt sich Küpper.
Er kann sich vorstellen, dass die Klimadebatte bei der Zurückhaltung der Jungen eine Rolle spielt: "Da fragt sich bestimmt der eine oder die andere: Will ich in der Autoindustrie arbeiten?" Auch die schlechte Bewältigung von Corona während der Ausbildung mag dazu beitragen, dass manche lieber warten, bis die Lage wieder stabil ist. Denn an Berufsschulen und in Ausbildungswerkstätten der Betriebe lief der Corona-Unterricht größtenteils genauso schlecht wie in den normalen Schulen.
Der IG- Metall Jugendsekretär Herbon erfährt direkt in Betrieben, wie hoch die Unsicherheit auch bei den aktuellen Azubis ist. "Die fragen sich, wie ist meine Perspektive angesichts der Transformation? Werde ich übernommen?" Der Metaller befürchtet zudem, dass sich weiterhin Unternehmen aus der Ausbildung zurückziehen. Er fordert eine Ausbildungsgarantie mit Umlagefinanzierung: "Und wer nicht ausbildet , soll zahlen."
4 Kommentare verfügbar
Andrea K.
am 05.11.2021Ich war 2015 selbst arbeitslos und habe die Zeit genutzt, mit Geflüchteten zu arbeiten. Und ich vergess nie, wie ich damals meine "Beraterin" fragte, in welche Berufe man die Neuankömmlinge denn schicken…